In der prunkvollen geheimen Ratsstube in der Präsidentschaftskanzlei ging es am Mittwochabend um die unsichtbarste Form von Armut: jene von Frauen. 583.000 Frauen gelten in Österreich als armutsgefährdet, mindestens 95.000 sind massiv von Armut betroffen. Doris Schmidauer und Nora Tödtling-Musenbichler, seit 1. Februar Präsidentin der Caritas Österreich, hatten in die Hofburg geladen, um die vor sechs Jahren gegründete Initiative gegen Frauenarmut #WirTun weiter voranzutreiben.

Sie seien vor sechs Jahren schon nach einem ersten Treffen mit Frauen "sofort ins Tun gekommen", erzählte Schmidauer dem Publikum: "Wie das halt so ist, wenn Frauen das Heft in die Hand nehmen." Sechs Jahre später kennt Schmiedauer fast jede mit Armut befasste Einrichtung der Caritas von innen und habe auch "viele mutige Frauen, die mir ihre Geschichte erzählt haben", getroffen.

Karin Abram, Anna Parr, Doris Schmidauer, Nora Toedtling-Musenbichler, Doris Anzengruber und Bettina Riha-Fink am Mittwoch in der Hofburg.
Karin Abram, Anna Parr, Doris Schmidauer, Nora Toedtling-Musenbichler, Doris Anzengruber und Bettina Riha-Fink am Mittwoch in der Hofburg.
Caritas …sterreich

Beispiele für Geschichten, wo "am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig ist", erzählte Doris Anzengruber, Leiterin der Sozialberatungsstelle der Caritas Wien. Am häufigsten betroffen seien Alleinerzieherinnen. Viele würden sogar einen Job finden, hätten aber dann keine Kinderbetreuung – wie ein Frau, die zwischen 5.30 Uhr und 9.00 Büros putzen könnte, oder eine andere, die für einen Job pendeln müsste und sich nicht einmal die Fahrkarte dafür leisten konnte. Viele der Frauen, die in den Einrichtungen der Caritas betreut werden, sind aber auch von Altersarmut betroffen.

Ins Prekariat rutschen Frauen sehr oft durch Trennung, aber auch durch Krankheit, Unfälle, Jobverlust oder weil sie Angehörige pflegen müssten. Das Frauen nämlich ihr ganzes Leben eine erhöhte Armutsgefährdung hätten, sei "kein Zufall, sondern ein System, das Frauen benachteilige", sagte Karin Abram, Leitung Soziales und Anwaltschaft der Caritas Österreich.

Überraschte Wirtschaftsforscherin

Dass dieses System mithilfe der Politik geändert werden müsse, darüber waren sich bei der anschließenden von Kira Schinko moderierten Podiumsdiskussion alle einig. Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich, die Sozial- und Wirtschaftsforscherin Katrin Gasior, die Journalistin, Autorin und frühere Lehrerin Melisa Erkurt und Hanno Lorenz, Ökonom und stellvertretender Direktor der Agenda Austria, saßen auf dem Podium.

Gasior erstellte für die University Essex eine Studie zu Frauenarmut. "Es hat mich sehr überrascht, dass die Ergebnisse überhaupt in Österreich diskutiert werden", sagte Gasior, die sich mehr evidenzbasierte Politik wünschen würde. Laut der Studie müsse die Lebensrealität von Frauen in den Vordergrund rücken. Der Lebensstandard von Frauen hänge etwa vor allem davon, wie viel sie zum Haushaltseinkommen beitragen müssten.

Zudem seien auch Frauen, die erwerbstätig sind, sehr oft armutsgefährdet, betont Gasior, bei selbstständigen erwerbstätigen Frauen seien es sogar 48 Prozent: "Eine geschlechtsspezifische Armut lässt sich nicht abstreiten." Parr wies zudem darauf hin, dass aktuelle Zahlen zur Frauenarmut in Österreich im April zu erwarten wären. Sie dürften sich durch die Teuerung verschlechtert haben.

Haushaltsbuch mit fuenfunddreissig Euro. Im Hintergrund eine Mutter mit drei Kindern. Bonn Deutschland *** Household boo
Wenn am Ende des Geldes zu viel Monat übrig ist.
IMAGO/Ute Grabowsky/photothek.de

Erkurt betonte, dass "Bildung allein" nicht die Lösung sei. Familien mit Migrationsgeschichte erreichten erst nach fünf Generationen Chancengleichheit. Zudem würden gerade die Eltern mit "Problemschülern" auch noch bestraft, wenn man etwa darüber diskutiere, ihnen Sozialhilfen zu streichen. Dabei hätten es Migrantinnen nicht nur am Arbeitsmarkt schwerer, bei vielen haperte es schon an der Kinderbetreuung, um einen Deutschkurs besuchen zu können.

Männer in die Pflicht nehmen 

Der Ökonom Lorenz wies daraufhin, dass es auch "andere Länder geschafft haben". Elementar sei die Frage der Kinderbetreuung, die auch als Bildung für Kinder fungiere. Und es müsse Karenzmodelle geben, die "Männer in die Pflicht" nehmen.

Neben der Kinderbetreuung sahen auch alle die Aufwertung der Care-Arbeit und die Schaffung eines "armutsfesten Sozialstaaes" als notwendig. "Aus Caritas-Sicht braucht es deshalb eine Reform der Sozialhilfe, eine Anhebung der Ausgleichszulage auf Höhe der Armutsgefährdungsschwelle sowie eine Reform des Arbeitslosengeldes unter Beibehaltung der Notstandshilfe", konkretisierte das Tödtling-Musenbichler.

Gleich mehrstimmig wurde am Ende gegen das Patriarchat angesungen. Der Femchor trat als Überraschung auf und begeisterte die Zuhörenden. (Colette M. Schmidt, 22.2.2024)