Es waren Jugendorganisationen von SPÖ, Grünen, KPÖ, der katholischen und evangelischen Kirche sowie der Gewerkschaft, die vor 40 Jahren den Grundstein für die Welser Initiative gegen Faschismus legten. Sie blockierten im März 1984 einen Parteitag der Nationaldemokratischen Partei (NDP) in einem Welser Gasthaus. Die NDP, eine Abspaltung der damaligen FPÖ, strebte unter anderem den Anschluss Österreichs an Deutschland an und wurde erst 1988 behördlich aufgelöst.

Mahnmal jüdische Welser:innen im Pollheimer Park
Mahnmal für jüdische Welserinnen und Welser im Pollheimerpark.
Antifa Wels

Doch die Antifa Wels, wie die Initiative kurz genannt wird, war damit erst am Beginn und trat wenig später bundesweit Debatten über einen zehn Jahre schwelenden Konflikt um drei "braune Flecken" in Wels los. Gemeint sind Symbole mit NS-Bezug: eine Gedenktafel für die Kameradschaft IV der Waffen-SS in einer stadteigenen Kapelle, eine nach dem Verfasser des "Hakenkreuzliedes" Ottokar Kernstock benannte Straße und die nach einem NSDAP-Kreisschulungsleiter benannte Moritz-Etzold-Halle, heute Turnhalle Wels.

Während sich bundesweit immer mehr prominente Historiker und Historikerinnen wie Erika Weinzierl, Rudolf Ardelt, Reinhard Kannonier und Helmut Konrad, aber auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Doron Rabinovici auf die Seite der überparteilichen Initiative stellten, war in der Speerspitze der Verteidiger der "braunen Flecken" ausgerechnet der damalige Bürgermeister von Wels, Karl Bregartner (SPÖ). Letztlich gewann die Antifa Wels, die Flecken wurden entfernt. Der Begriff "braune Flecken" für unaufgearbeitete NS-Vergangenheiten in Parteien oder im öffentlichen Raum wurde übrigens Teil des österreichischen Sprachschatzes, entstand aber in Wels.

Keine "gelöschte" Geschichte

Seither ist die als Verein organisierte Initiative eine feste Größe in Wels und hat bis heute Mitglieder aller Parteien – mit Ausnahme der FPÖ. Wichtige Publikationen zur NS-Zeit, Veranstaltungen und Gedenkorte wie das Mahnmal für Jüdinnen und Juden aus Wels sind eine bemerkenswerte Bilanz. Aber gerade auch die Entfernung der braunen Flecken zeigte, dass das Argument, man "lösche Geschichte", wenn man Würdigungen im öffentlichen Raum entfernt, einfach nicht stimmt. In Wels ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte eine der lebendigsten in Österreich.

Flugbatt zu einer antifaschistischen Kundgebung in Wels 1984.
Flugbatt zu einer antifaschistischen Kundgebung in Wels 1984.
Antifa Wels

Am Samstag feiert man die letzten 40 Jahre im Bildungshaus Schloss Puchberg bei Wels mit einem großen Festakt. Die Festrede hält der Schauspieler Harald Krassnitzer, eine Festschrift mit einer ausführlichen Chronologie stellt Robert Eiter vor. Eiter war schon in den Anfangszeiten – zunächst als Mitglied der Sozialistischen Jugend, von 1984 bis 2010 Vorsitzender der Antifa Wels – dabei. Eiter ist heute vor allem Sprecher des Oberösterreichischen Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus und Vorstandsmitglied des Mauthausen-Komitees Österreich (MKÖ).

Eiter betont im Gespräch mit dem STANDARD am Freitag, dass Wels nicht zufällig ein Ort der großen essenziellen Auseinandersetzungen wurde: "Wels war eine NS-Hochburg und gleichzeitig eine Hochburg des kommunistischen Widerstandes." Und heftige Auseinandersetzungen gibt es bis heute.

Rabls Kandidatur

Zuletzt sorgte – DER STANDARD berichtete – der gegenwärtige blaue Bürgermeister von Wels, Andreas Rabl, für Debatten, weil er auf einer Liste des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger (SPÖ) für den Vorstand der Holocaust-Gedenkorganisation Freunde von Yad Vashem kandidierte. Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IGK), und Mauthausen-Komitee-Vorsitzender Willi Mernyi kritisierten die Kandidatur scharf. Deutsch betonte, die FPÖ sei "nicht nur eine rechtsextreme Partei, sondern der politische Arm der deutschnationalen Burschenschaften, die unmittelbaren Vorgänger der Nationalsozialisten, die an NS-Gräueln beteiligt waren". Zudem erinnerte der IKG-Präsident an die "seriellen Einzelfälle" der FPÖ und der Burschenschaften. Als "wirkliche Zumutung" sah auch Mernyi Rabls Kandidatur.

Rabl wies in seiner Bewerbung darauf hin, dass er ein jährliches Gedenken "an die Gräuel der Reichspogromnacht" in Wels veranstalte. Dazu muss man wissen, dass er dieses Parallelgedenken erst einführte, weil er beim etablierten Pogromgedenken der Welser Initiative nicht erwünscht war. "Solange er nicht Bürgermeister war, hat ihn unsere traditionelle Pogromnacht-Kundgebung nicht im Geringsten interessiert. Dann wollte er sie plötzlich als Bühne für sich nutzen. Weil er nicht bereit ist, sich von den rechtsextremen 'Einzelfällen' seiner Partei zu distanzieren, sondern sogar selbst für welche sorgt, lehnen wir das natürlich ab", meint dazu der aktuelle Antifa-Wels-Vorsitzende Werner Retzl. Auch im Vorjahr gab es daher in Wels zwei Gedenken, jenes des Bürgermeisters und jene der Welser Initiative gegen Faschismus, bei dem auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zugegen war.

Aufgrund von "Besuchermangel" beim Gedenken Rabls habe dieser im Oktober versucht, "Schulklassen für die Teilnahme an seinem Gedenken mit je 200 Euro zu bezahlen", kritisiert Retzl, "die Folge war ein empörter Aufschrei der anderen Parteien – SPÖ-Vizebürgermeister Klaus Schinninger nannte den Plan zu Recht unerträglich."

"Verstörende Berichte"

Zuletzt sprach sich auch Haim Gertner, der Direktor des Yad-Vashem-Archivs in Jerusalem, in einem Brief an den Vorsitzenden des Vereins Gustav Arthofer und die Generalsekretärin Ursula Arthofer gegen die Kandidatur Rabls aus. In dem Brief, der dem STANDARD vorliegt, erinnert Gertner daran, dass Yad Vashem jede Verwendung des Namens Yad Vashem stets einer genauen Prüfung unterziehen müsse, um "Namen und Reputation" zu beschützen. Im Lichte "verstörender Berichte über den Hintergrund und die politische Zugehörigkeit" von Kandidaten erwarte man sich, dass die "Wahl ausgesetzt werde". Andernfalls werde man die Erlaubnis zur Verwendung des Namens der Gedenkstätte in Jerusalem (Yad Vashem heißt übersetzt sinngemäß "Hand/Denkmal und Name") entziehen.

Doch am Freitag erübrigte sich die ganze Aufregung der laufenden Woche: Der Linzer Bürgermeister Luger, der Listenerste, zog seine Liste zurück, womit auch die Kandidatur Rabls obsolet war.

"Aus die Maus" 

Luger begründete den Rückzug im Gespräch mit dem STANDARD am Freitag damit, dass der "ursprüngliche" Grund für seine Listenerstellung obsolet geworden war. Man fürchtete, so Luger, dass "die Auflösung des Vorstands und somit des Vereins vor der Tür stand, weil sich niemand für den Vorstand gefunden hat". Er und Rabl hätten dann "am Rande einer Veranstaltung die gemeinsame Idee gehabt, dafür zu kandidieren". Die "Reaktionen mancher zur Kandidatur Rabls haben mich schon überrascht", sagt Luger, "Rabl ist ja selbst seit zehn Jahren Mitglied des Vereins, aber jetzt ist es ohnehin vorbei: Aus die Maus."

Dass Rabl zum Beispiel den sogenannte Burschentag, ein dreitägiges Treffen mit Festkommers in der Welser Stadthalle – auch finanziell – unterstützte, obwohl einige der teilnehmenden Verbindungen nachgewiesene Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut aufzeigen, sieht Luger nicht als problematisch. Bei ihm in Linz dürfe immerhin "auch die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans, Anm.) im Volkshaus Veranstaltungen abhalten". Luger wurde in der Vergangenheit – auch innerhalb der SPÖ – dafür kritisiert, nicht genügend Distanz zum Avrasya-Verein der türkischen, antisemitischen "Grauen Wölfen" zu wahren.

Auch der Brief Gertners beeindruckt Luger nicht. "Der kam ja aus Israel", sagt er dazu. Auf die Frage, warum das überraschend sei, wenn doch auch Yad Vashem in Israel sitze, räumt Luger ein: "Israel darf natürlich zu allem eine Meinung haben, Israel ist bis zu einem gewissen Grad ein demokratisches Land."

Auf der Liste Lugers kandidierte übrigens auch der Dritte Landtagspräsident in Oberösterreich, Peter Binder von der SPÖ. Er sorgte zuletzt auch für parteiinterne Kritik, weil er auf einer Afterparty des Linzer Burschenbundballs als DJ auftrat.

Anti-Burschenschaft Demo in Wels 2021
Anti-Burschenschaft-Demo in Wels 2021.
Antifa Wels

Dass Lugers Liste die Organisation der Freunde von Yad Vashem mit ihrer Kandidatur bloß retten wollte, weil sonst niemand kandidierte, scheint bemerkenswert, wenn man den Eingang der Wahlvorschläge betrachtet. Luger Liste wurde nämlich erst am 31. Jänner eingebracht, einen Tag nach jener der Liste von sechs jungen Jüdinnen und Katholiken, an deren Spitze die Juristin Cartier Lea Nimni steht. Das beweist ein Schreiben des Ehepaars Arthofer an Vereinsmitglieder, das dem STANDARD vorliegt. (Colette M. Schmidt, 23.2.2024)