Aktionismus Brus Bregenz Malerei
Der Ausdrucksgehalt seiner wenig bekannten Malereien korrespondierte mit den ebenso überschießenden wie kalkulierten Aktionen: Günter Brus, "Staatsfeind" mit nervösem Strich.
Markus Tretter

Soll keiner sagen, dass der Ausbruch aus dem Bildformat ein Spaziergang gewesen wäre. Günter Brus betrieb ihn mit einer verstörenden Radikalität, die ihn in den 1960er-Jahren zum Staatsfeind, viel später dann zum Staatskünstler werden ließ. Alles musste raus, raus aus der Bigotterie, dem braunen Mief, der konservativen Enge: Die Wut aus der Seele, der Kot aus dem Körper, der Körper aus dem Bild.

Das ging bis hin zur Selbstverstümmelung und zur finalen Zerreißprobe im Jahr 1970, in der sich der gebürtige Steirer mit Rasierklingen ins eigene Fleisch schnitt und seine Wunden mit Urin übergoss. Es musste dann, nach gut sieben Jahren und um des eigenen Überlebens willen, aber auch wieder Schluss sein mit dieser exzessiven Körperkunst, der Verkörperung von Widerstand und Protest gegen gesellschaftliche Missstände und Machtverhältnisse. Die im Gesamtwerk von Günter Brus vergleichsweise kurze ist zweifellos auch die für die Brus-Rezeption prägendste Schaffensphase. Indem er den eigenen Körper zum Bildträger, Ausdrucksmittel und Malmaterial gemacht hat, wurde der Mitbegründer des Wiener Aktionismus auch zum Pionier der Body-Art. "Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis", sagte Brus selbst.

Rahmen sprengen

Paradigmatisch für den Weg dorthin erscheint nun im Kunsthaus Bregenz die in puncto Selbstverletzung und Verstörungspotenzial noch vergleichsweise harmlose Selbstverstrickung: Der Künstler kämpft, schält, quält sich durch den engen Rahmen des Tafelbildes und die Leinwand, verheddert sich – und wird, wie wir heute wissen, auch wieder ins Bildformat zurückkehren: als Zeichner und Bild-Dichter, in dessen Werk die dunklen Seiten, aber auch die Lächerlichkeit der menschlichen Existenz sowie die Auseinandersetzung mit der Literatur und mit malenden Literaten eine gewichtige Rolle einnimmt.

Das zeigt sich auch in der Retrospektive im Kunsthaus Bregenz, an der der Künstler von Graz aus noch aktiv mitgearbeitet hat. Knapp eine Woche vor der Eröffnung ist Brus 85-jährig gestorben, und man kann nun gar nicht anders, als die mit leeren Stühlen möblierten, kargen Räume, die einen im Erdgeschoß des KUB empfangen, sinnbildlich für die Abwesenheit des Künstlers zu sehen.

Günter Brus
Bei seinem bekannten "Wiener Spaziergang" 1965 wurde Günter Brus recht schnell von der Polizei aufgehalten.
Günter Brus, Kunsthaus Bregenz / Markus Tretter

Im Druckkochtopf

Es sind frühe, den Geist des Existenzialismus atmende Akademiearbeiten, mit denen die in Kooperation mit dem Grazer Bruseum entstandene, chronologisch aufgebaute Schau beginnt, Stockwerk für Stockwerk erklimmt man sodann die vielfältigen Brus’schen Schaffensphasen – und wähnt sich dabei mitunter in einem Druckkochtopf.

Bereits ganz unten, in der Zeit von 1958 bis 1960, brodelt und gärt es gewaltig unter noch an van Gogh geschulten Landschaftssujets. Ein wenig juvenile Großkotzigkeit ist auch dabei, wenn Brus sie mit "Ich bin der derzeit größte lebende Künstler" unterschreibt, man merkt aber viel eher am nervösen, fahrigen Strich, dass hier etwas im Aufbruch befindlich ist. Übrigens ist es Anna Brus zu verdanken, dass diese Blätter erhalten sind, Brus selbst hätte sie am liebsten vernichtet.

Ein Aufenthalt auf Mallorca mit Alfons Schilling und die Begegnung mit der US-amerikanischen Malerin Joan Merritt eröffnen Brus die Welt des abstrakten Expressionismus und markieren den Beginn einer Phase des Informel, in der er die Pinselschläge wie abwehrend aufs billige Packpapier peitscht.

Günter Brus
"Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis", sagte Brus selbst.
Günter Brus, Kunsthaus Bregenz / Markus Tretter

Mit hartem Schnitt

Brus habe jede Phase bis ins Letzte ausgereizt, um sie dann mit einem harten Schnitt zu beenden, sagt Bruseum-Leiter Roman Grabner im STANDARD-Gespräch. Das mag in formaler Hinsicht zutreffen, doch das Brodeln und Gären bleibt und steigert sich ein Stockwerk höher zu jener Phase des radikalen Dampfablassens, in der der Körper zum künstlerischen Medium und Mittel der Entgrenzung wird.

Die großen Klassiker und performativen Aktionen der Jahre 1964 bis 1970 sind hier versammelt, von der Selbstbemalung über die Selbstverstümmelung bis zum berühmten, von der Polizei beendeten Wiener Spaziergang, bei dem sich Brus als lebendes Gemälde durch die Wiener Innenstadt bewegt. Dass diese gespenstische, weiß getünchte Gestalt, die vom Scheitel bis zu Sohle von einer schwarzen Linie zerrissen zu werden scheint, auch als Sinnbild für die polarisierte Gegenwart taugt, wie KUB-Chef Thomas Trummer insinuiert, lässt sich durchaus unterschreiben.

Brus selbst hätte das wohl mit jenem Humor genommen, der sich auch durch seine Bild-Dichtungen und während der Pandemie-Zeit entstandenen Aquarelle zieht. Der wilde Widerständige entpuppt sich da mitunter auch als "Neurosenkavalier". (Ivona Jelcic, 21.2.2024)