Investigativjournalist Christo Grozev ist im vergangenen Jahr von Österreich in die USA gezogen.
Investigativjournalist Christo Grosew ist im vergangenen Jahr von Österreich in die USA gezogen.
APA/AFP/JULIEN DE ROSA

Christo Grosew ist ein großer Name im Investigativjournalismus. Der Bulgare mit Russland-Schwerpunkt beim Recherchenetzwerk Bellingcat war unter anderem mitverantwortlich dafür, dass die drei Angeklagten für den Giftmordanschlag gegen Sergej und Julia Skripal 2018 identifiziert wurden; ebenso zwei russische Offiziere, die für den MH17-Abschuss 2014 verurteilt wurden, sowie Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdiensts GRU, die hinter dem Umsturzversuch in Montenegro 2016 standen. Als sein und seines Teams bislang größter Coup gilt aber, jene Attentäter aufgespürt zu haben, die den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny 2020 mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet haben.

Nun ist Nawalny vor wenigen Tagen gestorben, unter dubiosen Umständen. Nicht überraschend, dass Grosew, der 2023 seine Wahlheimat Wien aus Sicherheitsgründen verlassen hat und in die USA gezogen ist, auch hier Licht ins Dunkel bringen will. Dem unabhängigen russischen Onlinemedium "Meduza" hat er erklärt, wie er diesmal vorgehen will. Auch dem "Falter" gab er dazu ein Interview.

Beweise leichter beseitigen

Demnach hat er Nawalnys Verlegung in die berüchtigte Strafkolonie Nr. 3 im Permafrost Sibiriens, mehr als 2.000 Kilometer von Moskau entfernt, als Vorbereitung gesehen für den Fall, dass Wladimir Putin sich für einen Anschlag auf den Oppositionellen entscheidet. Denn in der Abgeschiedenheit, so Grosew, sei es einfacher, Beweise zu beseitigen oder den Leichnam vor den Angehörigen zu verstecken.

Video: Julia Nawalnaja - die Hoffnung der russischen Opposition?
DER STANDARD

Bei der Aufdeckung des Anschlags vor vier Jahren kam man den acht mutmaßlichen Tätern, Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB, durch Passagierlisten von Linienflugzeugen, die Auswertung von Handyverbindungen sowie GPS-Daten auf die Schliche. Diese Daten kann man in Russland auf dem Schwarzmarkt zu erschwinglichen Preisen erwerben. Auch diesmal wollen Grosew und sein Team darauf zurückgreifen, auch wenn ihm klar ist, dass die russischen Behörden diesmal besser auf sie vorbereitet sein werden und entsprechende Informationen besser vertuschen oder deren Weitergabe gar verhindern wollen.

Aber: "Diesmal wird es vielleicht keine Flugdaten oder Rechnungen geben, die uns weiterhelfen, aber dafür Zeugen", so Grosew zu "Meduza". "Es ist eine Sache, die Täter in einer großen Stadt zu suchen. Es ist eine andere Sache, wenn ein FSB-Fahrzeug durch eine kleine Ortschaft fährt. Das wird von jedem Fenster gesehen." Außerdem, sagte er dem "Falter", gebe es mittlerweile "mehr Informanten, auch im FSB und bei den Strafbehörden". Denn dort steige das Unbehagen und die Opposition gegen den Ukrainekrieg. Deshalb geht er davon aus, dass die Verantwortlichen diesmal schneller gefunden werden als vor vier Jahren.

Möglicherweise Wiederholungstäter

Grosew vermutet außerdem, dass dasselbe FSB-Team von vor vier Jahren auch diesmal zum Einsatz gekommen sein könnte. Seinen Informanten zufolge seien die acht Agenten nach dem gescheiterten Anschlag auf Nawalny bestraft worden, indem man ihnen langweilige Arbeit gegeben und sie gut versteckt habe. "Es ist möglich, dass ihnen nun gesagt wurde: 'Kommt, Leute, erledigt jetzt den Job.'" Dadurch würde man auch auf Leute zurückgreifen, die bereits enttarnt worden sind, so Grosew, sodass man nicht andere Agenten dafür hätte einsetzen müssen.

Sobald ein Autopsiebericht veröffentlicht wird, werden er und sein Team eine mögliche Involvierung des FSB-Kriminalistik-Instituts prüfen, das auch für die Agenten des Nowitschok-Anschlags verantwortlich ist. "Wenn sie die Autopsie überwacht haben, ist es wahrscheinlich, dass sie auch für die Tat selbst zuständig sind", so Grosew, "und dann werden sie auch dafür sorgen, dass auf der Leiche keinerlei Spuren mehr zu finden sind."

Nicht einfach "verloren"

Auszuschließen ist für Grosew nur eines: dass Russland vom Tod Nawalnys Tod überrascht wurde. "Der FSB hat den Wert Nawalnys für Russlands Zukunft erkannt, in welcher Form dann auch immer. In einem möglichen Gefangenenaustausch wäre er wertvoll. Sie hätten ihn also nie einfach so 'verloren'."

Der Investigativjournalist erklärt, er wisse genau, weshalb "Putin Alexej getötet hat". Doch er überlasse es Nawalnys Witwe Julija Nawalnaja, dies publikzumachen. Von seinen Quellen in Russland habe er zudem erfahren, dass eine neue Welle an Repressionen und Tötungen bevorstehe und Putin "spezielle Pläne" für Oppositionsführer habe. In dem Fall, so Grosew, seien die inhaftierten Oppositionellen Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa "besonders gefährdet". (Kim Son Hoang, 21.2.2024)