Kinder im Heeresgeschichtlichen Museum
Bei der Aktionswoche wird auch das Fahrzeug gezeigt, in dem das Thronfolgerpaar 1914 einem Attentat zum Opfer fiel.
Heeresgeschichtliches Museum

"Was", fragt der Kulturvermittler die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler, "was ist Propaganda?" Zwei, drei Hände gehen hoch, die Antwort wirkt informiert: "Propaganda, das ist die Verbreitung von Fake News." Ja, auch. Aber im Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) geht es in dieser Woche um mehr: Die Klasse hat sich um eine Vitrine versammelt, in der Kriegsspielzeug aus dem Ersten Weltkrieg ausgestellt ist. Eine Puppe, die einen Soldaten in Infanterieuniform darstellt, liegt da. Und ein Brettspiel, das an das bekannte "Mensch, ärgere dich nicht" erinnert. Nur sind auf der Schachtel die Kaiser von Österreich und Deutschland abgebildet, Flaggen und kriegerische Symbolik auch auf dem Spielfeld – im Krieg hieß das Spiel "Wer wird siegen? Ein Kriegsspiel".

Wert des Friedens

In der Aktionswoche soll rund 100 Schulklassen nahegebracht werden, was Krieg bedeutet – und vor allem: welchen Wert es hat, wenn es keinen Krieg gibt. Dass es so lange keinen Krieg mehr auf österreichischem Boden gegeben hat, ist eine außergewöhnliche Phase in der Geschichte des Landes. Und im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung soll jungen Menschen klargemacht werden, wie wertvoll und wichtig es ist, die Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats zu verteidigen. Wenn nötig, auch militärisch.

Zunächst aber geht es für alle Klassen in den rechten Flügel des Museums, in dem der Erste Weltkrieg behandelt wird. Hin zu einem der Prunkstücke des Museums, dem Fahrzeug, in dem das Thronfolgerpaar am 28. Juni 1914 einem Attentat zum Opfer gefallen ist. Das weiß man aus dem Geschichtsunterricht – und auch, dass in der Folge der Krieg begonnen wurde. Was im Geschichtsunterricht untergeht: Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie von Hohenberg hatten drei Kinder – "die ersten Kriegswaisen des Weltkriegs", wird den jungen Leuten vermittelt. Am Ende waren es europaweit etwa sechs Millionen – genau weiß man es bis heute nicht.

Bollwerk und Flüchtlingslager

Dann weiter in den Saal, in dem eine Panzerkuppel aus der Festung Premysl ausgestellt wird: Die Stadt war nicht nur ein Bollwerk des Habsburgerreichs, sie war auch Flüchtlingslager – die Waisenhäuser dort waren überfüllt. Heute liegt die Stadt in Polen, und sie wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wiederum zur ersten Anlaufstelle für Flüchtlinge.

Georg Rütgen, der das Programm im HGM für Schülerinnen und Schüler ab der achten Schulstufe erstellt hat, erklärt: "Wir haben gesehen, dass das Thema Krieg in eine immer abstraktere Perspektive gerückt und teilweise idealisiert wird. Als wir vor 14 Jahren das Vermittlungsprogramm 'Kinder im Krieg' begonnen haben, haben wir erlebt, dass Kinder mit durchaus realistisch ausschauenden Spielzeugpistolen dahergekommen sind. Bezugspersonen, die Krieg noch in Österreich erlebt haben, gibt es immer weniger."

Jugendliche
Im Heeresgeschichtlichen Museum soll jungen Besucherinnen und Besuchern der Wert des Friedens nähergebracht werden.
HBF/Daniel Trippolt

Zeugen des Krieges

Aber es gibt diese Zeugen des Krieges – und speziell von Auswirkungen des Krieges auf Kinder und Jugendliche – unter Migranten. Vladyslav Nynich zum Beispiel: Der junge Künstler, der kürzlich seinen 24. Geburtstag feierte, hat 2017 seine militärische Ausbildung in Saporischschja erhalten und ist 2022 zurück in die Ukraine gegangen, um sein Land zu verteidigen. Nach einer Verwundung lebt er jetzt wieder in Wien und gibt seine Erfahrungen aus dem Spannungsfeld zwischen Kindern, Waffen und Krieg an die Schulklassen weiter. Thematisiert wird dabei auch die Kriegsbegeisterung – anhand von Objekten aus dem Ersten Weltkrieg kann man sehen, wie junge Männer vor 110 Jahr mit Begeisterung zu den Waffen gestürmt sind, obwohl sie teils noch Kinder waren.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Bildungsminister Martin Polaschek (beide ÖVP) besichtigten im Rahmen der Aktionswoche das HGM Mittwoch. Im Rahmen des Verfassungsgebots zur Umfassenden Landesverteidigung (ULV) haben die Minister inzwischen die Teilkomponente Geistige Landesverteidigung reaktiviert. Dabei wollen sie zwei Ziele unter einen Hut bringen: einmal den Auftrag, Verständnis für die Schrecken des Krieges sowie die von ihm Betroffenen zu wecken, und auf der anderen Seite das staatliche Interesse, die Wehrbereitschaft zur Erhaltung des Friedens zu fördern. Beides, ohne in die Kategorie der Propaganda zu verfallen.

Der Kulturvermittler vor der Vitrine mit dem Kriegsspielzeug betont vor seinem jungen Publikum, dass bei Kindern das kritische Denken noch nicht so ausgeprägt ist – weswegen sich Propaganda oft besonders an ganz junge Menschen gewendet hat. In einem freien Land gelte es zu lernen, wo Information endet und wo Propaganda beginnt. Die Möglichkeit zur freien Diskussion darüber – das wäre schon etwas, das es zu verteidigen lohnt. (Conrad Seidl, 21.2.2024)