Königskobra Kopf
Königskobra in Angriffsposition: Beißt die südostasiatische Schlange einen Menschen, endet das meist tödlich. Dann erleidet das Opfer binnen 20 Minuten bis zwölf Stunden einen Atemstillstand.
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Giftschlangen gehören wie Treibsand und Piranhas zu jenen Gefahren, die uns als Kinder größer erscheinen, als sie es im europäischen Alltag sind. In Österreich kann man nur zwei giftige Schlangenspezies in freier Wildbahn treffen (Kreuzottern und Europäische Hornottern). Ihr Biss ist nur in seltenen Fällen lebensbedrohlich. Anders sieht das in Asien, Afrika und Australien aus. Weltweit sterben pro Jahr mehr als 100.000 Menschen an Vergiftungen durch Schlangenbisse – das sind viel mehr Tote, als die Infektionskrankheit Ebola je verursacht hat. Eine neue Forschungsarbeit stellt nun einen vielversprechenden Stoff vor, der gegen einen großen Teil der Schlangengifte helfen könnte.

Von Schlangen gebissen werden jährlich mehr als fünf Millionen Menschen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt. Bei 1,8 bis 2,7 Millionen Fällen handelt es sich um Vergiftungen. 80.000 bis 140.000 Personen sterben an den Folgen, etwa dreimal so viele überleben mit Amputationen und anderen dauerhaften Beeinträchtigungen. Die meisten kommen in Afrika, Asien und Südamerika vor.

Jordanischer Schlangenjäger melkt eine Giftschlange
Schlangenmelken in Jordanien. Giftschlangen sorgen vor allem in Afrika, Asien und Südamerika für hunderttausende Todesfälle pro Jahr.
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Gegengifte sind also dringend nötig und vor allem in entlegenen Gebieten schwierig zu beschaffen. Bisher werden viele Schlangen-Gegengifte so hergestellt: Ein Tier wird gegen das Gift einer bestimmten Schlangenart immun gemacht, aus seinem Blut gewinnt man das Gegenmittel. Auch für die alternative Herstellung eines Schlangen-Antidots liefert die Studie des Immunologen Joseph Jardine vom Scripps Research Institute in La Jolla (USA) und seines Teams neue Möglichkeiten, wie sie im Fachjournal "Science Translational Medicine" schreiben.

Lähmende Toxine

Die Forschungsgruppe sah sich Gifte von Mambas, Kobras und anderen Schlangen aus der Familie der Giftnattern an. In all diesen Arten kommt die Gruppe der hochgiftigen Drei-Finger-Toxine vor, die Ganzkörperlähmungen verursachen. Diese Proteine haben Bereiche, die sich über die unterschiedlichen Spezies hinweg ähneln – ein guter Angriffspunkt für Gegenmittel.

Monokelkobra im Gras
Für die Studie wurde unter anderem das Gift der Monokelkobra verwendet.
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Jardine und seine Kolleginnen und Kollegen stellten zuerst verschiedene Drei-Finger-Toxine im Labor her. Ein Protein des Vielgebänderten Kraits, der in Ostasien vorkommt, hatte die größten Ähnlichkeiten mit den anderen Giftproteinen. Dann testeten sie es auf einer eigens entwickelten Plattform mit mehr als 50 Milliarden menschlichen Antikörpern, um zu sehen, welche diesen Giftstoff und weitere vielversprechende Drei-Finger-Toxine blockieren. Die stärksten Wechselwirkungen hatte ein Antikörper mit der Bezeichnung 95Mat5.

Cocktail gegen alle Schlangengifte

Dieser stellte sich auch in den folgenden Mausversuchen als effektiv heraus. Mäusen wurde Gift vom Vielgebänderten Krait sowie von den beiden längsten Giftschlangen der Welt injiziert, der Königskobra und der Schwarzen Mamba, die auf 4,50 Meter und mehr kommen können. Wenn ihnen dabei auch der Antikörper verabreicht wurde, überlebten sie die Prozedur und blieben vor Lähmungen verschont. Der Antikörper wurde synthetisch hergestellt, dafür mussten also weder Schlangen gemolken noch andere Tiere zur Immunisierung verwendet werden.

Schwarze Mamba
Die Schwarze Mamba wurde nicht nach ihrer Schuppenfarbe benannt, sondern nach ihrem schwarzen Mundraum.
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"Dieser Antikörper wirkt gegen eines der wichtigsten Toxine, das bei zahlreichen Schlangenarten vorkommt und jedes Jahr zu zehntausenden Todesfällen führt", sagt Joseph Jardine. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen treten die meisten Todesfälle und Verletzungen durch Schlangenbisse auf. Für sie könne das also besonders nützlich sein und viele Leben retten.

Der Vorteil eines Universal-Gegengifts wäre freilich auch, dass es für viele Fälle einsetzbar ist und man nicht dafür sorgen müsste, dass in entlegeneren Regionen gleich mehrere unterschiedliche Gegengifte auf Lager sind. Gegen Vipern – die zweite Gruppe der Giftschlangen – wirkt der 95Mat5-Antikörper allerdings nicht. Die Kombination dieses Stoffs mit anderen Antikörpern, ein Antidot-Cocktail, könnte aber gegen viele, vielleicht sogar alle Schlangengifte helfen.

Wenn das Gegenmittel tötet

Ob die Substanz hält, was die Studie verspricht, wird sich noch herausstellen. Erst kürzlich erschien im Fachjournal "Nature Communications" eine Studie zu einem Wirkstoff, dem Fachleute ebenfalls gute Chancen gegen Schlangengifte zubilligten. Doch in einer späten Testphase stellte sich heraus, dass das Mittel die Effekte des Gifts sogar verstärkte: Hatte ein Antikörper ursprünglich im Tierversuch an Mäusen geholfen und Schäden an Muskeln verhindert, verschlimmerte er in späteren Tests die Lage und tötete die Tiere. So etwas hat es laut einem beteiligten Toxikologen der Universität Costa Rica noch nie gegeben.

Woran die Verstärkung des Gifts liegt, ist nicht abschließend geklärt. Das Team vermutet, dass der Giftstoff den Antikörper als Taxi nutzt und sich so ins Innere von Zellen schmuggeln kann. Ähnliche Wirkungen sind auch vom Milzbranderreger bekannt. Mit der Studie wollen die Expertinnen und Experten andere Fachleute dazu ermutigen, jene Tests, die den schädlichen Effekt enthüllten, während der Arzneimittelentwicklung schon früher durchzuführen.

Weitere Experimente werden auch rund um das Protein 95Mat5 untersuchen, ob es wirklich als sicherer Wirkstoff gegen Schlangenbisse taugt. Das hofft das Forschungsteam und setzt seine Arbeit an Gegengiften für Giftnattern und Vipern fort, um Menschen besser vor den Folgen der gefährlichen Bisse zu schützen. (Julia Sica, 24.2.2024)