Radu Jude
Angela – eine Journalistin mit Doppelexistenz, die immer auf der Suche nach geilen Storys ist.
Radu Jude (c) Filmgarten

Unter allen freien Journalistinnen in Rumänien ist eine junge Frau namens Angela wahrscheinlich die freieste. Das Telefon schaltet sie nie aus, denn es kann jederzeit ein Auftrag hereinkommen, und dann fährt sie wieder los zu einer Familie irgendwo in der Pampa, um dort einen Sozialporno auf den Weg zu bringen. Ab und zu hat sie Sex, das muss aber zwischendurch und im Auto erledigt werden. So viel zum Thema Beziehung.

Eine einzige Ablenkung gestattet sie sich: Dann legt sie auf Instagram einen Glatzenfilter über ihren kunstblonden Schopf, und in dieser Maske eines männlichen Hools lästert sie so richtig derb ab. Die deutschen Untertitel haben da im Grunde kaum eine Chance, sie geben nur eine Ahnung von dem Slang, den Angela draufhat. Man könnte also auch ein bisschen Gossen-Rumänisch lernen mit Radu Judes neuem Meisterwerk.

Neue rumänische Welle

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt heißt der Film und erzählt eine Geschichte aus einem Land, das als Kolonie am östlichen Rand von Europa irgendwie durchzukommen versucht. Angela ist das äußerste Glied in einer langen Kette von Abhängigkeiten: Fernsehsender, die Konzernen in Mitteleuropa gehören, schicken übernächtigte Honorarkräfte durch die Gegend und lassen Arbeitsunfälle protokollieren, in denen sich weitere Ausbeutungsverhältnisse zu erkennen geben.

Das rumänische Kino hält sich angesichts dieser desaströsen Mediensituation im Land schon seit vielen Jahren erstaunlich wacker. Seit den Nullerjahren spricht man sogar gelegentlich von einer Neuen Welle rumänischer Filmkunst.

Cristian Mungiu, Cristi Puiu, Corneliu Porumboiu: Dieses Kino ist vorwiegend männlich, intellektuell ambitioniert und schillert zwischen Geniearroganz und konzeptuellem Witz. Radu Jude hat sich in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren als Guerillakünstler hervorgetan. Nach einigen konventionellen, sogar potenziell staatstragenden Kunstfilmen wie Aferim! und Vernarbte Herzen (nach einem Buch von Max Blecher) überraschte er 2018 mit dem geschichtspolitischen Experiment Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen.

Trailer ERWARTE NICHT ZU VIEL VOM ENDE DER WELT (Radu Jude, OmdU)
Filmgarten

Einer der besten Filme über Covid

2021 ließ er Bad Luck Banging or Loony Porn folgen, einen der besten Filme, die es bisher über Covid gibt. Seither scheint Jude mit seiner Arbeit immer noch weiter zu beschleunigen, angetrieben von einer radikalen, scharfen Intelligenz und einem anarchischen Spaß an den Möglichkeiten des digitalen Kinos. In Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt gibt es einmal eine Videokonferenz, in der Nina Hoss als Vertreterin des österreichischen Mutterkonzerns zugeschaltet wird. Eine räudigere Variante des Homeoffice-Kapitalismus wird man nicht so schnell zu sehen bekommen, das Über-Ich aus der Cloud zeigt seine hässliche Fratze.

Der Graben zwischen dem Virtuellen und der harten Wirklichkeit wird dann aber auch überbrückt: Milena Goethe, so heißt die Executive Lady im Film, kommt persönlich nach Bukarest – und wer muss sie herumkutschieren? Natürlich Angela, jene Mitarbeiterin, die niemals schläft. Radu Jude baut noch allerlei weitere Anspielungen auf die medialen Hierarchien in Europa ein. Ein Höhepunkt ist sicher eine Episode, in der Uwe Boll (bekannt als "der schlechteste Regisseur der Welt") sich in Rumänien wichtigmacht. In Österreich, wo die Politik verlässlich jede populistische Schikane gegenüber dem südosteuropäischen EU-Partner ausprobiert, sollte Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt geradezu ein dringendes Pflichtprogramm sein.

Beim Kinopublikum hat sich ohnehin schon herumgesprochen, dass Radu Jude ein Großer ist. Er macht Kino für die Generation Tiktok: algorithmensprengende Subversion. (Bert Rebhandl, 22.2.2024)