Kopenhagen im Jahr 2050: Menschen radeln mit Bambusfahrrädern in die Stadt, Touristen schlürfen Kaffee aus essbaren Bechern und löffeln Salate aus hydroponischem Anbau, abends trifft man sich in den begrünten Holzhäusern zu Kleidertauschpartys. Textilien, Küchengeräte und Rasenmäher werden so selbstverständlich geteilt wie Lastenräder und Wohnungen, die tagsüber zum Coworking-Space umfunktioniert werden. Besitz spielt kaum noch eine Rolle.

Seitdem die Regierung das Recht auf Reparatur per Gesetz verabschiedet hat, haben sich zahlreiche Repairshops in der Innenstadt etabliert, die alte Handys wieder auf Vordermann bringen. Autonome, wasserstoffbetriebene Kehrmaschinen, die als einige der wenigen eine Fahrerlaubnis in der autofreien Stadt haben, fegen das Laub der Birkenalleen zusammen und transportieren es mit Gartenabfällen in das nahe gelegene Biomassekraftwerk, wo daraus klimaneutrale Energie gewonnen wird.

Rund 350 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert die Welt jedes Jahr.
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Smarte Mistkübel, die automatisch ihren Füllstand melden, existieren nicht mehr, weil die Stadt den Müll abgeschafft hat: Plastiksackerln gibt es nur noch im Historischen Museum zu bestaunen, Behörden und Unternehmen verschicken längst papierlose elektronische Post, und Spamfilter haben kaum noch etwas zu tun, seitdem auf Mails eine Portogebühr erhoben wurde. Frittenfett wird zu Biotreibstoff verarbeitet, Sperrmüll zu Stadtmöbeln upgecycelt, und der wenige organische Abfall, der im Haushalt anfällt, wird über unterirdische pneumatische Rohre in eine nahe gelegene Biogasanlage gepumpt, die zusammen mit der Abwärme von Rechenzentren die Häuser heizt.

Immer mehr Müll

So könnte die Zukunft der müllfreien Stadt aussehen. Allein, von dieser Öko-Utopie ist die Gesellschaft weit entfernt. Elektroschrott, Verpackungsmüll, Restmüll, Sperrmüll, Giftmüll, Atommüll – die Welt erstickt im Abfall. Und keiner weiß, wohin damit. Jedes Jahr landen rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel unverbraucht im Müll. Zu viel gekaufte Joghurts, die achtlos im Kühlschrank verschimmeln, oder noch genießbares Obst, das kistenweise von Supermärkten entsorgt wird, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.

Hinzu kommen jährlich 350 Millionen Tonnen Plastikmüll. Auch bei anderen Produkten geht die Wegwerfgesellschaft verschwenderisch mit Ressourcen um. Kleidung, die noch gut erhalten ist und kaum getragen wurde, wird weggeworfen, weil die nächste Billigmode schon im Schaufenster steht. Fast Fashion kennt keine Pause. Mehr als 15 Kilogramm Textilmüll produziert jeder Europäer im Durchschnitt pro Jahr. Bis 2030 könnten es 30 Kilogramm pro Person sein, schätzt die Managementberatung McKinsey.

Und dann wäre da noch der Elektroschrott: 5,3 Milliarden Handys wurden allein im Jahr 2022 weggeworfen. Doch der Abfall ist ja nicht einfach weg, wenn in den Container geworfen wird, auch wenn das der Begriff der "Entsorgung" suggeriert, sondern landet über schmutzige Umwege auf Mülldeponien in Entwicklungsländern. In Ghana schlachten Kinder den giftigen Elektroschrott aus, um in alten TV-Geräten und Handys an begehrte Rohstoffe wie Gold oder Seltene Erden zu gelangen, in Indien sind die Müllberge mittlerweile höher als das Taj Mahal, und im Pazifik treiben in einem Müllstrudel, dessen Fläche gut 20-mal so groß wie Österreich ist, alte Plastikflaschen, Fischernetze und Zahnbürsten, die als Mikroplastik über Fische zurück in die Nahrungsmittelkette gelangen.

Abfall ist eine neue Erfindung

Lange wurde weiterhin produziert und konsumiert, doch allmählich setzt ein Umdenken ein: Die EU hat Einwegplastik verboten, für viele Verbraucher ist es inzwischen normal, mit Holzbesteck zu essen oder Erfrischungsgetränke aus Trinkhalmen zu schlürfen, die aus Stroh oder Bambus produziert wurden. Unter dem Stichwort Kreislaufwirtschaft werden schon seit den 1980er-Jahren Modelle diskutiert, die unter Schonung von Ressourcen die Nutzung von Produkten verlängern und so Müll auf ein Minimum reduzieren. Die Idee: Wirtschaft in Kreisläufen organisieren.

Wie das konkret aussieht, zeigt ein Bauprojekt im dänischen Aarhus: Dort entstehen aus recycelten Baustoffen wie alten Autoreifen, Kork und Zeitungen klimafreundliche Sozialwohnungen. Als Dämmmaterial dienen Algen. Kostbare Ressourcen, die sonst auf irgendwelchen Deponien gelandet und verbrannt worden wären, wurden durch Wiederverwertung bzw. Umnutzung dem wirtschaftlichen Kreislauf wieder zurückgeführt. In Paraguay haben Kinder aus Abfallresten einer Mülldeponie Musikinstrumente gebastelt: Aus einem Ölfass wurde der Korpus eines Cellos, aus einer verbogenen Küchengabel der Saitenhalter einer Violine. Aus Müll wird Musik.

Die Kulturhistorikerin Susan Strasser schreibt in ihrem Buch "Waste and Want: A Social History of Trash" (1999), dass es Abfall bis weit ins 19. Jahrhundert praktisch kaum gab. Lebensmittelabfälle wurden in den USA bis 1870 an Schweine, Gänse und Haushühner verfüttert (auch in Städten) oder zu Seife und Kerzen weiterverarbeitet, Tierknochen zu Messer, Haarschmuck und Knöpfen sowie zu Dünger aufbereitet, Gummi von Schuhsohlen und Booten recycelt. Rohstoffe waren wertvoll. Flaschen wurden wiederbefüllt, Hausierer und Trödler zogen durch die Lande und brachten Secondhand-Ware wie Silberlöffel oder Kupferkabel an den Mann. So gesehen war die vorindustrielle Zeit eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Erst mit der Industrialisierung änderte sich das: Fabriken produzierten Massenware, Menschen strömten in die Stadt und häuften Besitztümer an.

Im Kreis geführt

Mehr Menschen und weniger Platz bedeuten auch: mehr Müll. Wo Dünger industriell hergestellt wurde, fehlte für Knochen die Weiterverwendung – die Stadtbewohner warfen ihren Müll auf die Straßen. Die Folge: Krankheiten und Seuchen. Erst im 19. Jahrhundert wurden im Rahmen von Hygienemaßnahmen die ersten Müllverbrennungsanlagen errichtet. Damit wurde Abfall zum Treibstoff der Wirtschaft. "Müll und Müllherstellung wurden auf völlig neue Weise zu einem integralen Bestandteil der Wirtschaft", schreibt Strasser in ihrem Buch. "Das Wachstum von Märkten für neue Produkte hing in Teilen von der kontinuierlichen Entsorgung alter Dinge ab." Nur wer wegwirft, kann wachsen. Anders gewendet: Abfall ist der Preis unseres Wohlstands. Bloß: Wie will man aus dem Teufelskreis ausbrechen?

Der Umbau von einer Linearwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft bedeutet nicht zwangsläufig eine Rückkehr zu vorindustriellen Produktionsweisen. Wenn es gelingt, Nachhaltigkeit schon im Designprozess mitzudenken, muss man sich um Abfallprobleme am Ende eines Lebenszyklus schon gar nicht mehr kümmern. So haben Studenten aus den Niederlanden vor einigen Jahren ein biologisch abbaubares E-Fahrzeug in Leichtbauweise entwickelt, das mit aus Zuckerrüben gewonnenem Flüssigkunststoff hergestellt wurde. Bis auf die Reifen müsste das Fahrzeug am Ende seines Lebenszyklus nicht verschrottet werden. Nachteil: Das Material bricht, weshalb das Bio-Fahrzeug keinen Crashtest bestehen würde.

Doch die Materialwissenschaft macht erstaunliche Fortschritte. So gibt es mittlerweile Fliesen, die aus den Resten abgeernteter Maiskolben hergestellt werden. Künftig könnten auch Gebäude auf pflanzlicher Basis errichtet werden: In Hongkong werden Gerüste von alters her aus Bambus gezimmert, und auch im Westen werden Lehm und Holz als nachhaltige Baustoffe von Architekten neu entdeckt. Das durchschnittliche Bürogebäude aus Glas und Beton hat eine Lebensspanne von 40 Jahren, danach ist es Müll. Vielleicht gelingt es mit biogenen Rohstoffen, in Zukunft nicht nur anders zu bauen, sondern auch anders zu produzieren. Dann könnte der Traum einer müllfreien Gesellschaft irgendwann Wirklichkeit werden. (Adrian Lobe, 24.2.2024)