Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, im Jänner dieses Jahres bei der Vereidigung für seine zweite Amtszeit.
Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, im Jänner dieses Jahres bei der Vereidigung für seine zweite Amtszeit.
AFP/ARSENE MPIANA

Fast ein Jahr lang hatten die 50 Frauen die Farm aufgebaut, die ihnen ihre Zukunft im Ostkongo sichern sollte. Dann näherten sich die Kämpfer der M23-Miliz immer mehr ihrem Dorf. Im Dezember flüchteten die ersten Frauen, im Jänner die letzten. Die Ernte, Mais und Bohnen, haben sie verloren. Und, weit schlimmer: ihre Hoffnung.

Die Menschenrechtsaktivistin Grâce Maroy ist selbst in der Gegend nahe der Millionenstadt Goma aufgewachsen. 35 Jahre ist sie alt, ein Leben in immer neuen Krisen, aber so schlimm wie derzeit war es selten. Maroy hatte mit ihrer Organisation Mwanamke Kesho den Frauen tatkräftig geholfen – und erlebte nun, wie das Aufgebaute eingerissen wurde. "Es zerbricht einem das Herz", sagt Maroy am Telefon.

Gerade ist sie in Brüssel, zusammen mit anderen jungen Aktivisten aus dem Konfliktgebiet der Afrikanischen Großen Seen. Seit drei Jahren nimmt die Kongolesin am EU-finanzierten Projekt "Great Lakes Network for Dialogues and Peace" teil, das die Zivilgesellschaft aus teils rivalisierenden Staaten regelmäßig zusammenführen soll. Mit dabei auch ein Mann aus Ruanda, dem Land, mit dem der Kongo am Rand eines Krieges steht. „Wir haben lange Diskussionen", sagt Maroy, "die Situation belastet natürlich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen."

"Wie Adolf Hitler"

Im Dezember war der Präsident des Kongos, Félix Tshisekedi, mit brachialer Kriegsrhetorik gegen Ruanda aufgefallen. In Richtung des dortigen Staatsoberhauptes Paul Kagame polterte er, dieser verhalte sich "mit seinen expansionistischen Zielen wie Adolf Hitler". Und Kagame werde auch so enden, versprach Tshisekedi, drohte mit dem Vormarsch seiner Armee bis in Ruandas Hauptstadt Kigali.

Das war im kongolesischen Wahlkampf, im Zuge dessen die Temperatur populistischer Aussagen bekanntlich steigt – und de facto ist die Armee des riesigen Kongo der des winzigen Ruanda unterlegen. Inzwischen wurde der wiedergewählte Tshisekedi für seine zweite Amtszeit vereidigt. Doch die internationale Gemeinschaft ist angesichts der humanitären und militärischen Krise im Ostkongo und des eskalierenden Konflikts der beiden Länder eher noch alarmierter als im Dezember.

Der Kongo wirft Ruanda finanzielle und logistische Unterstützung der M23-Miliz vor, die im Ostkongo im Kampf mit kongolesischen Regierungstruppen zuletzt Territorialgewinne erzielen konnte. Es zirkulieren Satellitenfotos, die angeblich die Präsenz ruandischer Truppen auf kongolesischem Staatsgebiet belegen. Seit die Rebellen vor zwei Jahren wieder zu den Waffen gegriffen hatten, wurden rund eine Million Menschen vertrieben, zahlreiche Zivilisten wurden getötet. Besonders während der vergangenen Monate eskalierten die Kämpfe.

Vernachlässigte Krise

Ruanda bestreitet derartige Vorwürfe gebetsmühlenartig, wohlwissend um seine begrenzte Glaubwürdigkeit. Frankreich forderte das Land am Dienstag ungewöhnlich deutlich auf, "alle Unterstützung für die M23 einzustellen und sich aus dem kongolesischen Territorium zurückzuziehen". Die USA sagten vor dem UN-Sicherheitsrat, beide Länder befänden sich "am Rande eines Krieges" und appellierten für Frieden. Repräsentanten der Vereinten Nationen sprechen von "einer der am meisten vernachlässigten Krisen der Welt". Die Nachrichtenagentur AFP zitierte kürzlich aus einem UN-Bericht, wonach eine "mutmaßliche Boden-Luft-Rakete der ruandischen Streitkräfte (RDF)" aus einem gepanzerten Fahrzeug in einem von der M23 kontrollierten Gebiet abgefeuert worden sei.

Kigali hat eine Truppenpräsenz im Kongo nie zugegeben. Doch die Reaktion auf die Vorwürfe spricht Bände – sie liest sich wie ein indirektes Eingeständnis. Das Außenministerium teilte mit, seine Truppen würden Ruandas Territorium verteidigen, weil Kongo an der Grenze "eine dramatische militärische Aufrüstung" vollziehe. In dem Statement ist auch von einer Bedrohung der nationalen Sicherheit die Rede. Die FDLR-Hutu-Miliz sei schließlich "vollständig integriert" in Kongos Armee. Einige der FDLR-Anführer haben nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am Genozid in Ruanda teilgenommen. Im Jahr 1994 wurden dort binnen weniger Monate 800.000 Menschen getötet, die meisten davon gehörten zur Tutsi-Minderheit des Landes.

Die komplexe Lage im Ostkongo wird zu allem Überfluss vom Rücktritt des Premierministers Jean-Michel Sama Lukonde erschwert. Offiziell wurde dieser mit Regelungen der Verfassung begründet. Nach der Wahl musste sich Lukonde zwischen seinem Posten und dem Mandat als Abgeordneter entscheiden. Die Wahl für die zweite Option stürzt Tshisekedis Regierung nun in eine weitere Krise, zumal auch mehrere Minister ihren Rücktritt verkündeten.

"Doppelmoral" des Westens

In Goma, wo viele Zuflucht gesucht haben, droht derweil eine humanitäre Katastrophe. Die M23 kontrolliert und besteuert zentrale Zufahrtswege, entsprechend explodieren die Preise. Es mangelt an sauberem Wasser, es gab einen dramatischen Anstieg an Cholerafällen.

Seit Tagen diskutiert Maroy mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments die aus ihrer Sicht zu lasche Haltung des Westens gegenüber Kagame, der besonders für die USA als einer der wichtigsten afrikanischen Verbündeten gilt. Die aktuellen Statements aus Frankreich und den USA gehen ihr nicht weit genug, sie fordert klarere Worte, klarere Sanktionen, die Einstellung finanzieller Unterstützung für Ruanda. "Sie wollen von uns eine klare Position gegen Russland, aber halten den Mund, wenn es um Ruanda geht", sagt sie. "Das ist eine Doppelmoral."

Manchmal fühlt sie sich regelrecht wie im falschen Film. Eine Abgeordnete habe mit ihr über den Klimawandel reden wollen, sagt Maroy. Das Thema liege ihr natürlich am Herzen. "Aber wenn man beten muss, dass man am nächsten Tag noch lebt, dann denkt man nicht über die Erderwärmung nach." (Christian Putsch, 26.2.2024)