Am frühen Freitagnachmittag trudeln immer mehr Menschen im hotellobbyähnlichen Erdgeschoss des ukrainischen Communitycenters ein: Frauen mit Kindern, ältere Damen und Herren mit ihren erwachsenen Töchtern, auch viele Senioren und Seniorinnen. Letztere kommen häufig allein, holen sich an der Bar gratis Tee und Muffins und warten auf einem der roten, gelben und grauen Fauteuils auf Bekannte.

Zwei Ukrainerinnen halten in der Kleiderausgabe des Communitycenters von Train of Hope in Wien eine  Hut mit der Aufschrift
Fabia und Svetlana aus der Ukraine organisieren im Communitycenter die Kleiderausgabe. Spenden dafür sind willkommen.
Foto: Regine Hendrich

"Für viele ist das hier ein Ort, wo sie hingehen und neue Freunde kennenlernen können – und wo dies kein Geld kostet", sagt Nina Andresen, Leiterin der Einrichtung im Wiener 15. Bezirk. Drei Stockwerke wurden dort von der NGO Train of Hope in einem modernen Haus angemietet.

Zur Diaspora geworden

Finanziert wird das Zentrum über Spenden und eine Teilförderung des Fonds Soziales Wien. Für 2024 sind die Gelder vom Land noch nicht bewilligt.

Im Communitycenter manifestiert sich die fortgesetzte Dauer des Krieges in der Ukraine. Man sieht, dass aus der großen Fluchtbewegung nach dem russischen Überfall vor zwei Jahren eine Diaspora geworden ist. Die Menschen hier gehen vielfach von einem langen Aufenthalt in Österreich aus und entwickeln entsprechende Strategien.

Karte mit Aufschrift
"Ruhm der Ukraine": Dieser Slogan verbindet hier alle Besucherinnen und Besucher.
Foto: Regine Hendrich

An einem Tisch sind zwei ältere Herren in ihr Schachspiel versunken. Laut Andresen kommen sie fast täglich und spielen stundenlang. Im zweiten Stock lernen Frauen bei einer Ukrainerin Deutsch. Die Zweisprachigkeit des Kurses helfe ihnen sehr, erklärt eine dolmetschende Dame. Darunter, im ersten Stock, lädt ein großer Kinderspielraum zum ungestörten Herumtoben ein.

Enge Wohnverhältnisse

Das Ungestörtsein – und dadurch andere nicht stören – ist laut Hausleiterin Andresen ein großes Bedürfnis unter ihren Klientinnen und Klienten. Das hat mit deren beengter Wohnsituation zu tun.

Rund 80 Prozent der Ukraine-Vertriebenen leben nach wie vor in den Zimmern und Kabinetten, die ihnen solidarische Menschen zur Verfügung gestellt hatten, als sie 2022 nach Österreich kamen. Oft drängen sich mehrere Personen in einem Raum. Vor zwei Jahren waren viele Anbieter von höchstens mehreren Monaten mit den Mitbewohnenden ausgegangen.

Zwei ältere Herren spielen im Communitycenter für Ukraine-Vertriebene in Wien Schach
Schachspielen in der Diaspora: Diese beiden Herren kommen fast täglich ins Zentrum.
Foto: Regine Hendrich

Doch aus dem Provisorium wurde ein Fixzustand. "Viele, die hierher ins Zentrum kommen, versuchen, so wenig wie möglich daheim zu sein. Sie wissen, dass sie ihren Gastgebern inzwischen ziemlich zur Last fallen", sagt Andresen.

Hürden in den Weg gestellt

Die miese Versorgung mit Wohnraum der rund 70.000 in Österreich als Kriegsvertriebene lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer ist das Symptom eines umfassenden Problems: An der rechtlichen und sozialstaatlichen Lage der vor den Bomben geflohenen Menschen hat sich seit Beginn der Fluchtbewegung viel zu wenig geändert.

Sie müssen mit Regelungen zurechtkommen, die ihnen zwar in den Wochen und Monaten nach ihrer Ankunft genug Absicherung boten – den Status als Kriegsvertriebene sowie die Grundversorgung (siehe Kasten unterhalb). Jetzt aber, wo es um längerfristige Existenzgründung in Österreich geht, stellt ihnen das eine Reihe Hürden in den Weg.

Keine Sozialhilfe

So etwa einer jungen, alleinerziehenden Frau, die ins Communitycenter kam, um sich beraten zu lassen. Sie arbeitet Teilzeit, denn anders könnte sie die Betreuung ihrer Tochter nicht stemmen. Der Vater des Kindes ist im wehrfähigen Alter und darf aus der Ukraine nicht ausreisen.

Nun ist ihr Arbeitgeber in finanzielle Bedrängnis geraten, Kündigungen stehen im Raum. Sollte auch die junge Frau ihren Job verlieren, müsste sie nahtlos einen neuen Arbeitsplatz finden. Das Arbeitslosengeld nämlich – 55 Prozent des Nettotageslohns – würde Miete und Essen nicht decken, und Aufstockung aus der Sozialhilfe gibt es für sie nicht: Der EU-weit geltende Kriegsvertriebenenstatus sieht zwar den Arbeitsmarktzugang der Geflohenen vor – nicht aber ihre Einbeziehung in andere soziale Absicherungsnetze.

NGOs fordern dringend Änderungen

Ohne raschen neuen Job würde besagte Alleinerziehende daher wohl wieder in die Grundversorgung zurückfallen. Sie und ihr Kind würden in Wien maximal 620 Euro pro Monat erhalten. Bundesweit wurden Mitte Jänner 2024 laut Bundesbetreuungsagentur rund 40.000 Ukraine-Vertriebene grundversorgt. Vollversichert angestellt waren laut Österreichischer Gesundheitskasse hingegen nur 16.311, geringfügig beschäftigt 3.500 Personen.

Laut Zentrumsleiterin Andresen zeigen diese Zahlen, dass "viele Ukraine-Flüchtlinge in Österreich jetzt verarmen, mit allen psychischen und sozialen Folgen". Abhilfe könnte die Überführung in ein fixes Aufenthaltsregime und die Einbeziehung in die Sozialhilfe schaffen, wie es alle mit Ukrainern beschäftigten NGOs fordern.

Doch im Innenministerium, das für andere Aufenthaltstitel zuständig wäre, heißt es auf Fragen des STANDARD nur: "Es besteht eine interministerielle Arbeitsgruppe, die gegenwärtig an Maßnahmen arbeitet." (Irene Brickner, 24.2.2024)