Gang im Landesgericht für Strafsachen Wien mit großer Menschenmenge, hinter denen mehrere Polizisten gehen.
Polizistinnen und Polizisten der Bereitschaftseinheit müssen das Publikum nach Verhandlungsende aus dem Gerichtsgebäude eskortieren.
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Wien – Dass es Probleme rund um den Prozess gegen den 21-jährigen Herrn S. geben könnte, wird bereits vor Beginn der Verhandlung wegen grob fahrlässiger Tötung bei einem Verkehrsunfall mit einem getunten BMW klar. Vor dem Saal 33, in dem es nur elf Plätze für Zuseherinnen und Zuseher gibt, warten rund 150 Interessierte so dicht gedrängt, dass es kaum ein Durchkommen gibt. Selbst Richter Andreas Hautz muss sich mühsam den Weg bahnen, ehe er verkündet, dass in den größeren Saal 1 gewechselt wird. Über eine Initiative des Gerichtsreporterkollegen von der Austria Presse Agentur werden schließlich zivile und uniformierte Polizeibeamte organisiert, die in dem völlig überfüllten Saal Aufstellung nehmen.

Der überwiegende Teil der Zuhörerinnen und Zuhörer gehört zur Seite jenes 19-Jährigen, der am 5. Mai im nächtlichen Wien-Simmering ums Leben gekommen ist. Er war einer der besten Freunde des unbescholtenen Angeklagten, der in dieser Nacht mit einem modifizierten BMW M1 auf der Leberstraße Richtung Landstraßer Hauptstraße unterwegs gewesen ist. Viel zu schnell, statt der erlaubten 50 km/h müssen es mindestens 100 gewesen sein, wurde danach berechnet.

Gegen geparkten Bus geprallt

Der nüchterne S. verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, kam ins Schleudern und prallte um 90 Grad zur Fahrtrichtung verdreht gegen das einzige auf der anderen Straßenseite geparkte Hindernis – einen Reisebus. Die Beifahrerseite wurde eingedrückt, der Freund des Angeklagten erlitt so schwere innere Verletzungen, dass er noch an der Unfallstelle starb. Der Fahrer überlebte schwer verletzt.

Vor Richter Hautz bekennt sich der von Elmar Kresbach vertretene Angeklagte der angeklagten grob fahrlässigen Tötung für schuldig. "Ich habe das Auto zum ersten Mal probiert", gesteht er ein. Der getunte Bolide mit über 400 PS gehörte seinem Freund, dem getöteten Beifahrer. "Ich bereue keine Sekunde mehr in meinem Leben, als dass ich mich in das Auto gesetzt habe", behauptet S. vor Gericht. Die Staatsanwältin hat in ihren Eröffnungsworten jedoch ausgeführt, dass das nicht immer gegolten habe: Mit 15 verursachte er mit einem Microcar einen Unfall, mit 17 machte der Angeklagte den Führerschein, der ihm zwischenzeitlich wieder abgenommen wurde, nachdem er alkoholisiert erwischt worden war, im Internet postete er einen selbstaufgenommenen Film, der ihn mit 250 km/h auf einer Autobahn zeigte.

20.000 Euro bereits an Familie bezahlt

20.000 Euro hat seine Familie bereits an die Familie des Umgekommenen gezahlt, die Animosität zwischen den serbischstämmigen Gruppen ist aber groß. Obwohl nicht nur jeder Sitzplatz vergeben ist und dutzende Zuhörer an den Wänden und im Türbereich stehen, bleibt es während der Verhandlung aber ruhig. Gespannt verfolgt das Publikum das Geschehen. Die Stimmung ändert sich erst während des Schlussplädoyers von Kresbach – und wird zusehends aufgeheizt.

Der Verteidiger hält nämlich mehrmals fest, dass der Angeklagte selbst am meisten unter dieser "furchtbaren Tragödie" leide. Er habe unmittelbar danach eine Psychotherapie begonnen, habe unter Schlaflosigkeit und Schuldgefühlen gelitten. Außerdem bestreitet Kresbach, dass S. ein Teil der "Tuningszene" sei, die sich Wettrennen im Ortsgebiet liefert. Eine Begeisterung für schnelle, hochmotorisierte Automobile ortet er auch bei älteren Männern. Noch dazu sei es zu einer Verkettung unglücklicher Umstände gekommen – die Straße sei um zwei Uhr Früh frei gewesen, wäre der Reisebus nicht dort gestanden, wäre der Unfall weit glimpflicher ausgegangen.

Weinende Mutter des Opfers

Da die Schuld feststehe, gehe es nur um die auszustehende Strafe, argumentiert Kresbach. Aus spezialpräventiven Gründen sei keine teilbedingte Haft notwendig, da sein Mandant ehrlich bereue und eben selbst am meisten leide. Die Mutter des Getöteten weint leise in der ersten Zuseherreihe. Aber auch aus generalpräventiven Gründen, von denen er ohnehin wenig halte, sei aufgrund der einzigartigen Umstände des Falls keine strenge Strafe notwendig, ist der Verteidiger in seinen sehr, sehr ausführlichen Schlussworten zum Unmut einzelner Zuhörer überzeugt.

Richter Hautz sieht das anders und verurteilt S. anklagekonform und rechtskräftig zu 15 Monaten Haft, vier davon sind unbedingt. Den Hinterbliebenen werden weitere 3000 Euro zugesprochen, der Angeklagte, der mittlerweile als Paketzusteller arbeitet, nachdem er eine Kfz-Mechaniker-Lehre vor der Abschlussprüfung abgebrochen hat, muss zusätzlich die Absolvierung einer Psychotherapie nachweisen.

In seiner Begründung prangert Hautz die Unverantwortlichkeit an, mit 100 km/h im Ortsgebiet unterwegs zu sein, wo aus genau diesen Gründen eine niedrigere Geschwindigkeit vorgeschrieben sei. "Natürlich ist das die Tuningsszene, das Fahrzeug war viel zu leicht und mit neuer Software ausgestattet", widerspricht der Richter dem Verteidiger. Ob man, wie in Deutschland, über härtere Strafen für diese Autobenutzer nachdenken müsse, sei eine rechtspolitische Diskussion, für ihn als Richter gelte der Strafrahmen von bis zu drei Jahren Haft.

"Der muss einen Teil sitzen gehen"

Der Argumentation, dass bei S. aus spezialpräventiven Gründen keine strenge Sanktion notwendig sei, kann Hautz sogar etwas abgewinnen. Der Angeklagte habe sich reuig gezeigt und auch beteuert, dass "er mit schnellen Autos nichts mehr zu tun haben will". Aber: "Wer sich in so ein Auto setzt und 100 km/h im Stadtgebiet fährt, der muss einen Teil sitzen gehen", ist ihm die Botschaft an die zahlreichen Zuseher und Zuseherinnen und die Öffentlichkeit generell wichtig.

Aber auch einen anderen Aspekt beleuchtet der Richter in seiner Begründung: "Wer braucht solche Fahrzeuge? Das ist doch geisteskrank!", hinterfragt er die Automobilindustrie. Und kritisiert auch Autosendungen im Fernsehen, wo erwachsene Männer mit aufgemotzten Karossen als Moderatoren enthusiasmiert beschreiben, wie kraftvoll sich etwas anhört oder wie gut die Beschleunigung sei.

Nach Schluss der Verhandlung eskaliert die Situation dann. Zunächst verlassen noch einige Besucher den Saal, da es sich bei der Tür staut, steigt der Unmut, auch die Emotionen kochen hoch, als das Urteil allgemein verstanden wird. "Mörder! Mörder! Mörder!", beginnt eine Frau zu kreischen, andere stimmen ein. Der polizeiliche Einsatzleiter beordert mehrere Uniformierte, die vor dem Saal gewartet haben, herein, um den Angeklagten und seinen Verteidiger abzuschirmen. "Ungerechtigkeit in Österreich!", brüllt ein Mann in Richtung des Richters, während eine Handvoll Männer sich der polizeilichen Sperrkette nähert.

Polizei eskortiert aufgeregte Zusehende

Hautz bittet nach einigen Minuten darum, dass alle den Saal verlassen, da seine nächste Verhandlung anstehe. Der Einsatzleiter wiederholt das mit lauter Stimme und befiehlt seinen Untergebenen, die Verbliebenen hinauszueskortieren. Nur die Angehörigen des Angeklagten dürfen in einen Nebenraum, in den S. samt Kresbach gebracht worden ist. "Sein Vater ist reich! Der zahlt dem Sohn Reisen nach Linz zu Partys!", echauffiert sich jemand noch hörbar beim Abgang. Die uniformierten Kräfte begleiten die offenbar durch einen Social-Media-Aufruf der Opferseite mobilisierten Massen dann noch den langen Gang parallel zur Alser Straße zum Ausgang, wo die erregten Diskussionen weitergehen. Falls sie auf den Angeklagten warten, ist das vergeblich – der wird zu seiner Sicherheit über einen anderen Ausgang aus dem Gebäude gebracht. (Michael Möseneder, 23.2.2024)