Kirche
Blick auf die Stadtpfarrkirche und den romanischen Karner.
©Bernd Grosseck

"Ziel bei der Wiederbelebung des Inneren von Städten müsse es sein, vom Donut zum Krapfen zu gelangen. Innen drinnen soll sich das Leben abspielen. Die Marmeladenfüllung steht für das prickelnde Angebot und das süße Leben in der Ortsmitte …" Dieses Zitat stammt aus dem Artikel "Weniger Autos, mehr Grün: Ländliche Kleinstädte kämpfen gegen den Verfall", der sich mit den aktuellen Herausforderungen von Kleinstädten auseinandersetzt.

Hartberg – kleine historische Stadt

Heute möchte ich Sie zu einem Fotoausflug in eine typische ländliche Kleinstadt mitnehmen, auf die viele Aspekte dieses Artikels zutreffen. Wir besuchen Hartberg in der Oststeiermark, der Hauptstadt des Bezirks Hartberg-Fürstenfeld, in dem rund 90.000 Menschen leben.

Rathaus
Das Rathaus aus dem Jahr 1898, das genau 100 Jahre später renoviert worden ist.
©Bernd Grosseck

Hartberg selbst hat etwa 6.800 Einwohner und zählt zu den historischen Kleinstädten Österreichs. 16 Städte in Österreich, die über ein historisch, geschlossenes Stadtbild, denkmalgeschützte Sehenswürdigkeiten verfügen und unter anderem besondere Angebote für kulturbegeisterte Menschen haben, wie zum Beispiel spezielle Stadtführungen, bemühen sich unter dem Titel "kleine historische Städte Österreichs" um Gäste bzw. Besucherinnen und Besucher. Hartberg ist auch eine von drei Städten in Österreich, die die Bezeichnung "Cittaslow" tragen dürfen. Das hat mich schon vor ein paar Jahren auf Hartberg neugierig gemacht, da mein Zugang zur Fotografie viele Elemente der "Slow-Bewegung" enthält. Aber dazu später mehr.

Schloss, Burg
Mitten in der Stadt ein Schloss. Ursprünglich eine Burg aus dem 12. Jahrhundert.
©Bernd Grosseck

Was hat die Slow-Bewegung mit Hartberg zu tun?

Hartberg ist eine von drei österreichischen Städten (Stand Februar 2024), die in das weltweite Netzwerk "Cittaslow" aufgenommen worden sind. Die Bewegung wurde 1999 gegründet und geht auf das 1986 ins Leben gerufene Slow Food-Konzept zurück. Die Eröffnung eines Fast-Food-Restaurants an der berühmten Spanischen Treppe in Rom und die damit verbundene Angst vor dem Verlust der Esskultur waren der Auslöser für die internationale Slow Food-Bewegung. Drei Jahre später wird "Slow Food" durch ein Manifest zu einer internationalen "Bewegung zur Wahrung des Rechts auf Genuss".

Apothekerhaus
Haus mit langer Tradition. Das Apothekerhaus wurde 1668 erbaut und im späten 19. Jahrhundert mit einer Neobarockfassade versehen.
©Bernd Grosseck

"Cittàslow"

Die internationale Vereinigung von Städten, die sich unter dem Oberbegriff "Cittàslow" zusammengeschlossen hat, setzt sich unter anderem für eine Umweltpolitik ein, die auf regionale Besonderheiten Rücksicht nimmt, regionaltypische Produkte schützt und pflegt, eine Infrastruktur und eine urbane Qualitätskultur schafft, die eine Stadt lebenswert macht und zahlreiche Aktivitäten in Bezug auf Gastfreundschaft setzt. In Österreich gehören Enns, Hartberg und Horn zu den Mitgliedern; weltweit gibt es knapp 300 Mitgliedsstädte in 33 Ländern. Die vollständige Mitgliedschaft bei Cittàslow ist nur Städten mit einer Bewohnerzahl von unter 50.000 erlaubt.

Licht- und Schattenspiele an der Fassade des Café Anneliese in der Fußgängerzone.
©Bernd Grosseck

Ziele von Cittàslow

Der Bürgermeister von Orvieto und Mitbegründer von Cittàslow, Stefano Cimmicchi, hat für dieses Netzwerk folgende Formulierung getroffen: "Wir geben uns nicht länger damit zufrieden, dass die als gesichtslose Ballungsgebiete gebauten Städte, sich alle ähneln und es keine Rolle mehr spielt, in welcher wir leben. Heute entdecken wir wieder die Bedeutung historischer Stadtkerne, restaurierter kulturhistorischer Orte und Gebäude, greifen wieder auf heimische Produkte zurück und lernen, unsere sozialen Beziehungen neu zu gestalten."

Es geht darum, die Lebensqualität zu verbessern, die Vereinheitlichung von Städten ähnlicher Größe zu verhindern und die lokalen, regionalen und kulturellen Besonderheiten hervorzuheben. Diese Ziele passen meines Erachtens gut in die heutige Zeit, in der Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle einnimmt und viele Überlegungen angestellt werden, um das Potenzial kleinerer regionaler Zentren wieder mehr zu heben.

Ringwarte
Die über 100 Jahre alte Ringwarte am "Hausberg" von Hartberg, auf dem Ringkogel, den schon Kelten und Römer besiedelt haben.
©Bernd Grosseck

Meine "Slow Photography"

Meine Herangehensweise an die Fotografie fasse ich unter dem Überbegriff "Slow Photography" zusammen, da sie viele Elemente der Slow Bewegung beinhaltet. Meine fotografische Arbeitsweise ist ein sehr "bewusstes" Fotografieren, unter dem Aspekt Bilder "machen" und nicht "schießen". Nicht die Technik, sondern das Fotografieren als Erlebnis steht für mich im Mittelpunkt. Ich bemühe mich, ein Bild schon im Sucher der Kamera optimal zu komponieren und Fotos zu machen, bei denen Unnötiges weggelassen wird. Bei der Bildgestaltung versuche ich immer, wenn sich die Möglichkeit bietet, vor dem Auslösen mehrere Perspektiven auf mein Motiv einzunehmen. Damit möchte ich Elemente, die vom Motiv ablenken bereits im Vorfeld ausschließen, quasi "Ordnung im Sucher machen", um die Nachbearbeitung so gering wie möglich zu halten.

Für das "langsame" Fotografieren ist es unerheblich, mit welcher Kameramarke man Bilder macht oder ob man "nur" mit dem Smartphone fotografiert. Allerdings sollte aus meiner Sicht eine gewisse manuelle Eingriffsmöglichkeit vorhanden sein, um sich von der Kameraautomatik ein wenig zu lösen.

So wie mich das "langsame" Reisen ("slow travelling") erst zu einem Reisenden gemacht hat, der sich mit offenen Sinnen auf einen Ort, eine Region zuwendet, lasse ich mich mit dem "langsamen" Fotografieren mehr vom Moment leiten als früher. Ich überlasse mich mehr dem Zufall. Daraus ergeben sich immer wieder Chancen für Motive, mit denen ich im Vorfeld nicht gerechnet hätte.

Das Hotel "Alter Gerichtshof" bietet sehr nette "Ein- und Ansichten".
©Bernd Grosseck

Fotospaziergang durch Hartberg

Für eine Tour durch Hartberg mit entsprechenden Fotostopps sollte man rund zwei Stunden einplanen. Der Bergfex-Stadtrundgang führt an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Altstadt vorbei.

Karner
Der romanischer Karner stammt aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.
©Bernd Grosseck

Sehenswert ist der Hartberger Karner, der direkt neben der Stadtpfarrkirche St. Martin steht. Unbedingt sollte man auch die Fresken im Inneren besichtigen. Dieses Bild entstand am frühen Vormittag im Gegenlicht.

Trum
Der kreisrunde Turm am östlichen Ende der Stadtmauer musste von den Bewohnern von Schölbing erhalten werden, die im Gegenzug keine Maut beim Einlass in die Stadt zahlen mussten.
©Bernd Grosseck

Auch der Reck- und der Schölbingerturm sind interessante Fotomotive. Der Schölbingerturm, in der Nähe des Hartberger Stadtteiches gelegen, erschien mir an diesem Jännertag durch das schräg einfallende Morgenlicht besonders fotogen. Der Bildausschnitt wurde so gewählt, dass die Straße, die unmittelbar links neben dem Turm verläuft, nicht mehr im Bild zu sehen ist. Durch die Einbeziehung des Baumes auf der rechten Seite konnte ich die Häuser in der Nähe des Turmes etwas ausblenden und dem Bild dadurch mehr Idylle verleihen.

Reckturm
Der Reckturm wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet.
©Bernd Grosseck

Der Reckturm, der nicht nur als Befestigung, sondern auch als Gefängnis diente, kann von zwei Seiten gut fotografiert werden. Die oben gezeigte Aufnahme entstand auf dem Weg von der Herrengasse, entlang des "Alten Stadtparks" in Richtung Reckturm. Das zweite Foto habe ich vom Stadtpark aus aufgenommen, den Kirchturm konnte ich im Torbogen "parken".

Reckturm
Der Reckturm von der anderen Seite.
©Bernd Grosseck

Donut oder Krapfen?

Bezugnehmend auf meine Einleitung – entspricht Hartberg einem Donut oder einem Krapfen? Als Besucher dieser Bezirksstadt maße ich mir nicht an, eine eindeutige diesbezügliche Kategorisierung vorzunehmen. "Donutähnlich" gibt es rund um Hartberg, wie in vielen anderen Städten ähnlicher Größe, Ansiedlungen für Handel und Gewerbe und der Leerstand von Geschäften in der Innenstadt hat auch vor Hartberg teilweise nicht Halt gemacht. Die historisch interessante Altstadt hat eine sehenswerten "Fülle", womit wir beim "Krapfen" wären. Eine ganze Reihe von Aktivitäten, die aus den Bereichen Natur, Kultur und Kulinarik angeboten werden, verstärkt diese Fülle, sodass sich ein Abstecher in die historisch interessante Bezirksstadt – zumal es von der Autobahnabfahrt "Hartberg" (A2-Südautobahn) nur fünf Minuten ins historische Zentrum sind – auf jeden Fall lohnt.

Ich denke, dass viele Bezirksstädte sehenswert sind und es verdienen, dass man sich einmal Zeit für eine Besichtigung nimmt. Viel zu oft fährt man an ihnen nur vorbei und verabsäumt dabei die Möglichkeit in ihre innere Fülle einzutauchen. (Bernd Grosseck, 8.3.2024)

Kirchturm
Blick auf den Kirchturm der Stadtpfarrkirche zum Heiligen Martin.
©Bernd Grosseck