Es sind wieder einmal Tage zwischen den Weltkrisen: Am Wochenende hat Außenminister Alexander Schallenberg bei der Münchner Sicherheitskonferenz verhandelt. Als er zum Interview erscheint, erzählt er von seinem Treffen mit der belarussischen Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja, das ihn beeindruckt habe. Nächste Woche geht es nach Israel, in die Palästinensergebiete, nach Jordanien und Ägypten. Welche Reaktionen er dort auf Österreichs UN-Stimmverhalten erwartet, was seine Erwartungshaltung gegenüber Israel ist und wieso seine Sorge vor Donald Trump nicht allzu groß ist, erzählte er dem STANDARD.

STANDARD: In den letzten Tagen sorgte der Tod Alexej Nawalnys für Aufruhr. Die westliche Welt geht davon aus, dass Nawalny ein Opfer des russischen Regimes wurde, sein Tod eine Drohung an den Westen ist. Sehen Sie seinen Tod auch als eine russische Drohung?

Schallenberg: Diese Tötung auf Raten zeigt auf jeden Fall die Brutalität und den menschenverachtenden Charakter des Regimes Putin. Es gibt viele Spekulationen rund um den Tod Nawalnys. Aber überrascht kann niemand sein, wenn man an Anna Politkowskaja, Alexander Litwinenko und andere Kritiker denkt, die, zynisch gesagt, neutralisiert wurden. Nawalny reiht sich in diese für Russland sehr unrühmlichen Ehrengalerie ein.

STANDARD: Eine Reihe europäische Staaten haben aus Protest den russischen Botschafter ins Außenministerium einbestellt. Warum schloss sich Österreich da nicht an? Das wäre doch nur konsequent.

Schallenberg: Wir haben den russischen Botschafter schon ich weiß nicht wie oft ins Außenministerium zitiert. Ich halte es für ein viel stärkeres Signal, dass wir als EU als Minimum Sanktionen gegen jene im Strafvollzug verhängen, die ganz unmittelbar für seine Sicherheit zuständig waren.

Wladimir Putin könnte den Ukrainekrieg jederzeit beenden, sagt Alexander Schallenberg.
Foto: Lea Sonderegger

STANDARD: Apropos Sanktionen. Der Ukrainekrieg dauert nun auf den Tag genau zwei Jahre. Hätten Sie gedacht, dass Moskau trotz Sanktionen den Krieg so lange weiterführt?

Schallenberg: Es ist bitter, dass wir jetzt schon den zweiten Jahrestag begehen. Wir haben in dieser Zeit Schritt für Schritt das umfassendste Sanktionspaket geschnürt, das es in der Geschichte der Europäischen Union je gegeben hat. Gleichzeitig ist aber klar, dass kein Sanktionsregime perfekt ist. Daher arbeiten wir ganz intensiv daran, dass es keine Umgehung geben kann. Und niemand hat erwartet, dass der russische Präsident am nächsten Tag sagen würde, dass er wegen der Sanktionen den Krieg beendet.

STANDARD: Ist denn jetzt ein Ende in Sicht?

Schallenberg: Es gibt von russischer Seite überhaupt kein Indiz dafür, dass sie auch nur im Geringsten dazu bereit sind, nachzugeben und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Eine Person hat den Auftrag gegeben, diesen Krieg vom Zaun zu brechen. Und diese Person, nämlich der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hat es in der Hand, den Krieg noch heute zu beenden, wenn er nur wollte. Das heißt, der starke Appell richtet sich ausschließlich an ihn: "Beenden Sie den Krieg. Ziehen Sie Ihre Truppen zurück und kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück."

STANDARD: Die russische Wirtschaft wächst, weil Russland auf Kriegswirtschaft umgestellt hat. Lässt das befürchten, dass der Überfall auf Nato-Staaten bereits vorbereitet wird?

Schallenberg: Man könnte es auch umgekehrt sehen: Russland überhitzt in dem Sinne, dass es sich in einer existenziellen Auseinandersetzung sieht und alles in die Waagschale wirft. Und wir als westliche Marktwirtschaften sind noch nicht einmal warmgelaufen.

Russlands Wirtschaft überhitze, der Westen lege hingegen gerade erst los, sagt Alexander Schallenberg.
Foto: Lea Sonderegger

STANDARD: Der größte Helfershelfer Putins scheint aktuell aber der frühere US-Präsident Donald Trump zu sein.

Schallenberg: Seit zwei Jahren wird in regelmäßigen Abständen Alarm gerufen, weil angeblich die US-Unterstützung für die Ukraine unmittelbar vor dem Aus steht. Das ist bisher nicht geschehen, ich würde also hier für eine gewisse Gelassenheit plädieren. Und ja, die Wahlen in den USA werfen ihren Schatten voraus, das sieht man auch an den Diskussionen innerhalb der Vereinigten Staaten. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich Republikaner wie Demokraten absolut dessen bewusst sind, dass eine Welt, in der Putin sich durchsetzt, in der die Russische Föderation ihre neoimperialistischen Gelüste ausleben kann, eine Welt ist, die auch die Vereinigten Staaten unsicherer macht?

STANDARD: Da sind Sie auch bei Trump sicher?

Schallenberg: Ich kenne ihn nicht persönlich, aber bei den Republikanern ist dieses Bewusstsein seit Jahrzehnten stark verankert. Und wenn sich Putin in der Ukraine durchsetzen würde, könnten die potenziellen Kosten für die Vereinigten Staaten, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich, um ein Vielfaches höher sein als die jetzt nötigen Hilfen.

STANDARD: Kommen wir zum Gazakrieg, zu dem Sie in den vergangenen Wochen kritischere Töne angestimmt haben. Welche Forderungen stellen Sie da an Israel?

Schallenberg: Es ist keine Kritik, auf das Völkerrecht zu verweisen. Das ist die Position, die wir als Bundesregierung haben. Der Konflikt ist unausgeglichen. Auf der einen Seite eine Terrororganisation, die sich keinen Deut um das Leben von Zivilisten schert und sie ganz bewusst als Schutzschild einsetzt. Auf der anderen Seite ist ein demokratischer Rechtsstaat, der so wie jeder andere die Regeln einhalten muss. Und ja, es gibt Unterschiede in unserer Herangehensweise, etwa bei der Zweistaatenlösung oder der Zukunft Gazas.

Dem Argument, dass Österreichs Abstimmverhalten bei der Uno der Kampagne um einen Sicherheitsratssitz geschadet habe, kann Alexander Schallenberg wenig abgewinnen – nach dieser Logik dürfe man auch für viele andere Themen nicht mehr eintreten.
Foto: Lea Sonderegger

STANDARD: Was den möglichen Angriff auf Rafah betrifft, fordern Sie einen realistischen Plan zur Evakuierung. Was wären sonst die Folgen?

Schallenberg: Es laufen derzeit intensivste Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln, das ist die oberste Priorität. Dann die Frage, wie mehr humanitäre Hilfe nach Gaza kommt. Meine Erwartungshaltung ist klar: Man muss immer zwischen Terroristen und der Zivilbevölkerung unterscheiden. Diese Forderung stellt sich an jeden Staat der Welt, auch Israel. Da muss Israel mehr tun.

STANDARD: Österreichs Stimmverhalten in der UN-Generalversammlung ist in arabischen Staaten und im Globalen Süden aufgefallen. Österreich will 2027 in den UN-Sicherheitsrat. Deutschland ist ein Konkurrent und hat sich enthalten. Haben wir uns einen Weg verbaut?

Schallenberg: Ich halte diese Argumentationslinie, die gerade auch von der SPÖ kommt, für komplett widersinnig. Nach dieser Logik dürfte ich mich nicht mehr für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzen, nicht gegen die Todesstrafe kämpfen, mich nicht für die Rechte der LGBTIQ-Community starkmachen, weil die Mehrheit der Staaten, gerade der Globale Süden, nicht der gleichen Meinung ist wie wir. Österreich hat eine jahrzehntelange sehr klare Haltung im Thema Menschenrechte, Gleichberechtigung und Abrüstung. Das hat uns noch nie geschadet. Wir haben auch sehr freundschaftliche, tragfähige Beziehungen mit den Staaten in der arabischen Welt.

STANDARD: In Geiselhaft der Hamas ist auch noch immer ein Österreicher. Gibt es zu ihm neue Informationen?

Schallenberg: Ich werde auch bei meiner Reise nach Israel nächste Woche wieder seine Familie treffen. Wir haben leider Gottes keine verifizierbaren Informationen, aber wir lassen nichts unversucht. Ich habe auch in München viele Gespräche dazu geführt. Wir tun auf allen Ebenen alles, damit er so bald wie irgend möglich wieder bei seiner Familie sein kann. Das Leid dieser Familie, und aller anderen, ist unbeschreiblich.

STANDARD: Spätestens im Herbst finden in Österreich Nationalratswahlen statt. Die ÖVP ist in den aktuellen Umfragen nur mehr Dritte. Haben Sie schon einen Plan B?

Schallenberg: Ich sehe diesen Wahlen mit einer großen Gelassenheit entgegen. Ich sage immer, Umfragewerte sind wie Parfum, man soll daran riechen, aber es nicht trinken. Ich glaube, dass die ÖVP noch für die eine oder andere positive Überraschung gut ist.

STANDARD: Man hört jedenfalls, dass Sie sich auch eine Karriere in Brüssel oder in der OSZE gut vorstellen könnten.

Schallenberg: Beides ist nicht mein Ziel. Das mit der OSZE höre ich zum ersten Mal. Wissen Sie, ich habe schon einige turbulente Momente erlebt in meiner politischen Karriere. Es gab Alexander Schallenberg vor dem Ministeramt, und es wird Alexander Schallenberg nach dem Ministeramt geben. Ich bin da relativ gelassen. (Manuela Honsig-Erlenburg, Manuel Escher, 24.2.2024)