Die Szenerie ist ungewöhnlich für weltpolitische Verlautbarungen: Joe Biden steht, Stanitzel in der Hand, in einem New Yorker Eissalon. Neben ihm US-Late-Night-Comedian Seth Myers, mit dem Biden gerade einen offenkundig auch für den Wahlkampf gedachten Sketch aufnimmt. In die Szene aber platzt ein Reporter, der Biden nach dem Nahen Osten fragt: Wie sehe es denn aus mit den Verhandlungen über eine Freilassung von Geiseln und Waffenruhe im Gazastreifen? Biden antwortet recht direkt: Sein Sicherheitsberater gebe ihm positive Signale, Israel habe eine Formel für den Austausch von Geiseln mit Strafgefangenen akzeptiert. Er hoffe, bis Montag könnte ein Deal stehen.

US-Präsident Joe Biden (links) mit Comedian Seth Meyers beim Eisessen am Sonntag.
US-Präsident Joe Biden (links) mit Comedian Seth Meyers beim Eisessen am Sonntag.
AFP/JIM WATSON

Später wird wieder ein wenig zurückgerudert: Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, heißt es. Und israelische Medien melden gar recht einhellig, dass es mit dem Optimismus im eigenen, israelischen Verhandlungsteam nicht ganz so weit her sei. Die Hamas nämlich sei, so teilen Mediatoren aus Katar mit, vorerst nicht mit den Vorschlägen, die zuvor in Paris und Kairo erarbeitet wurden, einverstanden. Vor allem beharre die Terrorgruppe weiterhin auf einem weitgehenden Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen während der, dem Plan nach auf sechs Wochen anberaumten, Waffenruhe im Fastenmonat Ramadan.

Video: Biden hofft auf Feuerpause im Nahen Osten ab Montag.
AFP

Diplomatische Bemühungen

Es ist eine Situation der anhaltenden Unklarheit und auch des entnervenden Hin und Her, in der Alexander Schallenberg am Dienstag seine Reise nach Israel begonnen hat, die ihn später auch in weitere Staaten der Region und, so der Plan, am Mittwoch ins Westjordanland führen wird. Österreichs Außenminister traf in Israel als erstes Gegenüber seinen Amtskollegen Israel Katz. Nach der Unterredung berichtete Schallenberg von einem sehr offenem und gutem Gespräch..

Wichtig sei es zu erkennen, dass man in einem verwundeten, traumatisiertem Land zu Gast sei. Er habe aber auch deutlichgemacht, dass es keine Hierarchien menschlichen Leides geben könne, man könne ein Trauma nicht durch ein anderes aufwiegen. Österreich werde in Israel "eindeutig als starker Fürsprecher wahrgenommen". Zugleich habe man, etwa zur Situation Rafah, "zurecht und legitimerweise" Fragen, die er auch deutlich stelle. Dort, so sei ihm zu verstehen gegeben worden, werde es keine Militäroperation geben, ohne dass es einen Evakuierungsplan für die Bevölkerung gebe. Was der Minister zu den Geiselverhandlungen gesagt habe, habe relativ ermutigend geklungen – jedenfalls betone Israel, dass man in dieser Frage guten Willen an den Tag lege. Man könne womöglich einen Silberstreifen erkennen.

Schallenberg und Korngold im Gespräch
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gilad Korngold, Vater der Hamas-Geisel Tal Shoham (rechts).
APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Unter jenen noch deutlich über hundert Menschen, die im Gazastreifen festgehalten werden, ist weiterhin auch der israelisch-österreichische Doppelstaatsbürger Tal Shoham. Bekannt sei, dass sein Sohn am 7. Oktober von Hamas-Angreifern in einen Pickup gezwungen und dann in den Gazastreifen gebracht worden sei, sagt dessen Vater Gilad Korngold. Dann endet die Spur. Korngold steht am großen Platz vor dem Tel Aviver Museum für Gegenwartskunst, der seit der Entführung zum Hostage Square umfunktioniert wurde, einem Platz, auf dem Familien der Entführten sich versammeln, auf ihr Schicksal aufmerksam machen und Druck für die Befreiung machen. 143 Tage, 12 Stunden, 33 Minuten, zunehmend verrinnende Sekunden zeigt eine große Uhr an, auf der in Neonrot die Zeit seit den Entführungen aufleuchtet. "144 Tage", sagt Korngold, "und Nächte". Wie er die Gespräche über einen Geisel- und Waffenstillstands-Deal sehe? "Wir sind im Nahen Osten, wir haben gelernt, nicht viel zu hoffen", sagt er. Aber er sehe auch, dass die Dinge zum ersten Mal seit langer Zeit in Bewegung zu sein scheinen.

Terroristen gegen Soldatinnen

Wie aber könnte ein Deal zur Freilassung der Geiseln konkret aussehen? Grobe Umrisse stehen bereits seit Wochen im Raum und werden immer wieder auch von israelischen Medien verbreitet: Mehrere Dutzend palästinensische Häftlinge pro israelischer Geisel sollen demnach freigelassen werden. Laut einem Bericht der "New York Times", die sich auf US-Quellen bezieht, wäre Israel erstmals auch bereit, 15 wegen schwerer Terrorverbrechen Verurteilte freizulassen, um so im Gegenzug die Freiheit für fünf entführte israelische Soldatinnen zu erwirken.

US-Präsident Joe Biden auf Wahlkampftour in New York. Bei einem Interview in einer Comedysendung ließ er sich Visionen zur Zukunft des Nahen Ostens entlocken.
AFP/JIM WATSON

Nicht einig sind sich beide Seiten demnach aber weiterhin bei der militärischen Dimension einer Vereinbarung. Die Hamas möchte einem Deal nur dann zustimmen, wenn die dabei vereinbarte Waffenruhe später auch in ein dauerhaftes Ende der Kämpfe münden könne. Israel hingegen betont stetig, dass man die geplante Offensive auf die Stadt Rafah nicht absagen, sondern bei einem Deal allenfalls vertagen werde. Nach Rafah, wo sonst nur einige Zehntausend Menschen leben, sind rund 1,5 Millionen Menschen aus dem Rest des Gazastreifens geflüchtet – zum Teil auch auf Drängen der israelischen Streitkräfte, die die Menschen zu einer Flucht in den Süden aufgefordert hatten. Allerdings ist die Stadt nun auch die letzte, in der eine wirklich funktionierende militärische Infrastruktur der Hamas vermutet wird – die Israel ja gemäß zahlreicher Ankündigungen "vernichten" will. Rund 30.000 Menschen sind im Gazastreifen dem Krieg schon zum Opfer gefallen, geht aus Zahlen der Hamas hervor. Diese können nicht unabhängig überprüft werden, allerdings halten die meisten Fachleute sie für glaubwürdig.

Knackpunkt Hisbollah

Biden, der sich im Wahlkampf auch mit Rufen der demokratischen Basis für eine Waffenruhe konfrontiert sieht, betonte in seinem Interview mit Myers, das in der Nacht auf Dienstag ausgestrahlt wurde, die Forderungen zur Waffenruhe. Israel habe auf sein Drängen hin die Offensive bereit verlangsamt, "und das müssen sie auch". Biden nutzte den Auftritt in der Comedysendung auch für einen Blick in die mittlere Zukunft. Eine Waffenruhe könnte Dinge in Bewegung bringen, nicht zuletzt sei dann eine Aufnahme diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien denkbar. Eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern, wie sie die USA nach wie vor fordern, die israelische Regierung aber zuletzt abgelehnt hat, könne dann auf längere Sicht folgen.

Joe Biden im Interview mit Seth Meyers am Sonntag.
AP/Evan Vucci

Unklar bleibt, was ein möglicher Waffenruhedeal für einen anderen Konfliktherd bedeuten würde. An der Grenze zum Libanon haben sich in den vergangenen Tagen die Scharmützel zwischen der israelischen Armee und der von Iran unterstützten Schiitenmiliz Hisbollah weiter verschärft. Am Montag griff Israel erstmals aus der Luft auch im Osten des Libanon an, am Dienstag beschoss die Hisbollah nach eigenen Angaben eine Stellung der Israelis. (Manuel Escher aus Tel Aviv, 27.2.2024)