Wien – Drei Jahre nach der Gründung braucht Melisa Erkurts "Die Chefredaktion" einen Neustart. Nach dem überraschenden Aus des "Biber"-Verlags – DER STANDARD berichtete – ist auch für das Digitalmedium die wirtschaftliche Basis weggebrochen. Um weitermachen zu können, benötigt "Die Chefredaktion" neue Abos. Das Minimum sind zumindest 2.000 Abonnentinnen und Abonnenten, die zwischen 5,50 Euro und 125 Euro pro Monat bezahlen – so groß ist die Bandbreite an Abomodellen.

"Die Chefredaktion"-Gründerin Melisa Erkurt.
Heribert Corn

Derzeit hält das Medium beim Abodienst Steady bei 730 Unterstützerinnen und Unterstützern. "Wir sind zuversichtlich, dass wir unser Ziel erreichen", sagt Erkurt im Gespräch mit dem STANDARD. Es gehe neben der kurzfristigen Rettung auch um die längerfristige Finanzierung. Für ein Medium, das keinen Anspruch auf Presseförderung hat, ist das schwierig genug. Das Abomodell soll den Weg zum wirtschaftlichen Erfolg garantieren.

Junge Zielgruppe im Visier

Melisa Erkurt hat "Die Chefredaktion" vor drei Jahren als "junges und diverses" Medium für die Zielgruppe von 14 bis 24 Jahren konzipiert. Die Inhalte werden über Instagram und Tiktok verbreitet, wo das Medium mit seinen Texten, Videoreportagen, Liveberichten oder Erklärformaten insgesamt rund 57.000 Leute erreicht. Wer "Die Chefredaktion" abonniert, bekommt auch den wöchentlichen Newsletter mit weiteren Inhalten ins Postfach. Thematisch spannt das Team den Bogen von Inhalten über Rassismus, Diskriminierung, Mode oder Sprachenvielfalt bis hin zu Lebensrealitäten in Kriegen oder Abschiebungen. Kurz: Es soll um alles gehen, was für die Jungen von Relevanz ist.

Burschen und junge Männer anfällig für Fake News

Aus den Expansionsbestrebungen, künftig auch das Live-Streaming-Videoportal Twitch zu bespielen, wird vorerst nichts, was Erkurt sehr bedauert. Dafür fehlt es an Geld, die Pläne liegen auf Eis. Während Instagram sehr weiblich sei, würde Twitch die Möglichkeit bieten, Burschen und junge Männer mit Journalismus zu erreichen. Gerade diese Zielgruppe sei sehr anfällig für Fake News, so Erkurt. Sie leitete für "Biber" ein Journalismusprojekt an Schulen, arbeitete etwa beim ORF-"Report", dem "Biber"-Magazin, ist noch als "Falter"-Kolumnistin tätig sowie als Buchautorin ("Generation haram: Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben").

Dass es zu den finanziellen Problemen kommt, hat mit dem "Biber"-Verlag zu tun. Er hat nicht nur das mit Ende des Jahres 2023 eingestellte Wiener Gratismagazin "Biber" herausgegeben, sondern er war auch wirtschaftliche Heimat für "Die Chefredaktion", die Erkurt gemeinsam mit "Biber"-Gründer Simon Kravagna entwickelt hatte. Redaktionell unabhängig von "Biber", arbeiteten bis zu vier Angestellte und zahlreiche freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Digitalmedium. Für einige war "Die Chefredaktion" auch ein Sprungbrett in andere Medien.

"Völlig überraschende" Kündigung

Neben den Abos finanziert sich die Plattform auch über bezahlte Kooperationen. "Die Chefredaktion" schreibt jetzt auf Instagram, dass sie im Oktober 2023 "völlig überraschend" vom Biber-Verlag gekündigt wurde. Und das, obwohl es vier Wochen davor noch geheißen hätte, dass der Verlag das Hauptaugenmerk auf "Die Chefredaktion" legen wolle. Erst Ende des Jahres hätte sich herauskristallisiert, dass der Biber-Verlag die Rechte an "Die Chefredaktion" an Erkurt übergibt.

Kein Anspruch auf Medienförderungen

Neben der finanziellen Basis ist auch die Infrastruktur weggebrochen – und vorerst auch die Möglichkeit, Medienförderungen zu lukrieren. Um etwa in den Genuss der Digitaltransformationsförderung zu kommen, muss beispielsweise bereits eine einjährige Geschäftstätigkeit vorliegen, was bei der "Chefredaktion" jetzt nicht mehr der Fall ist. Bei der mit 20 Millionen Euro pro Jahr dotierten Qualitäts-Journalismus-Förderung müssten Onlinemedien drei hauptberuflich tätige Journalistinnen oder Journalisten beschäftigen. Das gehe sich für "Die Chefredaktion" nicht aus, sagt Erkurt, die jetzt als Selbstständige fungiert. Das Ziel sei, zumindest zwei Journalistinnen anzustellen, wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

"Die Chefredaktion" hat in den drei Jahren ihres Bestehens Förderungen von der Mega-Bildungsstiftung (200.000 Euro) und der Wiener Medieninitiative lukriert. Dass es genügend Leute gibt, denen "Die Chefredaktion" und ihr Journalismus am Herzen liegt, daran hat Erkurt keine Zweifel. Die Signale seien positiv. Es gehe aber noch um mehr; um die Medienvielfalt in Österreich.

Mit der Abokampagne sollten Leserinnen und Leser darauf aufmerksam gemacht werden, dass Medien finanziert werden müssen. "Viele haben geglaubt, dass wir ohnehin Presseförderungen bekommen." Ein Irrtum. Die Aufklärungsarbeit trägt allerdings bereits erste Früchte. Innerhalb von 24 Stunden sind rund 300 Abos dazugekommen. Um aus den existenziellen Nöten zu kommen, fehlen aber noch einige. (Oliver Mark, 27.2.2024)