Am Mittwoch soll das EU-Parlament final über das Europäische Medienfreiheitsgesetz abstimmen, das etwa politikfernes Management von öffentlich-rechtlichem Rundfunk verlangt sowie Medienvielfalt und Transparenz über Medienbesitz vorschreibt. Das wird aber nicht reichen, um auch in kleineren Ländern wie Österreich Medienvielfalt zu sichern, sagt Medienmanager und Medienjurist Philipp König im STANDARD-Gespräch.

Der Jurist machte schon als Experte Medienpolitik im Bundeskanzleramt, auch auf EU-Ebene, nun führt er die Geschäfte beim Privatsender Kronehit von "Kronen Zeitung" und "Kurier". Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt König, welche – vor allem europäische – Politik die österreichische Medienbranche zum Überleben braucht. "Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung hat keines von uns Medienunternehmen, höchstens der ORF, die Marktmacht und die finanziellen Mittel, um den Tech-Giganten in verschiedenen Märkten alleine die Stirn zu bieten. Das ist ein Kampf David gegen Goliath, mit Zahnstochern gegen Stahlspieße."

"Sonst gibt es kleine Medienmärkte so nicht mehr"

König warnt: "Wir müssen uns der Diskussion stellen: Entweder wir lassen auf europäischer Ebene in Branchen wie Medien, Kunst und Kultur stärker protektionistische Züge zu. Oder wir akzeptieren, dass es kleine Medienmärkte im bisherigen Ausmaß nicht mehr geben wird, Inhalte überwiegend aus dem europäischen Ausland angeliefert und im Inland lediglich feinjustiert und regionalisiert werden. Ohne in der Region produzierter Informations- und Unterhaltungsangebote verlieren kleinere Mitgliedsstaaten auf lange Sicht betrachtet im Medienbereich wohl ihre kulturelle Identität und Meinungsvielfalt."

Kronehit-Geschäftsführer Philipp König.
Kronehit-Geschäftsführer Philipp König.
Christian Fischer

"Viele der Themen muss man auf europäischer Ebene ansprechen", macht König das Spielfeld klar. "Keiner der österreichischen Spieler hat die Kraft, die Ressourcen, das Geld, diese Themen in Brüssel anzusprechen und zu lobbyieren." Als Medienrechtsexperte bei Gerald Fleischmann, damals Medienbeauftragter im Kanzleramt, beobachtete König in Brüssel die millionenschwere Lobbyingkraft von Digitalriesen wie Alphabet und Meta, etwa bei der europäischen Neuordnung des Urheberrechts.

Die globalen digitalen Giganten und die großen Player im Streaminggeschäft wie Amazon Prime, Spotify, Netflix und Co haben EU- und nationale Behörden – auch aus Ressourcengründen – aus Königs Sicht im Mediengeschäft zu wenig auf dem Radar.

Welche Themen sieht König da, um, wie er sagt, "die Resilienz kleiner Medienmärkte, ihre Widerstandskraft" zu stärken?

Man müsste tatsächlich beginnen, in den zentralen Regelwerken der EU zu schrauben, sagt König: "Mit einer Gesamtbetrachtung: Ich will nicht einen Mediengesamtmarkt Europa bei der regulativen Betrachtung, sondern es sollte in gewissen Sektoren noch stärkere Ausnahmen geben als bisher." Es wäre auf europäischer Ebene "unglaublich wichtig, auf die kulturelle Identität der jeweiligen Staaten einzugehen. Wenn man diese Märkte längerfristig erhalten will."

Wenn sich Plattformen kleinreden

Den Geschäftsführer von Österreichs größtem Privatradio interessiert Audiostreaming naturgemäß besonders. Bei der Weltmesse der Konsumelektronik, der CES in Las Vegas, gibt es längst keine Hifi-Geräte mehr, "sondern nur noch Smartspeaker". Und eine Studie der europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender prognostiziere, dass die Hälfte der Bewegtbildinhalte 2030 nur noch auf reinen Streamingbildschirmen konsumiert werden.

Der Digital Market Acts (DMA) der EU sieht eine Markterhebung vor, "in der die betroffenen Unternehmen sagen sollen, ob sie den Parametern der Richtlinie unterliegen oder nicht", erklärt König, aber: "Keine der großen Plattformen im Audiosegment hat sich daraufhin gemeldet und sich als Gatekeeper im Bereich der virtuellen Assistenten wie Google Home, Alexa und Co deklariert. Und die Kommission vermutet: Wahrscheinlich, weil der Markt noch so klein ist." Aber: "In sieben Jahren werden die Plattformen, die auf Smartspeakern und Streamingbildschirmen präsent sind, eine Gatekeeperfunktion haben." Diese Funktion als Gatekeeper, als Schleusenwärter von Inhalten, ist entscheidend für die Regulierung.

Das bedeute für Medien: "Wenn wir es nicht schaffen, dass zumindest die drei großen Plattformanbieter als Gatekeeper angesehen werden im Smartspeaker-Bereich, geht für europäische und ganz besonders österreichische Anbieter langfristig die Türe zu. Wenn ich in zehn Jahren kein Werkzeug in der Hand habe, um ohne absurde Summen auf Smartspeakern gespielt zu werden, wird es – um bei größtem Optimismus zu bleiben – sehr schwierig für österreichische Anbieter."

Gefunden werden bei Spotify oder Google

Der Medienpolitik-Kenner erinnert an sinnvolle frühere Regulierungen für Kabelnetzbetreiber: Österreichische Programme mussten zu marktüblichen und vertretbaren Konditionen eingespeist werden, ORF-Programme sogar verpflichtend. Solche europäische und nationale "Must-Carry"-Regelungen und Vorgaben für die Auffindbarkeit von Angeboten brauche es auch für Plattformen, sagt König im Gespräch mit dem STANDARD.

Die europäische Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste (AVMD) sieht zudem die Möglichkeit vor, internationale Onlineplattformen mit Abgaben zur Förderung europäischer Inhalte zu belegen, wenn sie nicht einen Mindestanteil europäischer Werke im Angebot haben. "Das ist ein guter Ansatz. Man versucht, stärker Wertschöpfung nach Europa zu ziehen." Österreich habe diese Möglichkeit noch nicht umgesetzt.

National fördern

Die 2024 erstmals ausbezahlte Qualitätsjournalismusförderung weist für König in eine sinnvolle Richtung: Die EU-Kommission akzeptierte hier eine auf den nationalen österreichischen Medienmarkt ausgerichtete Förderung. Üblicherweise verlangt die EU die Ausrichtung etwa von Förderungen auf den gesamten EU- beziehungsweise EWR-Raum. Der (weit ältere) Fernsehfonds für Produktionen beinhalte beispielsweise den Bezug auf EU und EWR.

Bei Medienförderung stellt sich auch die Frage öffentlicher Werbebuchungen – die insbesondere in Österreich als informelle Medienförderung eingesetzt werden. König: "Ich lehne den Begriff der Inseratenkorruption generell gesprochen ab. Öffentliche Stellen sollen zielgerichtet informieren, dazu gehört auch kommerzielle Kommunikation. Nach einem Planungs- und Auswahlprozess erhalten die buchenden Stellen Inserate oder Spots und damit eine Gegenleistung für das Geld", sagt König. "Man kann über die Art und Weise diskutieren, wie und wo Werbung geschalten wird, über den Auswahlprozess, die Transparenz und die Treffsicherheit, aber nicht darüber, ob man österreichische Medien als gut funktionierende Plattform für Kommunikation nutzen sollte oder nicht."

Grundsätzlich sagt König aber: "Ziel sollte aber sein, dass es den österreichischen Medien so gut geht, dass sie auf das öffentliche Geld nicht angewiesen sind. Wenn es kommt und es ein Informationsinteresse gibt – fair enough. Aber man darf nicht angewiesen sein darauf." Das sei eine Frage der Resilienz des Medienmarktes, die es mit dem von ihm geforderten Maßnahmenbündel zu stärken gelte.

"Ob der achte Zwerg mit dem neunten Zwerg zusammenarbeiten darf"

Zu diesem Maßnahmenbündel gehören für den Kronehit-Manager auch Konzentrations- und Kartellregelungen auf nationaler Ebene, die den globalen Wettbewerb berücksichtigen. "Der Wettbewerb im Mediensektor ist nicht mehr national. Es ist ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Haushaltsbudgets von österreichischen Medien mit Youtube, Spotify, Netflix, Amazon Prime und Co. Das Haushaltsbudget ist der Markt." Große Plattformen wie Netflix, Amazon Prime und Co sind mit werbefinanzierten Angeboten in einen weiteren Medienmarkt vorgedrungen, Spotify war längst dort aktiv. König: "Spätestens jetzt muss uns klar sein: Das ist ein gemeinsamer großer Markt."

Sein Schluss für nationale Wettbewerbsverfahren: "Wenn ich nicht beginne, die Maßstäbe der Prüfung an den Gesamtmarkt anzulegen, um den Kampf um Aufmerksamkeit, dann werde ich nie zu zielführenden Prüfungen innerhalb Österreichs kommen."

Oder pointierter: "Während wir uns hier den Kopf zerbrechen, ob sich der achte Zwerg mit dem neunten Zwerg in einem Infrastrukturbereich zusammenschließen darf oder nicht, geht gerade in einer zentralen Gatekeeper-Frage – etwa im Vertrieb meiner Audioinhalte auf Plattformen – die Tür zu. Und keiner redet darüber."

König rechnet mit Konsolidierung – also weiterer Konzentration – auch im österreichischen Mediensektor, den internationalen Entwicklungen inzwischen ebenso erreicht haben: Werbegeld fließt zum überwiegenden Teil an internationale Digitalkonzerne wie Alphabet, Meta, Bytedance und Co, die Bezahlbereitschaft für journalistische Angebote ist überschaubar und steht in Konkurrenz zu Entertainmentangeboten wie Netflix und Disney+.

"Trotzdem eine Überlebenschance"

"Europaweit hat ein Konsolidierungsprozess eingesetzt, und große Märkte tun sich da leichter. Die zulässige Medienkonzentration in Deutschland ist wesentlich marktmächtiger als jene in Österreich und damit kann dieser Prozess auch hier schnell Fahrt aufnehmen", sagt König. Ein zehnmal größerer Markt erlaube wettbewerbsrechtlich auch zehnmal größere Umsätze mit dem gleichen Marktanteil. Und Größe zählt in diesem Match.

Braucht es eine Lockerung der – für Medien besonders strengen – Kartellregeln in Österreich zwingend, um eine österreichische Medienlandschaft zu erhalten? König: "Man muss alle Maßnahmen, um die Resilienz zu stärken, gesamthaft betrachten. Wenn man einen Aspekt nicht umsetzt und alle anderen stringent durchzieht, haben wir trotzdem eine Überlebenschance. Der Markt wird stark genug sein, um gewisse Dinge selbst zu regeln."

Und der ORF?

Der mit großem Abstand größte Player in Österreich ist derzeit der öffentlich-rechtliche, öffentlich über einen Beitrag von allen finanzierte ORF. Mit mehr als einer Milliarde Jahresumsatz ist er doppelt so groß wie das größte private Medienhaus – und auch dieses vom Mutterkonzern wesentlich finanzierte Red Bull Media House ist ein Sonderfall in der österreichischen Medienbranche. Größtes klassisches Medienunternehmen ist der Zeitungskonzern Mediaprint mit rund 400 Millionen Euro Jahresumsatz – dessen Eigentümern "Kronen Zeitung" und "Kurier" auch Kronehit gehört, das König managt.

Dieser Riese ORF hat mit dem neuen ORF-Beitrag als Absicherung und seinen neuen Möglichkeiten im Streaming dank neuem ORF-Gesetz die medienpolitische Debatte in Österreich massiv beschäftigt. Die neuen Online-Möglichkeiten für den öffentlich finanzierten ORF stellten die Überlebenschancen privater Plattformen existenziell infrage, argumentierten private Medienunternehmen. Beschwerden bei der Generaldirektion Wettbewerb in der EU sind anhängig und werden dort noch geprüft, wie es auf STANDARD-Anfrage Anfang März in Brüssel hieß.

Der ORF und seine Dominanz im Land kommt bei König erst als letzter Punkt. Und wenn die anderen Punkte seiner Maßnahmen umgesetzt würden, dann würde die ORF-Frage auch nicht mehr ganz so im Fokus stehen. Und noch weniger, wenn sie nicht umgesetzt würden. König: "Wenn Europa nicht beginnt, hinter der Predigt kultureller Identität zu stehen, werden wir uns in zehn Jahren vielleicht denken: Schön, dass wir den Kampf rund um die Regulierung des ORF in Österreich gewonnen haben, und wer dreht jetzt das Licht ab?" (fid, 12.3.2024)