"Wir haben in diesem Forum ein komisches Ziel", sagt Daniel Shek am Dienstag, als er Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bei sich begrüßt: "Wir wollen verschwinden und überflüssig werden." Shek, einst israelischer Karrierediplomat, mittlerweile in Pension, begrüßt Schallenberg in seiner neuen, ehrenamtlichen Funktion. Er ist als Leiter der Abteilung Diplomatie für das Forum für Geiseln und entführte Familien tätig und begleitet unter anderem prominente Gäste über den Platz vor dem Tel Aviver Museum für Gegenwartskunst. Dieser ist seit dem 7. Oktober zu einem Sammelpunkt für jene geworden, deren Angehörige und Freunde beim Terrorangriff der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Außenminister Alexander Schallenberg (links) mit Gilad Korngold, der ein Bild seines Sohnes Tal Shoham auf dem T-Shirt trägt, und Forenvertreter Daniel Shek.
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143 Tage, zwölf Stunden, 33 Minuten und eine ständig verrinnende Zahl von Sekunden stehen auf der großen roten Uhr, die im Zentrum des Platzes aufgestellt ist, als Schallenberg am Dienstagabend dort eintrifft. "144 Tage", fasst Gilad Korngold zusammen – "und Nächte". Korngold ist Vater von Tal Shoham, jenes Mannes mit israelisch-österreichischer Staatsbürgerschaft, der seit dem 7. Oktober vermisst wird. Man habe noch Bilder von seinem Sohn, wie er von den Terroristen der Hamas auf einen Pick-up gezwungen wird. Seither haben er und seine Familie nicht mehr von ihm gehört – man muss also von der Hoffnung leben. Wobei das mit der Hoffnung auch so eine Sache sei. "Wir sind im Nahen Osten, wir haben gelernt, nicht viel zu hoffen", sagt Korngold. Aber immerhin gebe es, wenn er die Nachrichten verfolge, nun erstmals seit langem Anzeichen dafür, dass sich etwas bewege.

Video: Schallenberg in Israel: Land nicht gegen Zwei-Staaten-Lösung.
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"Positive Signale" und leere Sessel

Korngold spricht damit Aussagen wie jene von US-Präsident Joe Biden an. Dieser hatte in der Nacht auf Dienstag einem Fragesteller in einem New Yorker Eiscafé geantwortet, er hoffe, bis Montag könnte eine Vereinbarung in Kraft getreten sein. Das wurde teils als Ankündigung verstanden, war aber wohl vor allem als optimistische Ansage gedacht. Tatsächlich heißt es auch bei Gesprächen am Rand von Schallenbergs Besuch immer wieder, es gebe "positive Signale". Allerdings scheint eine Einigung noch nicht erzielt zu sein. Ungeklärt ist vor allem, ob eine mögliche Waffenruhe während der Ramadans anschließend in ein dauerhaftes Schweigen der Waffen übergehen kann oder ob Israel danach seine angekündigte Offensive auf die Stadt Rafah durchführt. Dass die Regierung Netanjahu auf diese, wie bei Partnern teils erhofft, überhaupt verzichten könnte, erschien bei Gesprächen in Israel als eher unwahrscheinlich.

Unter anderem ein nachgebauter Hamas-Tunnel erinnert im Zentrum von Tel Aviv an jene, die mutmaßlich seit 7. Oktober im Untergrund von Gaza festgehalten werden.
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Und damit bleibt Korngold doch wieder vor allem die Hoffnung. Und den Geiselfamilien insgesamt das Forum, das auch öffentliche Aufmerksamkeit garantieren soll: Neben der roten Digitaluhr ist dort auch jener Tisch aufgebaut, der seit dem 7. Oktober traurige Bekanntheit erlangt hat. Ein langes Festbankett an einem Tisch, 138 Teller sind aufgedeckt. Je einer für die bisher noch vermissten Geiseln, deren Plätze am Schabbat-Tisch leer bleiben. An einem anderen Teil des Platzes ist eine Nachbildung eines jener Betontunnel aufgebaut, in denen die Hamas die Geiseln zumindest teilweise gefangen halten soll. Wer auf dem Platz ist, kann hindurchgehen und sich kurz in das Schicksal jener Menschen hineinzudenken versuchen, die von dort aus den Lärm der oben stattfindenden Kämpfe und Gefechte mitverfolgen müssen und mussten. Wer auf dem Platz ist, kann dort mit Filzstift eine Botschaft hinterlassen, auch Schallenberg trug sich ein.

Weiter großes Interesse

An diesem Dienstag ist der Platz gut besucht, aber sicher nicht übervoll. Immer wieder schlendern Menschen die Installationen entlang, sprechen den anwesenden Familien der Geiseln Mut zu oder fragen, wer der offenkundig prominente Besucher ist, dessen Führung über den Platz so viel Aufmerksamkeit erweckt. Ist unter den Israelis das Interesse an den Geiseln mittlerweile geringer geworden? Umfragen sehen keinen schwindenden Wunsch auf eine baldige Rettung – und auch der Besuch ist an vielen anderen Tagen stärker, versichern jene, die oft dort sind. Der eher schüttere Zulauf liege nicht an schwindendem Interesse für das Schicksal der Geiseln, sondern eher an der späten Uhrzeit an einem Wochentag und an den Kommunalwahlen.

Erst am vergangenen Samstag hatten Vertreter einiger Geiselplattformen in Tel Aviv zu Demonstrationen aufgerufen, bei denen unter anderem unter dem Motto "Wählt das Leben unserer Lieben" ein Geiseldeal gefordert wurde. Bei einer weiteren Demo forderten die Teilnehmenden auch baldige Neuwahlen. Sie wurden mit Wasserwerfern von der Polizei auseinandergetrieben. (Manuel Escher aus Tel Aviv, 28.2.2024)