Wie klein und verwoben Österreich teilweise ist, merkt man vor allem in der Justiz. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vita von Michael Radasztics, dem Richter in der Causa Sebastian Kurz. Einst, als Staatsanwalt in Wien, hatte Radasztics die umstrittenen Ermittlungen in der Causa Eurofighter geführt und war da mit einigen anderen Akteuren in teils heftige Konflikte verwickelt worden.

Richter Michael Radasztics im Kurz-Prozess.
STANDARD/Corn

Diese Vorkommnisse holen den in den Richterstand gewechselten Juristen nun wieder ein, zumindest medial und in puncto Litigation-PR. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass Radasztics rund um die Causa Eurofighter in zwei Punkten disziplinarrechtlich verurteilt wurde. Die entsprechende Entscheidung war tags zuvor im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes veröffentlicht worden – zwar namentlich anonymisiert, aber für Kenner der Materie klar zuordenbar.

Der "Scheißakt"

Das nahmen Unterstützer von Kurz zum Anlass, um Radasztics erneut Befangenheit und politische Motive für den vergangenen Freitag erfolgten, nicht rechtskräftigen Schuldspruch in der Causa Falschaussage gegen den Ex-Kanzler vorzuwerfen.

Worum es in der Disziplinarsache ging: Radasztics hatte 2007 bei der Staatsanwaltschaft (StA) Wien begonnen und dort den Eurofighter-Akt zugeteilt bekommen. Ein monströs komplexer Sachverhalt, der jahrelang ergebnislos ermittelt wurde – ein "Scheißakt", wie der mittlerweile verstorbene Sektionschef Christian Pilnacek in einer Dienstbesprechung im Jahr 2019 meinte.

Video: Kurz-Prozess: Stocker ortet "Anschein der Befangenheit" beim Richter.
APA

Existenz einer Weisung offenbar

Radasztics wurde rund um die Ermittlungen in zwei Sachverhalten disziplinarrechtlich verurteilt. Erstens hat er den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser nicht über ein abgebrochenes Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert. Zweitens teilte Radasztics dem damaligen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz die Existenz einer Weisung im Eurofighter-Akt mit.

Damals, 2018, lief gerade der dritte Eurofighter-U-Ausschuss, in dem Pilz tätig war. Der Politiker war zudem als Zeuge im Eurofighter-Verfahren einvernommen worden. Bei diesem Termin hatte ihn Radasztics über eine Weisung zur Rückstellung von Akteninhalten an das Verteidigungsministerium informiert, Pilz stellte wenig später eine parlamentarische Anfrage dazu. Der Verrat von Akteninhalten wurde Radasztics nie vorgeworfen. Die Information über die Weisung hätte Pilz über Aktenlieferungen an den U-Ausschuss ohnehin erhalten, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Das ändere aber nichts an Radasztics' Sorgfaltsverletzung, heißt es in der Disziplinarentscheidung.

Viele Eklats um Eurofighter-Akt

Gegen den damaligen Staatsanwalt war in der Sache ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die zuständige Staatsanwaltschaft Eisenstadt reichte sogar Anklage ein. Die ließ das Oberlandesgericht (OLG) Wien allerdings nach eingehender Prüfung nicht zu. Es wurde weiter ermittelt, das Verfahren schließlich eingestellt. Daraufhin wurde das Disziplinarverfahren fortgeführt.

Christian Pilnacek im Mai 2022 vor dem Untersuchungsausschuss.
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Die Causa Eurofighter wurde auch wegen der Ermittlungen gegen Radasztics von der Staatsanwaltschaft Wien an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) übergeben, was für neue Konflikte sorgte. Nach einer Dienstbesprechung zwischen den zwei Staatsanwaltschaften und Vorgesetzten wie Pilnacek und Johann Fuchs, dem Chef der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, zeigten WKStA-Mitarbeiter die Letztgenannten sogar an. Sie sahen durch deren Äußerungen, etwa Pilnaceks "Daschlogts es", eine Anstiftung zum Amtsmissbrauch. Die reagierten mit einer "Gegen-Anzeige", beides blieb ergebnislos, und der damalige Justizminister Josef Moser schaltete einen Mediator ein. Mit dabei: WKStA-Staatsanwalt Gregor Adamovic, der nun einer der Ankläger in der Causa Kurz war.

Rund um die Weisung, deren Existenz Radasztics Pilz nicht hätte offenbaren dürfen, gab es allerdings auch Ermittlungen gegen Pilnacek. Der hatte die gesamte Weisung und andere bislang geheime Dokumente nämlich kurz nach Radasztics' Gespräch mit Pilz ungeschwärzt an einen Journalisten des ORF übermittelt. Das Verfahren wurde durch Pilnaceks Tod am 20. Oktober 2023 beendet.

Die Causa Eurofighter war für Pilnacek ein "Scheißakt" .
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Zurück zu Radasztics: Er wollte die Sache offenbar hinter sich lassen, wechselte dann 2023 als Richter zum Straflandesgericht Wien – und bekam nur wenige Monate später per Zufallsprinzip die Causa Kurz zugeteilt. Schon da wurde er etwa von "Österreich" als "Pilz-Vertrauter" bezeichnet – ein Umstand, den Radasztics und Pilz bestreiten.

Tatsächlich beantragte die Verteidigung von Kurz und dessen mitangeklagtem Kabinettschef Bernhard Bonelli schon am ersten Verhandlungstag wegen Radasztics angeblicher Nähe zu Pilz einen Richterwechsel. Radasztics wies diesen Befangenheitsantrag ab, er habe mit Pilz nur beruflich zu tun gehabt. Dass damals noch ein Disziplinarverfahren in der Sache lief, sagte der Richter nicht dazu.

"Alte Vorwürfe"

Er war im Mai 2023 vom zuständigen Oberlandesgericht Graz disziplinarrechtlich verurteilt worden, dagegen hatten aber sowohl er als auch die Oberstaatsanwaltschaft Graz Rechtsmittel angemeldet. Die Sache wäre zum Obersten Gerichtshof (OGH) gegangen, doch im Dezember zogen beide Seiten ihre Rechtsmittel zurück, Radasztics bezahlte die Strafe in Höhe eines halben Monatsbezugs.

Warum die Sache erst jetzt publik wurde? Rechtlich vorgesehen ist, dass rechtskräftige Disziplinarentscheidungen "unverzüglich" in anonymisierter Form ins RIS gestellt werden müssen. Eine Anonymisierung kann mehrere Wochen in Anspruch nehmen, würde die Zeitspanne von Dezember bis Februar also erklären. Das Oberlandesgericht (OLG) Graz erklärte, der Veröffentlichungszeitpunkt stehe in keinem Zusammenhang mit dem Kurz-Urteil, die Anonymisierung und Vorbereitung habe so lang gedauert.

Das Straflandesgericht Wien nahm Radasztics jedenfalls in Schutz: "Es handelt sich dabei um alte Vorwürfe, die nichts mit der richterlichen Tätigkeit oder mit dem Landesgericht zu tun haben", stellte eine Sprecherin des Straflandesgerichts klar. Die ÖVP hingegen hätte sich eine Veröffentlichung der Disziplinarentscheidung vor Prozessbeginn gewünscht und ortet einen "Anschein der Befangenheit" beim Richter. Laut ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker würden nun Zweifel daran entstehen, ob das Verfahren einen anderen Verlauf genommen hätte, wäre die Disziplinarentscheidung bereits davor bekannt gewesen. (Fabian Schmid, Renate Graber, 28.2.2024)