Aus Salzburg soll dieses Mal ein Klassiker in den Fokus gerückt werden. Einfallslos, meinen Sie? Schon wieder Mozart? Nein, keine Angst! Wir haben vielmehr bei den Leuten in Stadt und Land Salzburg nach Klassikern gesucht, allerdings Klassikern der Regionalsprachenforschung, etwa: Wie nennen Sie ein weibliches Kind?

Mädchen im Dirndl mit einer Brezen
Wie bezeichnen Sie ein Mädchen in Ihrem Dialekt?
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Diese und ähnliche Fragen haben wir an die Bevölkerung in Salzburg gestellt. Erhoben wurde dabei nicht traditionell in einer Face-to-Face-Befragung, wie das die Mundartforschung oder Dialektologie zum Teil bis heute noch macht. Wir haben anstatt von Wege-, Straßen- und Bahnnetz auf das "Internetz" gesetzt. Also: keine abenteuerliche Anreise mit der Murtalbahn in den Salzburger Lungau, keine schweißtreibende Radlfahrt quer durch das Flachgauer Seengebiet, kein Fußmarsch durchs winterliche Schneegestöber, um an einen der Bergbauernhöfe im Pon- oder Pinzgauer Salzachtal zu gelangen. Wenn wir heute wissen, dass die Bevölkerung im Land an Enns, Mur, Saalach und Salzach auf die erwähnte Frage vorwiegend mit Diandl antwortet, dann basiert diese Erkenntnis zur alltagssprachlichen Situation auf Daten, die wir – völlig unromantisch – im Rahmen einer großen Onlineumfrage erhoben haben. Der Vorteil liegt auf der Hand: Weniger wetterabhängig, weniger schweißtreibend und ohne mit einem zähnefletschenden Hofhund über die Relevanz eines unversehrten Hosenbodens oder davon bedeckter Körperteile verhandeln zu müssen, sind wir überallhin vorgedrungen, vom Pinzgauer Bergbauernhof bis zur Dachgeschoßwohnung im Andräviertel der Landeshauptstadt Salzburg. Und die Rückmeldungen reichen im Fall des zitierten Klassikers vom Diandl über das Mädl bis zur Mötz.

Zwischen Orts- und Verkehrsdialekt

Der methodische Wechsel ermöglichte eine vergleichsweise mühelose Erhebung der Sprachdaten: Insgesamt liegen uns Datensätze von ca. 10.000 "Gewährspersonen" vor, die es erlauben, die alltagssprachliche Situation in Salzburg erstmals mit dem Anspruch der Repräsentativität zu beschreiben. Darin besteht im Übrigen ein wesentlicher Unterschied zur bereits erwähnten Dialektologie: Nicht nur die bäuerliche Grundmundart, der sogenannte Basisdialekt, steht im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses, sondern die Alltagssprache, nämlich jene Sprache, die die Menschen in Alltagssituationen in der Familie und mit Freunden verwenden. Das kann ein Ortsdialekt sein, das kann eine am Schriftdeutschen – der Standardsprache – orientierte Sprachlage sein, das können aber auch Sprachlagen dazwischen sein – großräumige Verkehrsdialekte oder standardnähere Umgangssprachen.

Zu einer in diesem Zusammenhang meistgestellten Frage, jener zum Verlust der Dialekte, zuerst: Ja, Modernisierungsprozesse, erhöhte Mobilität – räumlich, sozial, mit Blick auf die Bildung –, neue Informations- und Kommunikationstechnologien haben einen Dialektausgleich herbeigeführt, der in der Sprachwissenschaft einen Namen hat: Regiolektalisierung. Klein(st)räumige Dialekte werden dabei zugunsten weiträumig verbreiteter Verkehrsdialekte (Regiolekte) aufgegeben. Einen Verlust oder ein Aussterben von Dialekten stellt dieser Prozess jedoch nicht dar.

Atlas zur Salzburger Alltagssprache
Die Mehrheitsvarianten für weibliches Kind im Land Salzburg. Die hellere Einfärbung der Stadt Salzburg und ihrer Umgebung zeigt, dass hier auch andere Bezeichnungen (zum BeispielMädl) häufig genannt wurden.
Foto: Atlas zur Salzburger Alltagssprache (ASA)

Tatsächlich haben nämlich kleinsträumige Bezeichnungen für "Mädchen" – um zum Beispiel zurückzukehren – alltagssprachlich nur mehr sehr eingeschränkt Bedeutung. Die Bezeichnung Tåttn etwa spielt selbst im Lungau, dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet, lediglich noch eine Nebenrolle, zum Teil auch mit einer für dialektale Bezeichnungen nicht selten zu beobachtenden Entwicklung der Bedeutungsverschlechterung – dann wird mit Tåttn das ungezogene Kind, egal ob männlich oder weiblich, bezeichnet. Ein der Tåttn im Lungau vergleichbares Schicksal ist der Båssdian, mit einem alten Verbreitungszentrum im Pongau, beschieden. Die Båssdian ist noch nicht völlig verschwunden, spielt aber im alltagssprachlichen Spektrum keine nennenswerte Rolle mehr, wird also kaum noch verwendet. An die Stelle von Tåttn und Båssdian tritt allerdings – und insofern wird klar, weshalb vom Dialektausgleich und nicht vom -verlust die Rede war – die Variante Diandl und nicht das an der Standardsprache orientierte Mädchen.

Zugleich hält sich aber in Bewahrheitung Sinowatz'scher Welterklärung ("Es ist alles sehr kompliziert!") doch die in weiten Teilen des Pinzgaus gebräuchliche Mötz sehr gut. Umgekehrt spielt am anderen Ende des alltagssprachlichen Spektrums im Land Salzburg das standardsprachlich orientierte Mädchen eben keine Rolle, auch nicht im urbanen Raum. In der Mozartstadt etwa hört man die Leute vom Diandl oder Mädl reden. Und das Madl, wie es uns aus Ostösterreich und auch aus Teilen Tirols geläufig ist? Interessanterweise ist diese Bezeichnung im gesamten Land bedeutungslos. Ob man sich damit an der Salzach bewusst vom ostösterreichischen Madl absetzt und sich sprachlich einer schwachen Salzburger Tradition – erst seit 1816 ist Salzburg ja ein Teil Österreichs – besinnt, muss unbeantwortet bleiben.

Dialektverwendung – eine Generationenfrage?

Sehr oft hört man auch in Salzburg, dass die Jugend keinen Dialekt mehr pflege, dass sie für dessen Rückgang und letztlich Aussterben die Verantwortung trage – ein heftiger Vorwurf. Uns hat daher interessiert, ob sich zwischen den Altersgruppen tatsächlich derart starke Unterschiede in der Sprachverwendung zeigen. Vorweggenommen: Ja, solche Unterschiede gibt es durchaus. Gleichzeitig hat sich der Dialekt innerhalb der jungen Generation aber auch neue Bereiche erobert, die ihm in der Generation unserer Eltern oder Großeltern noch verwehrt waren. Aber der Reihe nach.

Spricht man von der "dialektfeindlichen" Jugend, geht es fast immer um die Verwendung von Bezeichnungen, die nicht nur der Standardsprache entsprechen, sondern ganz konkret der bundesdeutschen Sprachverwendung zugeordnet werden (und dass wir in Österreich auf die "Piefkenisierung" empfindlich reagieren, hat Konstantin Niehaus im Blogbeitrag "Piefke, Preissn und Co" bereits thematisiert). Ein klassisches Beispiel dafür wäre etwa die Verwendung von Junge statt Bub oder Bursch für ein männliches Kind. Hier können wir aber eindeutig festhalten: Eine überwiegende Mehrheit verwendet Bub. Wirklich lohnend ist jetzt allerdings der Blick ins Detail: Wie erwartet verwendet die jüngere Stadtbevölkerung in Salzburg Junge zwar tatsächlich häufiger, aber der Unterschied ist weitaus geringerer, als dies gemeinhin oft angenommen wird. Denn: Auch bei den Jüngeren in der Stadt überwiegt nach wie vor eindeutig Bub. "Piefkenisierung" sieht anders aus.

Und dann geht's noch bunter, denn auch die verkehrte Welt kommt vor: Jüngere antworten dialektnäher als Ältere. Wie ist das erklärbar? Ein methodisches Artefakt? Schlägt uns hier unsere Umfrage ein Schnippchen? Wahrscheinlich nicht. Tatsächlich handelt es sich bei fast allen dieser Fälle um Fragen zur Aussprache, also etwa, ob man "(wir) sind" als san(d), sän(d), samma, saim, han(d), hamma oder eben sin(d) ausspricht. Im konkreten Beispiel dominiert zwar quer durch alle Altersgruppen san(d), jedoch zeigt die Gruppe 60 plus auch eine starke Neigung zu sin(d). Diese Tendenz unserer Eltern- und Großelterngeneration Richtung Standardsprache ist, wie gesagt, auch bei anderen Beispielen zu beobachten. Man wird sie wohl damit erklären können, dass sich der Dialekt in der jüngeren Generation eine neue Domäne erobert hat: den Bereich der Schriftlichkeit.

Heute ist für die Generation der Enkelkinder selbstverständlich, was der Großelterngeneration kaum in den Sinn gekommen wäre: schriftliche Kommunikation im Dialekt. Und so wird in sozialen Netzwerken das alte schulische Dogma "nach der Schrift" als Synonym für Standardsprache eigentlich ad absurdum geführt. Insofern überrascht es auch nicht, dass ältere Personen, schriftlich befragt, eher standardnäher antworten, als sie dies bei mündlicher Befragung tun würden: Schulische Prägung wirkt nach. In manchen Bereichen offenbar weniger "dialektfeindlich" und vielmehr nur schlecht beleumundet erhebt die Jugend hingegen den Dialekt zum medialen Standard in Whatsapp und Co.

Von der Kluft zwischen den Geschlechtern

Hohe Berge, tiefe Klüfte, so ließe sich das Land Salzburg mit Blick auf die Bezirke Innergebirg beschreiben. Nimmt man dagegen geschlechterspezifische Unterschiede im Sprachgebrauch in den Blick, spricht man wohl besser vom "Klüfterl", denn große Unterschiede lassen unsere Daten nicht erkennen. Dieser Befund ist durchaus überraschend und mag auch mit den erhobenen sprachlichen Phänomenen – vorwiegend Fragen zum Wortschatz und zur Grammatik – zusammenhängen. Eine der interessanten Ausnahmen finden wir aber im Bereich des Grüßens. Um es pointiert zu formulieren: Männer sagen Servus, Griaß enk / Pfiat enk, Hawedere, Frauen hingegen Hallo, Baba, Tschüss und Tschau. Ob das tatsächlich an der beim Begrüßen und Verabschieden wichtigen sozialen Positionierung liegt, bleibt vorerst eine – nicht unplausible – Vermutung. Sicher ist aber so viel: Eine Mötz hört man nur selten sagen: Hawedere! (Julian Blaßnigg, Peter Mauser, 29.2.2024)