Christian Friedel spielt den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß.
Christian Friedel spielt den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß.
LEONINE

Vor vier Jahren begann für den Schauspieler Christian Friedel eine "Reise", die nun im März bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles ihren Schlusspunkt erreicht. Mit dem britischen Regisseur Jonathan Glazer und an Seite von Sandra Hüller spielt er die Hauptrolle in The Zone of Interest, einem der außergewöhnlichsten Filme zum Thema der Shoah. Friedl spielt Rudolf Höß, den Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz. Das Historiendrama ist eine freie Verfilmung des gleichnamigen Romans des britischen Autors Martin Amis. Im Mittelpunkt steht die Familie von Höß, die mit ihm am Rande des Lagers wohnt.

STANDARD: Wie sind Sie zu der Rolle des Lagerkommandanten Höß in Jonathan Glazers ungewöhnlichem Auschwitz-Film "The Zone of Interest" gekommen?

Friedel: Über meine Agentur kam eine Anfrage, ein Selftape zu schicken, "für ein neues Projekt von Jonathan Glazer". Das war zu diesem Zeitpunkt noch ganz geheimnisvoll. Ich dachte mir: Da muss ich etwas Natürliches machen, also nichts vorspielen. Ich war, glaube ich, der Einzige, der das auf Deutsch abgegeben hat. Danach hat Jonathan mich nach London eingeladen und mich eingeweiht.

STANDARD: Glazer ging von dem gleichnamigen Roman von Martin Amis aus, der sich durch ein sehr frivoles Englisch auszeichnet. Im Film wird Deutsch gesprochen, was einen fundamentalen Unterschied ausmacht. War das von Beginn an klar?

Friedel: Ja, das stand schon fest. Es gab noch keine deutsche Übersetzung, aber es war für Jonathan ganz klar: Das können nur deutsche Schauspieler machen. Als er später gesehen hat, dass ich das Buch von Martin Amis las, hat er gesagt: Leg es lieber erst mal weg.

STANDARD: Die Dreharbeiten müssen ungewöhnlich gewesen sein, nach allem, was man so liest.

Friedel: Ja, das Haus, unser Set, stand in direkter Nähe des historischen Lagers Auschwitz und des originalen Hauses des Lagerkommandanten. Das Gebäude wurde für den Film präpariert. Überall waren Mikros versteckt, im ganzen Haus fernsteuerbare Kameras. Im Keller gab es eine Art Kommandoraum, da wurde die Schärfe gezogen. Manchmal hat man gewusst, wo die Kameras sind, manchmal nicht. Manchmal gab es auch parallele Szenen, da hat man dann in einem Nebenraum Kollegen spielen hören. Wir haben nie geprobt, nur vorbereitet, was an welcher Stelle im Haus zu tun war.

STANDARD: Sie spielen einen Bürokraten des Massenmordens, Sandra Hüller seine Ehefrau. Hat Glazer mit Ihnen über die moralischen Facetten der Figur gesprochen?

Friedel: Er hat zu mir gesagt: Dieser Kommandant denkt die ganze Zeit an die Arbeit. Zeig mir das, aber schenk der Figur nicht deinen Humor, deine Wärme. Wir haben viel darüber nachgedacht: Wie ist die Dynamik des Paares? Lieben die sich noch? War da Liebe? Kann man überhaupt von Liebe sprechen, wenn man Millionen Menschen umbringt? Kann man da abends nach Hause gehen und von Liebe sprechen? Jonathan hat dazu sechs Jahre recherchiert. Und nun ging es darum: Wie können wir uns dem nähern, um das möglichst menschlich nachvollziehbar zu spielen?

STANDARD: Wobei es offenbar nicht um psychologische Einfühlung ging.

Friedel: Wir wollten keine Biografie drehen. Das hat uns entlastet. Ziel war eher, Versatzstücke dieser Menschen zeigen. Wir haben viele Variationen von Szenen gedreht, Jonathan wollte immer neue Aspekte: mal locker, mal kalt, dann wieder traurig. Damit bekam er die Freiheit, die Figur in der Postproduktion zusammenzusetzen, und ich musste das aus den Händen geben.

The Zone of Interest | Official Trailer HD | A24
From writer/director Jonathan Glazer and starring Sandra Hüller, Christian Friedel, and Ralph Herforth.
A24

STANDARD: Sandra Hüller hat einige Szenen, in denen sie auf eine biedere Weise fast noch abscheulicher ist als der Kommandant.

Friedel: Meine Figur hatte auch solche Szenen, die Jonathan aber rausgenommen hat. Da war ihm sehr wichtig, dass Rudolf Höß nie klar als Täter zu erkennen ist. Was Sandra spielt, wurde noch nicht so oft beleuchtet. Viele Menschen haben das System genützt und toleriert und letztlich unterstützt, aus niedrigen Instinkten heraus. Mir hat Jonathan diese amoralischen und übergriffigen Szenen nicht gegeben, weil es nur so in diesem Gleichgewicht funktionieren konnte. Sandra hat gesagt, sie wollte ihrer Figur nie ihre Tränen schenken, deswegen hat sie sich sehr von außen und über Körperlichkeit genähert. Letztlich haben die vielen Variationen uns davon befreit, irgendeine Tiefe zu suchen, irgendetwas richtig zu machen.

STANDARD: Sie haben schon angedeutet, dass der Film sehr stark erst in der Postproduktion entstanden ist. Waren Sie verblüfft, als Sie ihn zum ersten Mal gesehen haben?

Friedel: Die größte Überraschung war das Sounddesign. Wir haben in kompletter Stille gedreht, und oft mit Greenscreen. Nun siehst du den Film und siehst und hörst und spürst das Lager, das wir nie gesehen haben – auch wenn Auschwitz die ganze Zeit nahe war. Sandra und ich haben den Film in Leipzig gemeinsam gesehen. Das war schon überwältigend. Wir sind danach essen gegangen und fanden erst einmal keine Worte. Das erste Mal als Beteiligter guckst du das technischer. In Cannes war es dann zu spüren, dass die Vision, die Jonathan sich vorgenommen hatte, für 2000 Leute in der Premiere funktioniert hat.

STANDARD: Sie haben auch mit Michael Haneke gearbeitet. Gibt es da Parallelen zu Glazer?

Friedel: Ich finde, dass es Parallelen zu Das weiße Band gibt. Und zwar nicht nur, weil die Kinder dort die künftigen Täter im Faschismus sein könnten. Bei beiden Drehbüchern dachte ich mir, da gibt es eigentlich keine Fragen, das ist fantastisch geschrieben. Haneke weiß bereits am Set, wie er schneiden wird. Und trotzdem hat er uns nie gesagt, wie wir etwas spielen sollen. Er hörte zu und schloss die Augen, weil er sagt: Das Ohr betrügt nicht. Jonathan ist genauso präzise, aber auf eine andere Weise. Er ist erst einmal auf der Suche.

STANDARD: Sie sind selbst nicht bei den Oscars nominiert, der Film schon. Und Sandra Hüller mit "Anatomie eines Falls". Werden Sie zur Oscar-Verleihung fahren?

Friedel: Na klar. Für mich ist es das Finale dieser ganzen Reise, die vor vier Jahren begonnen hat. Durch solche Preise sieht die Welt, dass unser Film existiert. Mir war schon klar, dass The Zone of Interest keine Schauspielerpreise bekommen wird, unsere Arbeit verschwindet ja beinahe. Für mich ist Jonathan als Regisseur herausragend, das Sounddesign ebenso. Das sollte von der Academy gewürdigt werden. Kunst ist eine universelle Sprache, das hat man in der Arbeit gemerkt. (Bert Rebhandl, 28.2.2024)