Die Österreicher lieben ihre Schweine am liebsten fein verarbeitet. Schweineköpfe und Spanferkel haben als Delikatesse an Reiz verloren. Am liebsten wird Schweinernes in Form von Schinken verzehrt. Auch Extrawurst, Frankfurter, Knackwurst und Leberkäse steht auf Speiseplänen unangefochten an der Spitze. Im Schnitt wiegt der jährliche Verbrauch an Schweinefleisch hierzulande pro Kopf 33 Kilogramm. 46 der rund 110 Kilo schweren Ferkel konsumiert ein Österreicher durchschnittlich im Laufe seines Lebens.

Österreich mästet jährlich mehr als vier Millionen Ferkel. Zwei Millionen wachsen unter AMA-Standards heran.
APA/dpa/Sina Schuldt

Die Bedingungen, unter denen Nutztiere in Europa gehalten werden, beschäftigten lange nur Landwirte und Veterinäre. Industrie und Handel maßen ihren Wert in Stückzahlen und Preisen. Seit viele Konsumenten, angestoßen von Tierschützern, ihre Ernährungsgewohnheiten überdenken, wurde das Schwein zum Politikum. Gerungen wird um jeden Quadratzentimeter Boden, auf dem sie gehalten werden. Einstreu und Auslauf liefern Stoff für Debatten bis hin zu den Höchstgerichten.

Große Handelskonzerne schmücken sich in Werbeoffensiven mit immer neuen Standards in der Tiermast: Wer um sein Image bemüht ist, kommt um weniger Tierleid nicht herum. Zugleich konterkarieren Supermärkte ihr Bemühen um höheres Wohl für Schweine jedoch mit dem rasanten Ausbau billiger Eigenmarken. Bio und Nachhaltigkeit haben in Zeiten der Teuerung von jeher das Nachsehen.

Neue Vorwürfe

Wenige Wochen vor Ostern erhalten hitzige Diskussionen über konventionelle Fleischproduktion einmal mehr Futter. Auslöser dafür sind Aufnahmen aus Ställen, die dem Verein gegen Tierfabriken (VGT) eigenen Aussagen zufolge jüngst zugespielt wurden. Sie sind harte Kost. Videos dokumentieren Kannibalismus im Falle eines Ferkels mit Mastdarmvorfall. Sie zeigen blutverschmierte verdreckte Artgenossen, einige mit großen Abszessen und Beulen.

Dem VGT zufolge wurden die Bilder Mitte Februar im Betrieb eines steirischen Mästers aufgenommen. Sein Eigentümer sei ein hoher Funktionär der Styriabrid, die in der Steiermark mehr als 1.200 Schweinehalter berät und vermarktet. Der betroffene Landwirt mästet und zieht in Summe rund 2.900 Ferkel auf. Sein Hof ist AMA-zertifiziert.

Anzeigen und Kontrollen

Die Tierschützer erstatteten bei der zuständigen Behörde Anzeige. Die AMA schickte unangekündigt Kontrollore, um sich ein eigenes Bild zu machen. Der Betrieb wurde vorerst für ihr Gütesiegel gesperrt. Auch Veterinäre rückten aus. Stellungnahmen der Betriebsleitung und des Amtstierarztes stehen noch aus.

Das Unternehmen sei stets gut dokumentiert worden, sagt Hans-Peter Bäck. Der Vizechef der Styriabrid ersucht im STANDARD-Gespräch, von Vorverurteilungen abzusehen, solange nicht alle Fakten auf dem Tisch seien.

"Kein Ruhmesblatt"

Der Tierarzt Werner Hagmüller, er lehrt an Universitäten und unterstützt Bauern bei der Umstellung auf höheres Tierwohl, mahnt, darauf angesprochen, ebenso zu einem vorsichtigen Urteil. Die Bilder seien kein Ruhmesblatt für die AMA, da sei nichts zu verharmlosen und zu beschönigen, sagt er. Dennoch dürfe man nicht per se auf Vergehen gegen Tierschutzgesetze und eine Vernachlässigung der Schweine schließen.

Ein Mastdarmvorfall und darauffolgender Kannibalismus etwa seien schwer zu verhindern. Auch sogenannte Blutohren kämen immer wieder vor. Abszesse in derartiger Größe wuchsen hingegen nicht von heute auf morgen. Tiere mit Nabelbruch gehörten rechtzeitig separiert. Nicht zulässig sei, von der Größe der Mast auf die Qualität der Haltung zu schließen. Er sei kein Freund großer Stallungen, räumt Hagmüller offen ein, gibt aber zu bedenken, dass es auch bei kleinen Biobetrieben zu Problemen kommen könne.

Politisch heiße Phase

Politisch fällt die Causa in eine heikle Phase im Kampf gegen Vollspaltenböden. Diese ebneten der Industrie den Weg in eine hocheffiziente Produktion – zulasten der Schweine, deren 20 sich derzeit Buchten von 15 Quadratmetern teilen. Der Verfassungsgerichtshof kippte heuer Übergangsfristen, die ein Verbot der umstrittenen Haltungsform erst ab 2040 vorsahen. Der Gesetzgeber muss die Regelung bis Mitte 2025 reparieren. In den kommenden Wochen wird in Landwirtschaftskammern hitzig um Vorschläge für mögliche Lösungen gerungen.

Es geht um viel Geld, nicht zuletzt auch um jenes der Steuerzahler. Ohne zusätzliche Förderungen droht ein Gutteil der Betriebe aus der Schweinemast auszusteigen und das Geschäft internationalen Anbietern zu überlassen, die unter niedrigeren Auflagen arbeiten.

Ringen um Verbesserungen

Für Laien mit freiem Auge kaum erkennbar sind Verbesserungen im Zuge von Projekten, die den Tieren 60 Prozent mehr Platz mit Einstreu ohne Auslauf zubilligen wollen.

Ein Verbot der Vollspalten bringen erst Programme, die den doppelten Platz, eingestreute Liegebereiche und Auslauf ins Freie erlauben. Einen Stall entsprechend umzubauen erfordert Investitionen von mehreren 100.000 Euro.

Styriabrid-Manager Bäck spricht von unterm Strich gut einer Milliarde Euro, die es brauche, um die Betriebe auf mehr Tierwohl umzustellen. Ab 2033 etwa dürfen Zuchtschweine beim Abferkeln nicht länger dauerhaft durch Kastenstände fixiert werden.

Tierschützer fordern möglichst hohe neue Mindeststandards. Veterinäre wie Hagmüller sehen den stärkeren Treiber für weniger Tierleid in positiver Motivation der Bauern über finanzielle Hilfen.

Österreich mästet im Jahr 4,3 Millionen Schweine. 2,1 Millionen sind nicht AMA-zertifiziert. 226.000 Ferkel wuchsen 2023 in einer Haltung auf, die strenger ist, als das Gesetz vorgibt. Nur 81.000 unter ihnen lebten in Bio-Haltung. (Verena Kainrath, 29.2.2024)