Wien – Während Ex-Kanzler Sebastian Kurz am Montag in der "ZiB 2" bei Armin Wolf einen Auftritt der skurrileren Art hinlegte und die Nachrichtensendung mit "Wetten, dass..?" verwechselte – zum Wettkönig reichte es aber nicht –, wollte sich sein Nachnachfolger, Kanzler Karl Nehammer, am Mittwoch ebendort staatsmännischer präsentieren. Was auch kein Wunder ist, die Agenda ist ja eine gänzlich andere. Der eine, Kurz, steht mit dem Rücken zur Wand und wurde gerade erstinstanzlich verurteilt, und der andere, Nehammer, kämpft um den Verbleib im Kanzleramt.

Bundeskanzler Karl Nehammer war zu Gast in der "ZiB 2".
Screenshot/ORF-TvThek

In Kriege "hineinstolpern"

In einem über weite Teile sachlichen und wenig konfrontativ geführten Gespräch warnte Nehammer vor einer nicht mehr kontrollierbaren "Eskalationsspirale" im Ukrainekrieg, sollten etwa Nato-Soldaten involviert sein. Wenn sie auf ukrainischem Territorium von russischen Kräften "angegriffen, getötet oder gar verletzt werden", hätte das viele Folgen, so Nehammer. Angesichts der Brisanz des Themas kann so ein kleiner Versprecher schon einmal passieren.

Es gelte jedenfalls, den dritten Weltkrieg zu verhindern. Österreich beispielsweise habe eine lange geschichtliche Erfahrung. "Wir wissen, dass man auch in Kriege hineinstolpern kann, die eine große Tragödie sind", sagte Nehammer mit einer Flut an Euphemismus. Patschert, diese Österreicher, stolpern ohne großes Zutun einfach so in Kriege hinein.

ZIB 2: Interview mit Bundeskanzler Nehammer
ORF

Bemühen um Frieden

Nehammer plädierte auch dafür, dass Wladimir Putin an den Verhandlungstisch kommen solle. Ob diese Annäherung nicht ein bisschen naiv sei, fragte Armin Wolf und erntete dafür erst einmal einen Schnaufer: "Ich glaube, dass niemals aufgehört werden darf, daran zu denken, wie Frieden wiederhergestellt werden kann." Es werde nicht von heute auf morgen gehen, so viel sei klar, es brauche aber das stete Bemühen, dass über Frieden nachgedacht werde.

Verhandlungen und Putin in der Sackgasse

Im dritten Jahr des Konflikts müssten "neue Lösungen" auf den Tisch kommen, damit dieser Krieg irgendwann auch einmal ende. Man befinde ich in einer Art "westlicher Echokammer" und solle versuchen, die Brics-Staaten mit ins Boot zu holen – das sind Brasilien, Indien, China und Südafrika –, die allesamt Einfluss auf den russischen Präsidenten nehmen könnten. Österreich könnte als Vermittler fungieren. Putin habe sich mit seinem "Angriffskrieg" in eine Sackgasse manövriert. Die Nato sei gewachsen, Schweden und Finnland seien beigetreten, und die westlichen Länder des Militärbündnisses hätten ihre Armeen aufgerüstet.

Nach einem klaren Bekenntnis zur Neutralität und einem Exkurs in Richtung Semantik, ob sie das Land jetzt schützt und/oder nützt, kam später in dem Interview kurz, aber doch auch die Innenpolitik zur Sprache. Nehammer verteidigte etwa das zwei Milliarden Euro schwere Baupaket, das die schwarz-grüne Regierung auf den Weg gebracht hat, und dass die Wohnbauförderung der Bundesländer nicht angetastet werde.

Kanzler und nicht ÖVP-Parteichef

Nachdem am Dienstag bekannt geworden war, dass der Richter im Falschaussageprozess gegen Sebastian Kurz, Michael Radasztics, im Mai 2023 zu einer Disziplinarstrafe verurteilt wurde, was wiederum die ÖVP empörte und sie zur Richterkritik ausholen ließ, fragte Wolf: "Glauben Sie, dass der Richter Sebastian Kurz aus parteipolitischen Motiven verurteilt hat? Und falls Sie das nicht glauben: Halten Sie es dann nicht für problematisch, wenn Ihre Partei permanent die Justiz oder auch den Richter attackiert?" Er, Nehammer, sitze hier als "Bundeskanzler der Republik" und werde auch als solcher wahrgenommen. Und gar nicht als ÖVP-Chef?

"Als Bundeskanzler respektiere ich die Gewaltenteilung", sagte Nehammer, und die unabhängige Gerichtsbarkeit sei ein "hohes Gut" im Rechtsstaat. Deswegen habe die ÖVP eine "Rollenteilung" vorgenommen. Während ÖVP-Generalsekretär und Anwalt Christian Stocker zur Schelte ausholt und den Mann fürs Grobe spielt, soll sich Nehammer anscheinend in der Rolle des Staatsmanns sonnen. "Ich als Bundeskanzler kommentiere kein laufendes Verfahren." "Good Cop, Bad Cop" also.

Blockade zum Schutz der Belegschaft

Warum das Bundeskanzleramt in der Inseratencausa, wo auch die ÖVP als Beschuldigte geführt wird, die Bemühungen der Staatsanwaltschaft torpediere, die E-Mail-Korrespondenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der PR-Abteilung zu bekommen, erklärte Nehammer mit Verweis auf den Verrat möglicher Staatsgeheimnisse und datenschutzrechtliche Bedenken. Und er sagte zu Wolf: "Die wichtigste Frage haben Sie jetzt nicht gestellt." Das macht er schon selbst: "Wie geht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bundeskanzleramt damit?" Er sei eben nicht nur Bundeskanzler, sondern auch Dienstgeber, der eine Verantwortung und Fürsorgepflichten habe.

Und dass sich die Causa durch die Blockade noch weiter und bis weit hinein in den Zeitraum nach der Nationalratswahl im Herbst 2024 ziehen wird, ist aus Sicht der ÖVP wohl auch Kalkül. Das sagte er aber nicht dazu. (Oliver Mark, 29.2.2024)