Schilder bei Demo für Recht auf Abtreibung
Das Recht auf Abtreibung ist ein politisch hockakutes Thema. Auch wissenschaftliche Publikationen werden politisch instrumentalisiert.

Wissenschaft ist Wissenschaft und dient dem objektiven Erkenntnisgewinn – sollte man zumindest meinen. Doch immer wieder wird Wissenschaft politisch instrumentalisiert. Das zeigt etwa ein aktueller Fall, in dem drei Studien zu Abtreibungen vom Publikationshaus zurückgezogen worden sind. Das Brisante an dem Fall: Zwei der Studien wurden von einem Bundesrichter in Texas in seinem Entscheid zitiert, dass die Abtreibungspille Mifepreston vom Markt genommen werden sollte.

Anfang Februar hat Sage Publications, ein US-amerikanischer Wissenschaftsverlag, insgesamt drei Studien zu Abtreibungspillen zurückgezogen. Zwei Studien, eine aus dem Jahr 2021 und eine aus dem Jahr 2022, zeigten, dass diese Medikamente eine Belastung für das öffentliche Gesundheitssystem in den USA darstellen. Die dritte Studie aus dem Jahr 2019, in der Abtreibungsanbieter in Florida untersucht wurden, wurde zurückgezogen, weil sie die Anbieter mit Fehlverhalten und Disziplinarproblemen in Verbindung brachte.

Mit Anti-Abtreibung-Organisationen

Das Verlagshaus gab als Begründung für den Rückzug der ersten beiden Studien an, dass sich darin Probleme mit Studiendesign und Methodik sowie Fehler in der Datenanalyse gezeigt hätten. Alle drei Studien würden außerdem unbestätigte Annahmen und irreführende Darstellungen enthalten. Studienautoren hätten es darüber hinaus verabsäumt, Interessenskonflikte anzugeben. Sie haben nämlich Verbindungen zu Anti-Abtreibung-Organisationen.

Das ist umso brisanter, weil die Klage – gegen das Urteil in Texas wurde mittlerweile Berufung eingelegt – nun beim Obersten Gerichtshof in den USA liegt. Dort steht für Ende März die Diskussion auf der Agenda, ob der Zugang zur betroffenen Abtreibungspille landesweit eingeschränkt werden soll.

Chris Adkins reichte die Beschwerde ein, die für den Rückzug ausschlaggebend war. Der Pharmawissenschafter an der South University Savannah im US-Bundesstaat Georgia stieß zum ersten Mal auf die Studie, nachdem der texanische Richter Matthew Kacsmaryk die darin postulierte Erkenntnis, dass Abtreibungen mit Mifepriston häufigere Ambulanzbesuche im Krankenhaus nötig machten, als Begründung für sein Urteil heranzog, berichtet das Fachmagazin Nature. Adkins betont: "Ich finde die Arbeit so problematisch, dass ich mich einfach an die Zeitschrift wenden musste."

Der Wissenschaftsverlag Sage reagierte prompt. Er leitete eine Untersuchung ein, in die auch zwei weitere Publikationen einbezogen wurden, an denen die gleichen Autoren beteiligt waren wie an der Studie aus 2021. Darüber hinaus beauftrage er unabhängige Expertinnen und Experten mit der Untersuchung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Studien.

Klagsdrohung des Autors

Dagegen wehrt sich wiederum der Hauptautor der drei Beiträge, James Studnicki. Er ist Chef der Datenanalyse am Charlotte Lozier Institute (CLI) in Arlington, Virginia, das sich selbst als Pro-Life-Forschungsorganisation bezeichnet. In einer Erklärung teilt er mit, dass es "keinen legitimen Grund" für die Widerrufe gebe und dass die Autoren "die Konfliktoffenlegungsanforderungen von Sage vollständig erfüllt hätten" mit der Angabe ihrer Zugehörigkeit zu und der Finanzierung durch CLI. Man wolle nun rechtliche Schritte gegen Sage einleiten.

Was ist nun genau problematisch an den Studieninhalten? Die Studie aus 2021 vergleicht die Anzahl der Ambulanzbesuche in den 30 Tagen nach einer chirurgischen Abtreibung mit denen nach einer medikamentösen Abtreibung und verwendet dabei Daten von Medicaid, einer Krankenversicherung der US-Regierung für Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln. Die inzwischen zurückgezogene Schlussfolgerung war, dass medikamenteninduzierte Abtreibungen mit mehr Notaufnahmen verbunden seien.

Die Studie behaupte, solche Notaufnahmen nähmen jedes Jahr zu. Sie vergleicht den Trend aber nicht mit der Gesamtzahl an Notaufnahmen. Wenn diese aber etwa durch mehr Medicare-Versicherte insgesamt zunehmen, könne der Trend nicht damit begründet werden, dass Abtreibungen durch die Pille riskanter seien, erklärt Kritiker Adkins.

Ein weiteres Problem der Studie sei, dass Spitalsambulanzbesuche als Indikator für abtreibungsbedingte Komplikationen herangezogen werden, sagt Ushma Upadhyay, Spezialistin für reproduktive Gesundheit an der University of California in San Francisco, gegenüber Nature. "Wir wissen aber, dass viele Menschen bei Komplikationen in die Notaufnahme gehen, weil sie zu weit vom Abtreibungsanbieter entfernt wohnen." Man kenne Blutungen als Nebenwirkung der Abtreibungspille, mehrere Studien hätten die Sicherheit von Mifepriston bestätigt und Blutungen als normale, kurzlebige Nebenwirkung gezeigt, nicht als Komplikation. "Doch Anwenderinnen möchten natürlich jede Blutung abklären lassen."

Klage wegen Kunstfehler

Die Studienautoren entgegnen dieser Kritik, dass der Besuch in der Ambulanz ein "besonders aufschlussreiches" Ereignis sei, das man beim Vergleich der relativen Sicherheit chemischer und chirurgischer Abtreibungen sehr wohl heranziehen könne. "Unerwünschte Ereignisse nach einer Mifepriston-Abtreibung treten eher zu Hause auf, was die Wahrscheinlichkeit eines Ambulanzbesuchs erhöht", halten sie fest.

Auch in der Studie aus dem Jahr 2019 soll unsauber gearbeitet worden sein: Sie untersucht Spezifika von Ärztinnen und Ärzten, die im Bundesstaat Florida Abtreibungen durchführen. Darin heißt es, dass gegen fast die Hälfte von ihnen mindestens eine Klage wegen eines Kunstfehlers, eine öffentliche Beschwerde, eine Disziplinarmaßnahme oder eine strafrechtliche Anklage erhoben worden ist. Doch der Vergleich mit der Gesamtrate solcher Klagen gegen Ärztinnen und Ärzte generell fehlte.

Warum die Arbeiten überhaupt publiziert wurden, begründet das Publikationshaus Sage damit, dass sich der Verlag auf die Redaktionen der einzelnen Journals verlasse. Diese träfen ihre Publikationsentscheidungen aufgrund von Bewertungen durch Gutachter. Offensichtlich stehe auch einer der Gutachter, der die drei Studien bewertet hatte, mit einer Anti-Abtreibung-Organisation in Verbindung, teil Sage mit.

Einschüchterungsversuche

So ein Rückzug einer Studie ist dabei nicht selbstverständlich für ein Verlagshaus, es könnte zu Klagen kommen. "In der Vergangenheit haben Anti-Abtreibung-Forscher mit Klagen gegen die Verlage gedroht", sagt Expertin Upadhyay. Sie war positiv überrascht, als sie die Nachricht von den Rückzügen erhielt.

Ein Beispiel, wie schwierig das ist, gibt Chelsea Polis, Epidemiologin bei der Forschungsorganisation Population Council in New York City. Im British Journal of Psychiatry war im Jahr 2018 eine Metaanalyse zu Abtreibung und der dadurch erhöhten Gefahr für die psychische Gesundheit veröffentlicht worden. Viele Forschende, auch Polis und ihre Kollegen, hatten öffentlich Bedenken gegen die Methoden geäußert, aufgrund derer die Studie Folgen für die psychische Gesundheit erkannte. Obwohl ein internes Gremium nach einer Untersuchung den Rückzug der Publikation empfohlen hatte, geschah das nicht. Eine offizielle Erklärung dafür gibt es nicht, doch die Autorin des fragwürdigen Papers drohte offensichtlich mit rechtlichen Schritten, als sie erfuhr, dass die Studie kritisch untersucht wurde.

Solche rechtlichen Drohungen würden Forschende davon abhalten, sich zu problematischen Arbeiten zu äußern, erklärt Polis gegenüber Nature. Sie selbst ist bereits einmal verklagt worden, weil sie eine Beschwerde einreichte, die zum Rückzug einer Studie führte. "In meinem Forschungsbereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit habe ich nicht den Eindruck, dass viele Forschende Zweifel öffentlich äußern wollen", sagt Polis. "Das birgt aktuell viel Risiko und bringt nur sehr wenige Vorteile." (kru, 29.2.2024)