Duolingo Erfahrungen
Duolingo ist eine der bekanntesten Sprachlern-Apps. Maskottchen: die passiv-aggressive grüne Eule.
Collage: derStandard/Duolingo

"Josef hat die Februar-Challenge geschafft!“, "Therese hat mehr als zehn Einheiten an einem Tag gemacht!" "Karli hat nach fünf Monaten wieder angefangen!" Manchmal könnte man meinen, ich wäre in einer Sekte gefangen. Dabei lerne ich nur Portugiesisch, mithilfe einer App, die mich über den Lernfortschritt von näher oder auch nur sehr entfernt Bekannten auf dem Laufenden hält. Wobei: Ganz sicher bin ich mir nicht, ob es sich nicht doch um eine andere Daseinsform handelt.

"Wie lang ist dein Streak?", "Also ich bin schon seit Wochen in der Diamond-League!" Außenstehende verstehen hier nur Bahnhof. Hier also für jene Menschen unter uns, bei denen ein "Düdöng"-Geräusch aus dem Handy noch keine körperliche Reaktion erzeugt: So funktioniert Duolingo. Man lädt sich die App auf das Mobiltelefon, sucht sich eine Sprache aus, nicht immer gibt’s den Unterricht auf Deutsch, immer aber auf Englisch. Dann überlegt man, ob man zahlt oder die Gratisversion nützt (mit Werbung) oder gar im Familien- oder Freundschaftsverbund lernt, und schon legt man bei Stufe eins los.

How to Duolingo

Es beginnt mit simplen Phrasen und leichten grammatikalischen Konzepten, man übt Wörter, "Mann", "Frau", "Kind", dazu gibt es ein Guidebook, das Schlüsselphrasen erklärt oder vorsagt. "Ich habe ein Haus und ein Auto" - so weit, so gewöhnlich („Eu tenho uma casa e um carro“). "Ich habe einen Apfel" („Eu tenho uma maçã“). Es gibt unterschiedliche Arten von Übungen, man muss Sätze und Wörter nachsprechen oder schriftlich übersetzen, allerdings mit einer kleinen Hilfestellung.

Man kann auch im Eiltempo Wörter in beiden Sprachen matchen und dabei mehr sogenannte XP-Punkte („experience points“) einheimsen - ebenso in 15 Minuten bei doppelter Punktezahl. Und schon süchtelt man sich brav durch die von Computerspielen inspirierte Struktur samt Belohnungssystem, kämpft sich durch das wöchentliche Ranking auf die ersten Plätze.

Bernd und Elena, aus welchem Land oder Ort auch immer ihr kommt, ich werde euch schon noch schlagen! Wenn man nicht täglich übt, übt die App wenig subtil Druck auf einen aus: Das Maskottchen der App, eine kleine, dicke grüne Eule namens Duo, wird auf der Startseite meines Telefons immer aufgelöster, je weiter der Tag ungeübt voranschreitet. Abends ist sie schon ganz schief, brüllt "Don’t let it breakt!" (gemeint ist damit der "Streak", also jene Anzahl von Tagen, die man durchgängig gelernt hat), kurz vor Mitternacht blickt mich Duo mit roten Augen zornig an, fast hat er mich aufgegeben, bis ich noch im Halbschlaf diese eine Übung mache. Duo liebt mich wieder, der "Streak" ist gerettet, alles ist gut.

Sanfter Druck

Die beste Ausrede: Es handelt sich hierbei schließlich nicht um sinnloses Prokrastinieren, immerhin lernt man eine Sprache, nicht wahr?! Begleitet wird man dabei unter anderem von Lily, einer jungen Zynikerin mit lila Pagenkopf, einem Bär mit Schal und dem nicht besonders klugen Eddy mit seinem seltsamen Stirnband. Mit ihnen und anderen Figuren aus dem Duo-Universum verbringt man auch viel Zeit in zu lösenden "Storys".

Da trifft die Oma nach Jahrzehnten ihre große Liebe wieder, Eddy verjagt potenzielle neue Freundinnen, weil er so schlecht kochen kann, und Bea findet in einem Buch in einer Buchhandlung einen alten Liebesbrief. Und ja, hier haben auch Männer Lebensgefährten und Frauen Freundinnen, so weit, so normal. Die Übungssätze sind, milde ausgedrückt, erstaunlich, dafür bleiben sie effizient im Gedächtnis: "Weder er noch sie haben Persönlichkeit", "Ich bin nicht schuld" - in welcher Sprache kann man diesen Satz bitte nicht brauchen -, "Ich hatte meine paar glorreichen Stunden", "Demokratie ist die Grundlage freier Länder", "Ich dachte, du liebst mich", "Ich habe mit dem Skandal nichts zu tun", - lauter Sätze jedenfalls, die für Menschen wie mich mit Hang zur gedanklichen Autovervollständigung von Situationen und Gesprächen hängenbleiben.

Gelegentlich wird mir Duo an einem müden Montagmorgen ein wenig zu realistisch: "Mein Körper ist alt, aber mein Geist ist jung", "Weißt du, wie man Geld verdienen kann in Zeiten der Krise?". Duo, im Ernst, MUSS das sein? Zwischendurch brät mich Duo an wie ein etwas distanzloser Typ an einer Theke: "Wenn sich deine Eltern nicht getroffen hätten, wäre ich der traurigste Mann der Welt!" und "Ich würde gern deine Briefmarkensammlung sehen!" - Duo, ganz ehrlich, nein, da geht nix zwischen uns, Krise hin oder her.

Aber immerhin: "Ich würde mich besser fühlen, wenn du nicht da wärst" habe ich auch schon gelernt. Und "Wir werden niemals Freunde sein" und "Du musst hier raus, bevor mein Mann kommt" und "Ich rauche nur, wenn ich trinke" und "Ich bin im Zeugenschutzprogramm". "Eu não sou feliz", "Ich bin nicht glücklich". Bussi, Duolingo.

Lost in Translation

Ich war zwar noch immer nicht in Portugal - oder Brasilien -, um zu testen, wie weit ich mit meinen skurrilen Sätzen so komme, aber habe immerhin in der Theorie schon auf Portugiesisch viele Biere bestellt. Nicht umsonst stieg die Nutzerzahl von Duolingo während der Covid-Pandemie im März 2020 rasant um das Doppelte. Wenn man schon daheim sein musste, konnte man sich immerhin anderswohin denken.

Die App gibt es seit 2012. 83,1 Millionen Menschen nützten sie im dritten Quartal 2023 laut Firmenangaben. Gebaut wurde Duolingo vom Schweizer Informatiker Severin Hacker gemeinsam mit seinem Uni-Professor Luis Von Ahn, Informatikwunderkind aus Guatemala, der in Interviews nicht müde wird zu betonen, dass er bei seiner Mutter und Großmutter aufwuchs, die seine Ausbildung ermöglichten - und dass der Erwerb von Englischkenntnissen die Basis seines Erfolges war.

Bevor er mit Duolingo seinen Siegeszug um die Welt antrat, quälte Von Ahn uns mit der Erfindung von Captcha („Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart“). An der Entwicklung von neuen Sprachkursen arbeiteten auch über 1000 Freiwillige mit, unter anderem an Kursen für Navajo, Hawaiianisch, Walisisch und Irisch. 2021 ging das Unternehmen für 6,5 Milliarden Dollar an die Börse. 43 Sprachen gibt es derzeit im Angebot, 39 davon für Menschen, die Englisch sprechen.

Die beliebtesten Sprachen waren im Februar 2023 nach Englisch Spanisch (33,4 Millionen Lernende), Französisch (20 Millionen), Japanisch (13,8 Millionen), gefolgt von Deutsch (11,9 Millionen), Koreanisch (11,8 Millionen) und Hindi (8,35 Millionen). Mit immerhin 3,46 Millionen Menschen auf der Welt matche ich mich in Portugiesisch. Lernen kann man auch "Hochvalyrisch", die fiktive Sprache aus der Serie Game of Thrones, und Klingonisch.

Mathe im Duo

Mit um die zwei Minuten ist die Länge der Einheiten ziemlich genau der Aufmerksamkeitsspanne meiner Generation "Hirn wie ein Sieb" angepasst, der Schwierigkeitsgrad wird durch Datenanalyse so adaptiert, dass die Übungen weder zu leicht (zu fad) sind noch zu schwierig (zu wenig Erfolgserlebnis). Neu entwickelt wurden auch Kurse in Musik und Mathe, mit Duolingo ABC kann man lesen lernen. Und jetzt muss ich aufhören, weil ich habe gestern vor lauter Schreiben über Duolingo meinen Streak nicht verlängert, so was Blödes aber auch. (Julia Pühringer, 1.3.2024)