We are Screwed, Rarebyte
Mit kreativen Genre-Mix-Spielen wie "We Are Screwed" ist das Team aktuell beschäftigt.
Rarebyte

Ende der 1990er-Jahre kommt Mateusz Gorecki nach Österreich. Sein Traum ist es, Videospiele zu entwickeln. Am liebsten würde er sie zeichnen und entwerfen, denn genau in dieser Richtung liegt das Talent des gebürtigen Polen. Er setzt auf ein Studium an der Angewandten im Fachbereich digitale Kunst, wo damals digitale Installationen und interaktive Videos den Lehrplan dominieren. Die Ideen und Visionen des Künstlers und Medientheoretikers Peter Weibel schwingen noch stark durch die universitären Schulungsräume.

Parallel dazu fängt er an, an eigenen Projekten zu arbeiten, etwa einem 2D-Shooter, in dem man ein Raumschiff von links nach rechts bewegen kann. Er macht erste Gehversuche in der vor allem in Österreich noch jungen Branche, informiert sich über Foren, ob es Gleichgesinnte gibt, und lernt 2002 den Verein Rarebyte kennen. Mehrere ambitionierte Jugendliche treffen sich unter diesem Namen bereits seit mehreren Jahren zum gemeinsamen Videospielen, aber auch, um ebenfalls erste berufliche Schritte in der Games-Branche zu wagen.

Die unterschiedlichen Talentbäume der jungen Männer ergänzen sich, und auch persönlich funkt es. Der 22-jährige Gorecki hilft den Kärntnern bei deren ambitioniertem 3D-Weltraum-Actionspiel, an dem sie damals arbeiten. Auch wenn das Projekt nichts wird, sind alle Beteiligten mit der Zusammenarbeit zufrieden, und der gemeinsame Traum, Videospiele zu schaffen, lässt die vier jungen Männer 2006 eine gemeinsame Firma gründen, benannt nach dem gemeinsamen Verein: Rarebyte.

Die offizielle Anschrift entsteht in Kärnten, im Haus eines Gründers, noch bevor Büros in Wien und Graz eröffnet werden. Auch heute ist das Dachgeschoß in dem Haus noch Rückzugsort für Besprechungen und Klausuren.

Erste blaue Augen

Es ist 2024. Mateusz Gorecki läuft durch sein Büro in Wien und bleibt bei einem seiner Mitarbeiter stehen, der an seinem Platz in Graz sitzt. Ein Voice-und-Video-Chat öffnet sich, und die beiden reden miteinander, als wären sie im selben Raum. Möglich macht das eine Software, Gather.town, mit der man sich spätestens in der Corona-Zeit angewöhnt hat, remote zu arbeiten. "Man hat so zumindest das Gefühl, dass jemand im Büro sitzt, jemand in der Küche Pause macht und Ähnliches", erklärt Gorecki den Hintergrund der Nutzung.

Knapp 20 Leute arbeiten aktuell für Rarebyte. Das Team ist international und arbeitet teilweise in anderen Ländern. Die Führung teilen sich die beiden verbliebenen Eigentümer und Gründer Mateusz Gorecki als Game Director und Rainer Angermann als CEO. Sie pendeln zwischen den beiden Standorten, die früher inhaltlich stärker getrennt waren. In Wien wurde in den Anfängen die kreative Planung erledigt, die Umsetzung folgte in Graz. Nach Corona verschwamm das alles zunehmend. Das Arbeiten an verschiedenen Orten hat andere Tücken, wie Gorecki zugibt, weshalb die Gründer zumindest auf Anwesenheit im virtuellen Büro Wert legen.

Seit dem Debütgame "Waterstorm" 2006 ist viel Zeit vergangen. Damals veröffentlichte man das Spiel blauäugig auf der eigenen Website und träumte schon von den "Bahamas", wie Gorecki im Interview lachend zugibt. Es kam natürlich anders. Kaum jemand interessierte sich für das Spiel, schon allein weil kaum ein Spieler wusste, dass es "Waterstorm" gab. Die Vertriebsplattform Steam war damals noch sehr stark kuratiert und schwer zugänglich für ein kleines Team aus Österreich.

"Wir waren sehr naiv und haben alle Fehler einmal selber machen müssen." Mit mehr Geschäftssinn hätte das Spiel schon ganz gut funktionieren können, ist der Firmengründer sicher. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen bot man das Spiel für Linux, Mac und Windows PC an, um möglichst viele Nutzer ansprechen zu können. Dass dabei der Vertrieb auch eine wesentliche Rolle spielt, lernten die jungen Männer erst im Prozess.

Rarebyte, Team
Das Team ist auf zwei Standorte aufgeteilt: Wien und Graz.
Rarebyte

Aus Fehlern wird man klug

Netzwerken wird zu einem neuen Schwerpunkt der jungen Firma. Man fährt beispielsweise auf die damalige Games-Messe Games Convention in Leipzig und bekommt dort erstmals Auftragsarbeiten. Andere Entwickler lagern bestimmte Aufgaben an Rarebyte aus. Eine Vorgehensweise, die in der Branche immer üblicher wird. Nach drei Jahren des Klinkenputzens stabilisieren sich die Einkünfte, und Gorecki und seine Kollegen arbeiten nicht mehr nebenbei an der eigenen Firma, sondern Vollzeit.

"Aus heutiger Sicht wäre es wohl schlauer gewesen, sich erste Sporen in einem etablierten Studio zu verdienen, Erfahrungen zu sammeln und sich danach selbstständig zu machen", blickt Gorecki selbstkritisch zurück. Auf und Abs gab es natürlich, aber trotz der geringen Vorerfahrung bleibt die Firma über die Jahre stabil. Man stützt sich immer auf mehrere Standbeine und bläst das Studio nicht aufgrund eines erfolgreichen Deals unnötig auf. "Wir haben auch immer nur Projekte angenommen, wo wir wussten: Das schaffen wir in der aktuellen Zusammenstellung."

Gesundes Wachstum ist da, aber unnötige Risiken will man vermeiden. "Acht Leute zu verwalten ist schon ein Aufwand, das wäre dann bei 30 Leuten noch so viel mehr, dass du auch völlig neue Positionen schaffen musst."

Aber auch mit der im internationalen Vergleich geringen Anzahl an Mitarbeiterinnen ist man umtriebig. Mit "We Are Screwed" befindet sich ein interessanter Genre-Mix gerade auf Steam im Early Access. "Rogue Glitch Ultra" ist ein Wiener Ein-Mann-Projekt von Lino Slahuschek, dem sich Rarebyte als Publisher angenommen hat. Auch in dieser Rolle habe man "sehr viel gelernt" gibt Gorecki zu, weil diese Vertriebsplattformen alle recht komplex sind.

Rarebyte, Mateusz Gorecki
Gorecki leitet zusammen mit Rainer Angermann das knapp 20-köpfige Team.
Rarebyte

Die Relevanz von Glück

Einen Hit zu landen sei natürlich nicht planbar. Auch "safe bets", wie sie früher manchmal möglich waren, sind fast gänzlich verschwunden. Es gehöre viel "Glück" dazu und das Finden einer Nische. Passion sei in jedem Fall ein guter Start, wie viele Hits zeigen, die beispielsweise aus der Fan-Modding-Szene entstanden sind. Egal ob "Dota", "DayZ" oder "Counterstrike", viele Titel hätten gezeigt, dass man mit Herzensprojekten ganze Genres mitdefinieren könne. Dazu braucht es oft keinen brillanten Kopf mit einem 500-Mann-Team. Die Hoffnung vieler kleiner Studios.

Die eigenen Spiele auch in Game-Abos wie den Xbox Gamepass zu bekommen sei natürlich ein Ziel, um im Idealfall eine größere Reichweite zu erhalten. Das sei aber gerade bei den großen Plattformanbietern schwierig. Am besten man lernt irgendwann die "richtige Person" kennen, um die Möglichkeit zu bekommen, über die eigenen Projekte sprechen zu können. Für kleine Entwickler sei hier die Fokussierung auf bestimmte Stores aber wichtig, denn wenn man in zehn verschiedenen Vertriebsplattformen wie etwa Steam oder eben Gamepass vertreten ist, dann bedeutet jedes Update auch zehn "Pipelines", die man für diese Updates beachten müsse.

Generell sei man offen für jegliche Kooperationen oder Publisherdeals. Das sei nötig in dieser kompetitiven Szene. Um Herzensprojekte wie "We Are Screwed" verwirklichen zu können, mache man diverse Auftragsarbeiten, etwa Spiele für Messen oder das Zuliefern von Wissen und Manpower an andere Studios. Je nach Auslastung bei bis zu vier Projekten gleichzeitig könne man dann intern Ressourcen gut verschieben, auch wenn es grundsätzlich immer Hauptverantwortliche gebe, die sich primär um ihr Projekt kümmerten.

We Are Screwed! - Early Access Trailer
Rarebyte

Flexibles Arbeiten

Die Zukunft sei in jedem Fall sicher kein Selbstläufer, aber man sei gut aufgestellt für die Herausforderungen, die die Branche mit sich bringe. Talente würde man immer suchen, auch wenn aktuell auf der Website keine Jobs ausgeschrieben seien. "Wir bekommen extrem viele Bewerbungen übers Jahr, sowohl national als auch international." Die flexible Arbeitsweise sei auch für viele junge Menschen attraktiv. Im Team selbst sei ein Mix aus erfahrenen Mitarbeitenden und begabten Studienabgängern entstanden, der sich bewährt habe. Junge Bewerberinnen und Bewerber, die in der Branche anfangen wollen, sollten in jedem Fall schon Projekte gemacht haben, im Idealfall in einem kleinen Team. Abstimmung sei wichtig bei der Spielentwicklung.

Gorecki wirkt zufrieden mit dem Erreichten, auch wenn sich längere Pausen für ihn und seinen Partner weiterhin eher selten ausgehen. Als größtes Learning der letzten knapp 20 Jahre nennt er überraschend den Punkt Netzwerken. "Sich in der Branche bewegen, Menschen kennenlernen, das darf man nicht unterschätzen." Allein zu Hause zu sitzen und darauf zu hoffen, dass eine brillante Idee dabei entsteht, käme vor, siehe etwa "Minecraft" oder "Stardew Valley", aber in der Breite brauche es diverse Teams, die sich die Bälle zuspielen und sich gegenseitig aushelfen können. "Nichts fliegt einem zu", sagt Gorecki. Auch das ist eine Weisheit, die er über die Jahre gelernt hat. (Alexander Amon, 4.3.2024)