2023 gilt in klimatischer Hinsicht als ein Jahr der ungeliebten Rekorde. Nicht nur der Sommer war der heißeste der Messgeschichte, überhaupt das ganze Jahr stellte bei den globalen Durchschnittstemperaturen alle anderen davor in den Schatten: Sowohl der EU-Klimawandeldienst Copernicus als auch die UN-Weltorganisation für Meteorologie (WMO) erklärten das Vorjahr zum wärmsten, seit es regelmäßige verlässliche Temperaturaufzeichnungen gibt.

In der gleichen Manier geht es 2024 weiter. Auch die vergangenen Jännertemperaturen übertrafen im Schnitt alle bisherigen gut dokumentierten Jännerwerte: Im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter war es laut Copernicus weltweit im ersten Monat um 1,66 Grad wärmer. Ähnliches zeichnet sich bereits für den Februar ab.

Sonne über Ozean, El Nino, Klimawandel
Abendrot über dem Pazifik, im Süden Kaliforniens aufgenommen. El Niño ist ein Klimaphänomen, das im Pazifik seinen Anfang nimmt. Für heuer könnte "der Junge" rund um den Globus für neue Temperaturrekorde sorgen.
Foto: GETTY IMAGES NORTH AMERICA/MARIO TAMA

El Niño gibt Gas

Die immer neuen Rekorde werden sich wohl auch im weiteren Verlauf des Jahres die Klinke in die Hand geben, daran hegen Fachleute kaum Zweifel. Schuld daran ist insbesondere das Klimaphänomen El Niño, das nun erst so richtig in Fahrt gekommen ist und die Entwicklungen beim menschengemachten Klimawandel zusätzlich befeuert. Das werden einige Regionen der Welt in den kommenden Monaten teilweise drastisch zu spüren bekommen, wie eine aktuelle Studie befürchten lässt.

Die ersten Regungen von El Niño registrierte man im vergangenen Juni westlich von Südamerika. Das klimatische Phänomen ist (wie sein Pendant La Niña) Teil eines großräumigen Systems von Ozean- und Luftströmungen im tropischen Pazifik. Sein Name – im Spanischen für "Junge" oder in dem Fall konkreter "Christkind" – rührt daher, dass seine Auswirkungen meist kurz vor Weihnachten so richtig spürbar werden.

Während La Niña jedoch im globalen Durchschnitt zu tieferen Temperaturen führt, sorgt El Niño mit der aus dem westlichen Pazifik in die Atmosphäre abgegebenen Wärme für einen beschleunigten Anstieg der jährlichen globalen mittleren Oberflächentemperatur (GMST). Fachleute gehen davon aus, dass dies mit einem deutlichen Anstieg der Oberflächentemperaturen während extremer regionaler Erwärmungsereignisse in Zusammenhang steht.

Dürren, Stürme, Brände

El-Niño-Bedingungen treten durchschnittlich alle zwei bis sieben Jahre auf, die Episoden dauern in der Regel neun bis zwölf Monate. Bei diesem Klimamuster steigen die Oberflächentemperaturen im zentralen und östlichen tropischen Pazifik, wodurch es an den Westküsten Nord- und Südamerikas tendenziell auch feuchter wird. In Südostasien und Australien hingegen kommt es in El-Niño-Jahren häufiger zu Dürren.

Solche Veränderungen haben letztlich auch Auswirkungen auf das Wetter in ferneren Regionen wie Ostafrika, wo sie zu Trockenheit führen werden. Hinweise auf direkte mögliche Einflüsse auf Europa sind bisher nicht bekannt. Während des borealen Sommers kann das warme Wasser von El Niño die Bildung von Wirbelstürmen im zentralen und östlichen Pazifik begünstigen – im atlantischen Becken kann das klimatische Phänomen die Entstehung von Wirbelstürmen dagegen unterdrücken.

Was noch kommen wird

Welche Gebiete der Erde in den kommenden Monaten von den El-Niño-Folgen besonders betroffen sein werden, hat sich eine Forschungsgruppe an der Chinesischen Akademie für Meteorologische Wissenschaften in Beijing genauer angesehen und dafür komplexe Modellberechnungen durchgeführt. Laut den im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlichten Ergebnisse von Computermodellierungen werden vor allem der Golf von Bengalen, die Philippinen und das Karibische Meer unter extremen Temperaturen zu leiden haben. In Summe hat das wohl auch Folgen für die weltweite Gesamtwärmebilanz: Wie das Team um Congwen Zhu berichtet, wird es selbst bei einem moderaten El-Niño-Szenario bis Jahresmitte zu rekordverdächtigen globalen Durchschnittstemperaturen kommen.

Congwen Zhu und seine Kolleginnen und Kollegen modellierten für ihre Studie die Auswirkungen des aktuellen El-Niño-Phänomens bis Juni 2024 auf Basis regionaler Abweichung der Oberflächentemperaturen vom Mittelwert zwischen 1951 und 1980. Um sicherzustellen, dass sie auch den Höhepunkt des El-Niño-Ereignisses (der üblicherweise zwischen November und Januar liegt) erfassten, berücksichtigten sie auch Messwerte, die seit Juli 2023 gesammelt wurden.

El Nino, Klimawandel, Grafik
Die Grafik zeigt die Temperaturprognosen für 2024 bei moderatem (oben) und heftigerem (unten) El-Niño-Verlauf. Die besonders betroffenen Regionen sind mit blauen Punkten gekennzeichnet.
Grafik: Congwen Zhu et al.

Von Indien bis Alaska

Dabei zeigte sich, dass selbst bei einem gemäßigten El-Niño-Auftritt im Golf von Bengalen östlich des indischen Subkontinents und auf den Philippinen bis Juni 2024 bisher nie gekannte durchschnittliche Temperaturspitzenwerte auftreten dürften. Fällt El Niño dagegen besonders heftig aus, werden noch deutlich mehr Regionen von Extremtemperaturen betroffen sein: Vor allen für das Karibische Meer, das Südchinesische Meer sowie für Gebiete im Amazonasbecken und in Alaska sehen die Prognosen düster aus.

Das Forschungsteam untersuchte außerdem, was das für den gesamten Planeten in diesem Jahr bedeuten könnte. Nichts Gutes, wie die Modellierungen ergaben: Die Auswirkungen von El Niño, selbst wenn das Phänomen insgesamt moderat ausfallen sollte, könnten demnach mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die globale mittlere Oberflächentemperatur heuer den historischen Rekord vom Vorjahr bricht.

Folgen für die Gesamtjahresbilanz

Konkret dürfte die weltweite Durchschnittstemperatur in einem solchen gemäßigten Szenario im Zeitraum 2023 bis 2024 um 1,03 bis 1,10 Grad Celsius über dem Referenzmittelwert von 1951 bis 1980 liegen. Wird El Niño jedoch noch stärker, könnte es sogar zu Temperaturwerten von 1,06 bis 1,20 Grad Celsius über diesem Mittelwert kommen.

Das Forschungsteam warnt vor den Folgen dieser Entwicklungen in den kommenden Monaten. Die prognostizierten Rekordtemperaturen werden vor allem die betroffenen Regionen vor große Herausforderung stellen, so Congwen Zhu. Ein Blick zurück auf die vergangenen Jahre lässt befürchten, dass es regional zu extremen Klimaereignissen kommt – die Menschen werden sich wohl auf schwere Waldbrände, tropische Wirbelstürme und anhaltende Hitzewellen einstellen müssen, so die Wissenschafter. (Thomas Bergmayr, 29.2.2024)