Roberto Matta
Mattas Monumentalwerk "Coïgitum" übt mit seinen Dimensionen von zehn mal vier Metern sowie der sich darauf abspielenden Dynamik eine futuristische Sogkraft aus.
Matta Archives

Viel zu häufig wird voreilig vom immersiven Charakter eines Kunstwerks oder gleich einer ganzen Ausstellung gesprochen. Wirkliches Eintauchen in künstlerische Arbeiten muss sich allerdings auf mehreren Ebenen gleichzeitig abspielen. Ein aktuelles Beispiel, bei dem man ohne Übertreibung von Immersion sprechen darf, ist die neue Ausstellung im Kunstforum der Bank Austria. Unter dem schlichten Titel Matta entfaltet sich dort eine gelungene Retrospektive des Surrealisten Roberto Matta.

Der 1911 in Chile Geborene war zunächst gar nicht als Künstler, sondern als Architekt tätig. In dieser Funktion arbeitete er als Assistent beim spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937 mit und lernte dort Pablo Picasso und dessen Anti-Faschismus-Ikone Guernica kennen – welche sein Werk nachhaltig prägen sollte. Nach diesem Eindruck ließ Matta die Architektur hinter sich, begann zu zeichnen und später zu malen.

Kollege Salvador Dalí ermunterte ihn sogar, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. In seinen für die damalige Zeit noch unüblich großformatigen Bildern nehmen sein grafisches Handwerk sowie das geschickte Spiel mit architektonischen Bausteinen eine dominierende Rolle ein.

Roberto Matta
Die Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik ist Mattas Werken inhärent, wobei sie der Künstler in einer Objektwelt zwischen Apokalypse und blanker Komik auslebte.
Matta Archives

Science-Fiction-Spektakel

So in dem Monumentalwerk Coïgitum, das nicht nur durch seine schieren Dimensionen von zehn mal vier Metern beeindruckt, sondern auch durch seine futuristische Sogkraft. Eine Stadt aus lebendigen Maschinenteilen scheint darin in einem undefinierbaren blauen Raum zu schweben.

Betrachtet man das zentral in der Ausstellung präsentierte Werk – sitzend in einem der von Matta selbst entworfenen, komfortablen Möbelstücke –, könnte man fast meinen, die Einzelteile zerlegen sich vor den eigenen Augen in Zeitlupe, um sich im nächsten Moment wieder neu zusammenzusetzen. Ein dynamisches Science-Fiction-Spektakel! Die Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik ist Mattas Werken inhärent, wobei sie der Künstler in einer Objektwelt zwischen Apokalypse und blanker Komik auslebte.

Typisch für den Surrealismus brachte der 2002 verstorbene Matta Dinge zusammen, die nicht unbedingt zusammengehören. So tauchen in seinen Kosmen plötzlich alltägliche Gegenstände wie Radios, Kaffeehäferln, Flugzeuge oder allerlei körperliche Formen auf. Der Maler driftete entgegen allen Trends nie ins Abstrakte, blieb stets der Gegenständlichkeit treu.

Roberto Matta
Typisch Surrealismus: In Mattas Kosmen tauchen immer wieder alltägliche Gegenstände wie Radios, Kaffeehäferln, Flugzeuge oder allerlei körperliche Formen auf.
Matta Archives

Hype um Surrealismus

Nach über 30 Jahren wird Matta nun die erste Retrospektive in Österreich gewidmet, seine letzte Schau zeigte das Kunsthaus Wien 1991 zum 80. Geburtstag des Visionärs. Obwohl Matta jüngster Vertreter der surrealistischen Bewegung war, später den jungen Vertretern des abstrakten Expressionismus wichtige Impulse lieferte, eng mit Größen wie Robert Motherwell und Marcel Duchamp befreundet war und als bekannte Größe in der Kunstwelt gilt, erlangte er abseits derselben nie breite Popularität. Matta unterwarf sich keinen Moden und blieb zeitlebens Einzelgänger.

Seit geraumer Zeit wollte Kunstforum-Direktorin Ingried Brugger bereits eine Ausstellung zu Matta umsetzen, sagt sie. Den jetzigen Zeitpunkt findet sie angesichts des aktuellen Hypes um Surrealismus besonders passend. Die gesellschaftskritischen, absurden und gegenständlichen Welten scheinen gerade heute viele zu interessieren. Vielleicht haben die vielen Krisen daran Schuld? Oder KI-Ästhetik? Mattas Werke können jedenfalls als Paradebeispiel surrealer Gegenwelten verstanden werden.

Roberto Matta
In dem 1975 entstandenen Gemälde "El Burundi Burunda ha muerto" reflektiert der Künstler die Pinochet-Diktatur in seiner Heimat.
Matta Archives

Witzige Kritik und weirde Würmer

Gegen Ende der chronologisch aufgebauten Ausstellung entpuppen sich die Gemälde des Malers, der früh die Welt bereiste und fünf Mal verheiratet war, als stark politisch – wobei er immer auch eine witzige Weirdness durchblitzen lässt. Da macht er sich in dem Bild La Banale de Venise samt insektenartigen Protagonisten über die Eigenarten der Kunstszene lustig, reflektiert in einem eigenartigen Figurenfries die Pinochet-Diktatur seiner Heimat oder verarbeitet den Napalm-Einsatz im Zweiten Weltkrieg in Form eines wurmartigen Wesens.

Dass dem Künstler auch die Art und Weise, wie seine Werke präsentiert wurden, wichtig war, veranschaulicht ein eigener Raum mit dem Triptychon La nature unie. Dieses ließ Matta 1973 anlässlich einer Ausstellung in Frankreich zusammen mit anderen Leinwänden schräg an den Decken in den Raum hängen. Im Kunstforum Wien wurde diese eindrucksvolle Installation nun rekonstruiert und gleicht mit der gezielten Lichtsetzung einem begehbaren Gemälde, in das man abtauchen kann. In diesem Fall wirklich. (Katharina Rustler, 1.3.2024)