Schreibt nüchtern über den Frauenalltag: Cho Nam-Joo.
Schreibt nüchtern über den Frauenalltag: Cho Nam-Joo.
Minumsa

Es sind harte Lebensrealitäten, die Cho Nam-Joo in ihren Romanen nachzeichnet. Im Zentrum ihrer Erzählungen stehen stets Frauen, eingezwängt in beengenden gesellschaftlichen Verhältnissen, in noch engeren Wohnungen und einschnürenden Rollenvorstellungen für Männer und Frauen.

Letzteres beschrieb sie beinahe schon protokollartig in ihrem Welterfolg Kim Jiyoung, geboren 1982, der 2016 begleitet von Vorwürfen sexueller Belästigung oder Gewalt durch mächtige Männer und der Ermordung einer jungen Frau bei einer U-Bahn-Station große feministische Proteste in Korea mitauslöste. Gucklöcher an den Wänden der Toilettenkabinen für Frauen, Job und Mutterschaft als No-Go, unverhohlener Sexismus – kurz: Unterdrückung an jeder Ecke eines Frauenlebens treibt die Figur Kim Jiyoung in den Wahnsinn und in der Realität unzählige Frauen auf Seouls Straßen.

Eingezwängte Leben

In ihrem neuen Roman Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah schildert Cho Nam-Joo, wieder mit einer sehr kühlen Sprache, den mühevollen Alltag von Mani. Sie ist Ende dreißig und lebt bei ihren Eltern wie die meisten Unverheirateten. Ihr Vater hält die Familie mehr schlecht als recht abwechselnd mit dem Verkauf von Obst, Nudeln und Süßigkeiten oder Fabrikarbeit über Wasser. Sobald Tochter Mani selbst Geld verdient, ist sie eine wesentliche Säule für das mickrige Familieneinkommen. Die Eltern sind von daher nicht allzu betrübt, dass Mani unverheiratet ist. Die Ehe gilt als einziger Grund für ein eigenständiges Leben – eigenständig Ehefrau sozusagen.

Hier rauskommen, das ist der rote Faden des Romans. Raus aus den beengenden Wohnverhältnissen, raus aus der Armut und den erdrückenden sozialen Verhältnissen. Innere Vorstellungen und Ideen von einem Leben, so zeigt sich, werden durch die materiellen Umstände mitgeformt.

Das ersehnte WC

Die Menschen in Manis Viertel setzen jedenfalls Hoffnungen auf neue Bauvorhaben, überall sind Plakate von nigelnagelneuen Hochhäusern zu sehen. Endlich in ein richtiges Apartment ziehen – am besten ganz oben, inklusive einer Toilette mit richtiger Wasserspülung und gut schließenden Fenstern. Cho Nam-Joo erzählt konsequent weiter, wenn man schon längst wegschauen will. Sie lässt nicht locker in ihrer Beschreibung des Lebens zu dritt mit einer Toilette ohne Wasserspülung. Die Autorin belässt es nicht bei der Vorstellungskraft der Leserinnen und Leser und schreibt die täglichen Gedanken zu Fäkalien und Ekelgefühlen von Mani nieder, wenn sie aufs Klo muss – auch die Lesenden lässt Cho Nam-Joo nicht aus.

Cho Nam-Joo,
Cho Nam-Joo, "Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah". Übersetzt von Jan Henrik Dirks. € 24,50 / 288 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024
Kiepenheuer & Witsch

Für ihr eigenes Leben sah Mani als Kind nur einen Ausweg aus der Armut: eine Karriere als Turnerin. Turnen lernen, hart trainieren und ab zu den Olympischen Spielen. Das war der Plan. Nicht dass ihr Turnen Spaß gemacht hätte, keineswegs, aber so könnte es gehen. Doch auch die Erzählung, dass mit Wille und Fleiß etwas zu erreichen wäre, straft Cho Nam-Joo Lügen. Ihre Mutter ist sichtlich bemüht, Mani zu unterstützen, schickt das Kind aber fälschlicherweise in einen Aerobic- statt in einen richtigen Turnkurs. Und später, endlich bei einer richtigen Turnlehrerin angekommen, stößt Mani an die Grenzen ihres Körpers. Das Knie will beim Lernen eines Spagats nicht unten bleiben, der Oberkörper klappt bei diversen Übungen wie automatisch dorthin, wo er nicht hinsoll – es will einfach nichts werden mit ihrer Turnkarriere. Sie will nicht aufgeben, sie muss aber.

Aus der Traum

Auch den Menschen in Manis Viertel wird klar, dass das mit den neuen Hochhäusern nichts wird, zumindest nicht für sie. Statt erfüllten Wohnträumen werden Mieter und Mieterinnen aus ihren Wohnungen vertrieben und in Baracken abgeschoben, während sich die Bauvorhaben wegen Kämpfen zwischen Anrainervereinen und Bauunternehmen, Korruption und undurchsichtiger, dubioser Wohnbaupolitik immer weiter verschieben. Für die Politik zählt nur, Seoul als Aushängeschild einer immer reicher werdenden Industrienation aufzupolieren. Mani verliert schließlich auch noch ihren Job. "Glücklich", dieses Gefühl reduziert sich auf die nun zusätzlich gewonnene Zeit unter ihrer wärmenden Bettdecke. Dort geht’s g’rade noch.

Trostlos? Definitiv. Trotzdem ist die kühle Selbstbeobachtung von Mani eine Art Ermächtigung über ihr Leben. Denn das eigene Leben verschwinde "allzu leicht im Nichts", deshalb müsse man es auf Fußspuren und den eigenen Standort überprüfen, so Mani. Ob das etwas ändert, etwa besser wird, weiß sie nicht, "aber, nun ja, es ist doch immerhin besser, als einfach völlig ahnungslos weiterzuleben".

Weiterleben, das ist jetzt der Plan. "Niemand ist glücklich, doch auch niemand betrübt. Es leben alle nur fleißig ihr Leben." (Beate Hausbichler, 2.3.2024)