Alma House, digitaler Render eines Hauses am Lake Vattern von Digital Artist & Designer Andrés Reisinger
Reisinger Studio / Andrés Reisinger

Lara Killebrew Derderian aus Albuquerque in New Mexico, USA, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass irgendetwas mit ihrer Wohnung nicht stimmte. Immer wenn sie über den Teppich im Wohnzimmer lief, knarzte der Boden, obwohl darunter eigentlich kein Parkett liegen sollte. Was sie außerdem verwirrte, war der viel zu tief gelegene Kamin, der von einer seltsamen Lehmkonstruktion am Fuß der Wand begleitet wurde, die keinen offensichtlichen Zweck erfüllte und es unmöglich machte, Möbel zu platzieren. Ihre Beobachtungen teilte sie auf Tiktok, wo Millionen von Menschen in den nächsten Tagen darüber rätselten, was das alles bedeuten könnte.

Als sie den Bodenbelag aufriss, entdeckte sie eine Grube, die mit Kies ausgefüllt worden war. Ein selten gewordenes Relikt aus den Siebzigerjahren, ein "Conversation Pit". Diese Art versenkter Sofas war vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts beliebt. In amerikanischen Wohnzimmern, aber auch in Österreich. Gerade in großen, offenen Räumen nutzten Architekten "Conversation Pits", um unterschiedliche Wohnbereiche zu schaffen, ohne Wände ziehen zu müssen. Denn Gesprächsgruben schaffen eine interessante Hierarchie: Sie sind zwar abgegrenzt, aber doch Teil der räumlichen Gesamterzählung.

Das erste "Conversation Pit"

Das nachweislich erste "Conversation Pit" entwarf der Avantgarde-Architekt Bruce Goff im Jahr 1924 für das Haus der Künstlerin Adah Robinson in Tulsa, Oklahoma. Eine Art-déco-Version mit einem flammenförmigen Kamin als Centerpiece. Seinen Durchbruch hatte das "Conversation Pit" aber erst viele Jahre später: mit dem Miller House von Eero Saarinen und Alexander Girard, das dem Industriellen J. Irwin Miller und seiner Frau Xenia gehörte. Herzstück des 1957 fertiggestellten Baus war eine abgesenkte, von Steinmauern umfasste Lounge ohne Geländer, ein Meer farbenfroher Teppiche und Kissen, deren Bezüge mit den Jahreszeiten wechselten.

American actress Jane Russell (1921 - 2011) in the sunken living room or 'conversation pit' at her home, circa 1950.
Hollywood-Ikone Jane Russell (1921–2011) hatte auch eine versenkte Sofalandschaft.
Getty Images

Der Vorteil des versenkten Wohnzimmers bestand nach Ansicht von Saarinen und Girard darin, dass es ungehinderte Sichtachsen durch das Erdgeschoß und auf die das Haus umgebende Landschaft ermöglichte. Die Grube sollte aber auch die Geselligkeit fördern; es Gästen ermöglichen, "sich fallen zu lassen", so die Architekten. Das Miller House wird oft als Katalysator für die Popularität des "Conversation Pit" angesehen, das in den Folgejahren in immer mehr Wohnzimmer eingelassen wurde. Und auch anderswo: Als Eero Saarinen fünf Jahre später das TWA Flight Center am New Yorker Flughafen JFK entwarf, krönte dessen Empfangsbereich ein riesiges "Conversation Pit", das mit rotem Teppich ausgekleidet war.

Abhängen in der Sofagrube

2019 wurde das restaurierte Flight Center als Hotel neu eröffnet, die zwischenzeitlich versiegelte Grube wieder geöffnet. Die Bilder verbreiteten sich schnell im Netz. Auf Tiktok bekamen Videos, die abgesenkte Wohnräume zeigten, plötzlich viele Millionen Views. Auf Instagram erschienen surreale "Conversation Pits" in traumhafter Kulisse, etwa im fiktiven Alma House des 3D-Künstlers Andrés Reisinger und der Architektin Alba de la Fuente. Und die Modemarke Gucci präsentierte ihre Kollektion für Frühjahr/Sommer 2023 in einer riesigen Halle, in der die Models um zwei mit Influencern gefüllte Sitzlandschaften herumliefen. Das Revival der Siebzigerjahre in Mode und Design dürfte auch bei der aktuellen Beliebtheit von "Conversation Pits" durchaus eine Rolle spielen.

Dass diese Form des Interieurs bei Durchschnittsverdienern wieder auf dem Vormarsch ist, darf allerdings bezweifelt werden – allein aus Platzgründen. Am besten sehen diese tiefergelegten Riesensofas immer noch in mondänen Häusern aus, und die können sich nur wenige leisten. So wie Pam und Paul Costa, die für ihren Job bei Apple von Milwaukee ins Silicon Valley zogen und den kalifornischen Architekten Craig Steely damit betrauten, ihr Traumhaus zu entwerfen: eine Art Glaskasten, der zwischen den Baumkronen eines dichten Eichenhains schwebt. Die einzelnen Räume – Wohnzimmer, Büro und Küche – wurden allesamt in den Betonboden eingelassen, das Wohnzimmer komplett mit Sofamodulen von B&B Italia ausgefüllt.

Offener und vertrauter

Dass "Conversation Pits" auch in Innenstadtlagen funktionieren können, wollte der deutsche Architekt Jürgen Mayer H. schon vor elf Jahren in einem Neubau in Berlin-Mitte beweisen. Baulich war das eine Herausforderung, denn die Bodenversprünge lagen in jeder Etage in einem anderen Bereich. "Damit wurden sie in den Wohnungen darunter immer auch im Deckenversprung sichtbar – aber so entstand auch ein gestalterischer Dialog zwischen den Geschoßen", sagt der Architekt. "Wenn man das hierarchische, formale Sitzen auf einem Stuhl am Tisch verlässt und sich entspannter auf dem Boden niederlässt, wird die Stimmung offener und vertrauter."

Das Pam & Paul’s House des Architekturstudios Craig Steely Architecture in Cupertino.
Darren Bradley

Doch warum ist die einst so revolutionäre Wohnform dann in der Versenkung der Geschichte verschwunden? Um das zu verstehen, hilft ein Blick ins Zeitungsarchiv. Schon 1963 klagte das Time Magazine, dass seit Ende der Fünfzigerjahre "kaum ein Bauplan ohne den höhlenartigen Bereich in der weiten Tundra des Wohn-Ess-Spiel-Bereichs" auskomme. "Besonders zu fortgeschrittener Stunde neigen die Gäste von Cocktailpartys dazu, hineinzufallen. Diejenigen, die sich in der Grube befinden, blicken auf Hosenaufschläge, Knöchel und Schuhe, werden aber mit Horsd’œuvres bombardiert. Damen scheuen sich, am Rand zu stehen, weil sie fürchten, jemand könnte ihnen unter den Rock schauen."

Andernorts liest man, die Sofagruben hätten gelegentlich zu eingehenderen Kontakten geführt, weshalb das "Conversation Pit" zuweilen "Fuck Pit" genannt wurde. Die Grube verlor ihr erhabenes Image und wurde zur Ausgeburt wohlstandsverwahrloster Vorstädter, die mehr Geld als Verstand zu haben schienen. Es gab aber noch ganz handfeste Gründe. Die Gruben waren zwar sexy, aber unpraktisch. Manche Familien nutzten sie lediglich als gepolsterten Laufstall. Der Unterhalt der maßgefertigten Sofas war kostspielig, eine Umgestaltung so gut wie unmöglich. Und auch das zunehmende Alter wurde für viele Sitzgrubenbesitzer ein Problem. Fehlende Handläufe mögen mit Mitte 20 kein Problem sein, irgendwann will man sich aber keine Stolperfallen im Haushalt mehr leisten.

Am Ende aber war es der Fernseher, der das Ende brachte. Als die Empfangsgeräte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum festen Bestandteil amerikanischer Haushalte wurde, begann man, die Wohnzimmer wie zu einem Altar auf sie auszurichten. Für glücklose Sofagrubenbesitzer hatte das Time-Magazin damals eine Lösung parat: "Ein paar Kubikmeter Beton und ein paar Bodenbretter genügen, um das Problem zu lösen. Niemand wird je erfahren, was sich darunter befunden hat." Lara Killebrew Derderian entschied sich für den umgekehrten Weg. Sie legte ihr "Conversation Pit" frei, um dem Raum seinen ursprünglichen Charakter zurückzugeben. (RONDO, Claire Devon, 5.3.2024)