Frauen bei Demonstration
Gegen Chauvinismus: junge Frauen bei einer Kundgebung in Prag.
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Als ich vor gut zehn Jahren nach Prag zog, wurde ich sofort von allen als Feministin abgestempelt. Eine Zuschreibung, die mir gefiel, aber keineswegs als Kompliment gemeint war. "Frauen betonen oft extra, keine Feministinnen zu sein, denn in Tschechien wird das als etwas Negatives gesehen", sagt Zdena Prokopová, Mitbegründerin des Prager Frauenhauses Rosa. "Viele empfinden die Bezeichnung 'Feministin' tatsächlich als Schimpfwort."

Praktisch bedeutet das, dass es in Tschechien keine staatliche Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren gibt. Dass ein privater Kindergartenplatz hier mindestens das Doppelte, oft das Vierfache von privaten Kindergärten in Österreich, Spanien oder Belgien kostet. Dass Mütter hier mindestens drei Jahre pro Kind zu Hause bleiben – bei mehreren Kindern werden daraus sieben, acht Jahre. Dass ein Mann im Normalfall, anders als in anderen Ländern, nicht daran denkt, einen Teil der Karenzzeit zu übernehmen. Dass an der Uni erstaunlich viele Frauen "Tropische Landwirtschaft" studieren, ein Fach ohne Berufsaussichten, weil sie ja sowieso Kinder haben werden. Dass ich dauernd gefragt werde, warum ich überhaupt Kinder wollte, wenn ich schon wieder arbeiten möchte.

Traditionelle Frauenbilder

Im vorigen Jahrhundert gab es zwar auch in Tschechien eine starke Frauenbewegung, doch ist sie in den Wirren der Geschichte verlorengegangen. Mehrheitsfähig sind seit der Wende nur noch die traditionellen Rollenbilder. Im europäischen Vergleich liegt Tschechien ganz am Ende, was Geschlechtergerechtigkeit betrifft: Im Gender-Equality-Index 2023 auf Platz 25 von 27 – dahinter liegen nur noch Ungarn und Rumänien. Das hat weitreichende Folgen. Eine Statistik der Plattform Bez Trestu ("ohne Strafe", Anm.), die Urteile in Fällen geschlechterspezifischer Gewalt analysiert, zeigt: Bei Vergewaltigungen erhalten in Tschechien die Hälfte, bei Fällen häuslicher Gewalt sogar drei Viertel der Täter nur eine Bewährungsstrafe. Traditionelle Rollenbilder fließen als Vorurteile in die Rechtsprechung ein und führen zu milden Urteilen.

Die Tatsache, dass "die Strafen bei Diebstahl oder Drogenkonsum viel härter ausfallen als bei Vergewaltigungen", hat laut Prokopová zur Folge, dass viele Frauen die Straftaten gar nicht erst anzeigen. Sie erzählt, dass bei rund 300 Frauen, die pro Jahr bei ihr im Frauenhaus Rosa Schutz suchen, nur etwa drei Täter verurteilt werden. Rosa ist eines von drei Frauenhäusern in Tschechien, insgesamt gibt es landesweit 90 Betten. Zum Vergleich: In Österreich gibt es 33 Frauenhäuser mit über 800 Plätzen. Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern erfährt in Tschechien etwa jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens sexuelle Gewalt; außerhalb der großen Städte Prag und Brünn gibt es aber für die wenigsten eine sichere Zuflucht. Zu Femiziden existieren keine belastbaren Zahlen, es gibt diese Kategorie in der Polizeistatistik schlicht nicht.

Säulen der Rollenverteilung

Gesellschaftliche Wertehaltungen schreiben sich in die Erziehung der nächsten Generation ein. Wenn Mädchen nicht Nein sagen lernen und Buben nicht "schwach" sein dürfen, wird das Problem der geschlechterspezifischen Gewalt nicht geringer. Prävention muss also in der Bildung und im kritischen Hinterfragen der Rollenbilder ansetzen, ist die Juristin und Frauenrechtsaktivistin von Bez Trestu, Kristýna Benešová, überzeugt. "Aber wenn du das im tschechischen Kontext sagst, ist gleich Feuer am Dach, weil die konservative politische Repräsentation glaubt, du dekonstruierst das Geschlecht und alles, auf dem unsere Welt steht", sagt sie im Podcast der Tageszeitung Blesk. Das war bei einer Senatsdebatte Ende Jänner deutlich zu beobachten – da ging es um das "Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt", kurz "Istanbul-Konvention" genannt – sie zielt auf Prävention, Opferschutz und wirksame Strafverfolgung.

"Die Istanbul-Konvention ist gänzlich unannehmbar, und zwar aufgrund der Einführung des Wortes 'Gender' und seiner Definition in unsere Gesetzesordnung", donnerte hier etwa der tschechische Politiker Michael Canov, Gymnasiallehrer und Mitglied der liberal-konservativen Bürgermeisterpartei STAN. Knapp acht Stunden lang ging es fast ausschließlich um den Begriff "Gender", der, da er zwischen biologischem und sozialem Geschlecht unterscheidet, als Angriff auf die traditionelle tschechische Familie verstanden wurde. Die traditionelle Familie: aufgebaut auf den unumstößlichen Säulen der klassischen Rollenverteilung, basierend auf "biologisch gegebenen" Unterschieden zwischen den Geschlechtern – Männer bringen das Geld nach Hause, Frauen kümmern sich um Kinder und Haushalt. Denn "es existieren nur zwei Geschlechter, von denen die Natur jedem eines zuweist", so Canov.

Gott oder Schicksal

"Manchmal passiert es im Leben, dass ein bestimmtes Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Tagesordnung kommt. Ob es Gott oder das Schicksal war, weiß ich nicht", mit diesen pathetischen Worten eröffnete der tschechische Justizminister Pavel Blažek die Diskussion. Denn der tschechische Senat musste sich mit dem Übereinkommen just in dem Moment auseinandersetzen, als ein Vergewaltigungsfall landesweit für Aufregung sorgte: Ein Mann, der über zwei Jahre lang seine Stieftochter regelmäßig vergewaltigt und dabei pornografisch gefilmt und fotografiert hatte, wurde immerhin verurteilt – aber nur zu einer Bewährungsstrafe.

Das Brünner Landesgericht verteidigt das Urteil folgendermaßen: Erstens hätte das Mädchen anfangs die körperliche Nähe gesucht (sei also mitschuldig!), zweitens sei der Mann geständig und einsichtig, drittens sei der psychische Schaden, den das Opfer davongetragen habe, nach Einschätzung (männlicher) Experten "gering" – dabei hatte sie versucht, Selbstmord zu begehen! Viertens sei die Familie mit weiteren drei minderjährigen Kindern, da die Mutter in Karenz ist, finanziell vom Einkommen des Mannes abhängig – eine Haftstrafe sei also kontraproduktiv.

Die traditionelle Rollenverteilung führt zu einer ökonomischen Abhängigkeit, die es der Frau de facto unmöglich macht, auf eigenen Beinen zu stehen, auch wenn ihr Mann ihre Tochter jahrelang vergewaltigt. Und das Gericht ist so entgegenkommend, von einer Freiheitsstrafe abzusehen, um den Mann nicht von seiner Familie zu trennen.

Abgelehnte Istanbul-Konvention

Immerhin gingen rund 150 Menschen auf die Straße und protestierten vor dem Brünner Landesgericht sowie vor dem Justizministerium in Prag gegen das Urteil. In den Medien ist das Thema Gewalt gegen Frauen seither präsenter. Und ausgerechnet da kam die Istanbul-Konvention zur Abstimmung: 2011 ausgearbeitet, wurde sie bisher von 45 Staaten unterzeichnet – 38 haben sie bereits ratifiziert, darunter Österreich (2013), Deutschland (2017), aber auch Polen (2015) – sie ist also wahrlich kein neuer Gesetzestext, der vielleicht als allzu radikal erscheinen könnte. Und obwohl sie in den einleitenden Worten des Justizministers "keine unmittelbaren Gesetzesänderungen in unserem Rechtssystem erfordert" und Blažek erwartete, "dass sie eher eine symbolische Bedeutung haben könnte", lehnte ein großer Teil der tschechischen Abgeordneten sie am 24. Jänner 2024 ab. Knapp acht Stunden lang wurde, quer durch alle Parteien und von Männern und Frauen gleichermaßen, ein Schreckensgespenst an die Wand gemalt.

Man biss sich an dem Wort "Gender" fest; wie andere auch fantasierte etwa der Vizepräsident des Senats, Jiří Oberfalzer von der aktuellen Kanzlerpartei ODS, davon, dass hier "eine Multigender-Gesellschaft eingeführt" werden sollte, "inklusive der dazu erforderlichen Umerziehung von Kindern und der Zensur der Medien".

Prävention durch Bewusstseinsbildung

Dass es um Prävention von Gewalt gegen Frauen durch Bewusstseinsbildung und die Überwindung stereotyper Rollenbilder, um die Schaffung ausreichender Schutzeinrichtungen und um wirksame Strafverfolgung gegangen wäre, war im tschechischen Senat nicht zu vermitteln, die Gegenpropaganda überwog: Die Istanbul-Konvention sei ein "trojanisches Pferd", ein "vergifteter Apfel". Dabei hätte diese Konvention genau dort angesetzt, woran es in Tschechien so offensichtlich mangelt.

Ich sitze mit einer Freundin in der Küche. Wir trinken Kaffee und essen den von ihr gebackenen Gugelhupf, während unsere Kinder im Nebenzimmer spielen. Ich frage sie, warum es keine Proteste gegen die Ablehnung der Istanbul-Konvention gibt. Warum gehen die Frauen nicht auf die Straße und verlangen von der Politik, diese Themen endlich ernst zu nehmen? Meine Freundin antwortet halb im Scherz, halb im Ernst: "Weil wir keine Zeit haben. Wir sind damit beschäftigt, uns um unsere Kinder und Ehemänner zu kümmern und Gugelhupf zu backen." (Sophie Menasse, 1.3.2024)