Brain Machine Interfaces
Gehirn-Maschinen-Schnittstellen sind eine große Zukunftshoffnung.
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Gehirn-Maschinen-Schnittstellen, auch Brain Machine Interfaces (BMIs) genannt, stellen seit Jahrzehnten eine vielversprechende Behandlungsmöglichkeit für eine Vielzahl von Erkrankungen und körperlichen Beeinträchtigungen dar. Geforscht wird an der Wiederherstellung der Mobilität – etwa durch maschinelle Gedankenansteuerung von Muskeln und Exoskeletten nach Lähmungen oder von Prothesen nach Amputationen – sowie der gedanklichen Steuerung eines Mauszeigers bei Patienten mit schweren körperlichen Einschränkungen. Dazu zählen neurodegenerative Erkrankungen wie ALS (amyotrophe Lateralsklerose) oder das Locked-in-Syndrom.

Weit über das Experimentalstadium hinaus sind dabei allerdings erst wenige Konzepte. Zu Standardbehandlungen hat es die "tiefe Gehirnstimulation" gebracht. Dabei können Parkinson-Patienten durch Gehirnsonden wieder Kontrolle über Schüttelbewegungen ihres Körpers erlangen. Auch Chochlea-Innenohrimplantate, mit denen manche Gehörlose durch die direkte Gehörnervstimulation (wieder) hören lernen können, sind bereits Standard. Entwicklungen wie das münzgroße Implantat von Elon Musks umstrittenem Start-up Neuralink wecken nun aber Fantasien von stark verbesserten Schnittstellen. Diese können zwar nichts wirklich Neues, sollen aber weit schneller und präziser sein als bisherige Lösungen.

Patient "vollständig erholt"?

In der Forschungsszene bringt man den teils vollmundigen Aussagen Musks einige Skepsis entgegen. Zuletzt hatte dieser über den Kurznachrichtendienst X verlautbart, der Patient, dem das Implantat eingesetzt wurde, scheine sich vollständig erholt zu haben und sei auch schon in der Lage, durch bloßes Denken eine Maus über den Bildschirm zu bewegen. Für Gernot Müller-Putz vom Institut für Neurotechnologie der Technischen Universität (TU) Graz ist es freilich noch viel zu früh, um die Entwicklung von Neuralink seriös bewerten zu können. "Es gibt darüber noch keine offiziellen Informationen – und schon gar nicht wissenschaftliche Papers. Wir können nur hoffen, dass es dem Patienten gutgeht."

Für den technologischen Ansatz erntet Musks Start-up zumindest Anerkennung. Für Paul Nuyujukian, der als Leiter des BMI-Labors an der Stanford University mit ähnlichen Technologienansätzen arbeitet, ist das Faszinierende an dem Konzept die große Anzahl an miniaturisierten Elektroden, die in die Gehirnrinde implantiert werden. Auch wenn es Operationsrisiken gebe, sei des jedenfalls beeindruckend. So arbeitet das Neuralink-Interface in der derzeitigen Entwicklungsstufe mit 1.024 extrem dünnen und flexiblen Elektroden. Bisherige BMIs brachten es gerade einmal auf ein paar Dutzend.

Die nur ein paar Tausendstel Millimeter dicken Leiterbahnen aus Gold sind dabei mit hauchdünnen und bioverträglichen Kunststoffen umhüllt. Sie werden ähnlich wie Mikrochips mit Methoden der Microfabrication produziert. 16 Mikroelektroden werden dabei zu einem "Faden" zusammengefasst, der selbst nicht dicker ist als ein menschliches Haar. Ein eigens entwickelter OP-Roboter setzt diesen bei geöffnetem Schädel einige Millimeter tief in die Gehirnrinde ein. Weil ein BMI-Chip mit 64 unterschiedlich platzierten Fäden ausgerüstet ist, können die schwachen Gehirnströme in den Neuronennetzwerken dreidimensional und präzise erfasst werden.

Mauszeiger bewegen

Künstliche Intelligenz lernt, die Signale quasi in Echtzeit zu interpretieren. Wenn ein Mauszeiger mittels Gedanken bewegt werden soll, wird so ein Bewegungsmuster aus 1.024 digitalen Nullen und Einsen aufgezeichnet. Für die Bewegung eines Cursors am Computer wäre eine derartige Präzision allerdings gar nicht notwendig. Dafür reicht prinzipiell schon die Aufzeichnung von Gehirnströmen mittels Elektroden, was sich auch über weniger invasive Methoden erreichen lässt. Beispiele sind Kappen, die mit Elektroden ausgestattet sind. Mini-Elektroden lassen sich aber auch mittels eines Stents durch die Gehirnaorta einführen oder auf die Gehirnrinde auflegen. Letzteres ist ein Konzept, an dem TU-Graz-Forscher Müller-Putz im Rahmen eines EU-Projekts arbeitet.

Wie bei Space X will Musk auch mit Neuralink die Grenzen ausloten. Ob es ihm gelingt, wird sich wohl erst in Jahrzehnten zeigen.
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Nach Einschätzung des Neurowissenschafters Moritz Grosse-Wentrup von der Universität Wien wird es in Zukunft wohl viele verschiedene Schnittstellentechnologien geben, denn die eine Universallösung sei unwahrscheinlich: "One size doesn't fit all." Dass Neuralink gerade die invasivste und riskanteste Methode eingekauft hat, hat für Grosse-Wentrup einen Grund: Die invasive Multichannel-BMI-Technik könne noch stark weiterentwickelt werden. Neuralink arbeitet etwa bereits an noch präziseren Schnittstellen, die mit weit mehr und noch dünneren Elektroden ausgestattet sind. Damit könnte das BMI auch Hilfe bei herausfordernden Therapiekonzepten leisten.

Was solche Gehirnchips können

Ein Anwendungsbeispiel ist "Blinde sehend machen": Versuche von Neurowissenschaftern zeigten schon vor Jahren, dass es prinzipiell möglich ist, blinden Menschen, deren Sehnerv und Augen irreparabel geschädigt sind, das Sehen zu ermöglichen. Mit dem heutigen Stand der Technik kann allerdings erst ein Bild mit ein paar Bildpunkten erzeugt werden. Neuralink will Chips entwickeln, bei denen 32.000 Elektroden und mehr in den visuellen Cortex des Gehirns eingesetzt werden. Damit soll dort ein halbwegs gut erkennbares Bild, zumindest in Schwarz-Weiß, stimuliert werden können.

Auch Gelähmte könnten von solchen Schnittstellen profitieren. Hierbei geht es darum, einen leistungsstärkeren "Bypass" rund um geschädigtes Rückenmark zu entwickeln. Bewegungsmuster, an die ein gelähmter Patient denkt, werden durch einen Chip im motorischen Zentrum des Gehirns erfasst und dann in einen zweiten BMI-Chip im Rückenmark unterhalb der Schädigung weitergeleitet. Dort sollen sie die motorischen Nervenzellen stimulieren, die dann die entsprechenden Muskelbewegungen hervorrufen.

Zugleich sollen auch Berührungen von außen durch die Schnittstellen erkannt und dann im Gehirn mit einem entsprechenden neuronalen Netzwerkmuster stimuliert werden. Auch hier verspricht die neue Technologie Fortschritte zu derzeitigen Entwicklungen. Grosse-Wentrup zeigt dafür durchaus Anerkennung. "Da wird jahrzehntelange Grundlagenforschung zu einer marktreifen Anwendung weiterentwickelt. Dafür hätten Universitäten nie das Budget."

So lange wird es dauern

Bis die Neuralink-Technologie Marktreife erlangt, wird es allerdings noch dauern. Denn technologische Herausforderungen gibt es zuhauf: Damit das Gehirngewebe nicht beschädigt wird, darf sich die implantierte Schnittstelle trotz der Übertragung größerer Bandbreiten um nicht mehr als ein Grad erwärmen. Zudem muss die invasive BMI-Technologie auch zeigen, dass sie sich in der Langzeitanwendung bewährt. Selbst einfachere Neuralink-Anwendungen wie Computersteuerungen per Gedankenkraft werden wohl erst in zehn Jahren breitenwirksam, schätzt Grosse-Wentrup. Möglich sei auch, dass andere, weniger öffentlichkeitswirksame Anbieter sogar schneller zum Ziel kommen. "Zulassungsstudien dauern. Für komplexere Anwendungen, etwa Stimulierungen des visuellen Cortex, wird es noch 15 bis 20 Jahre brauchen." (Norbert Regitnig-Tillian, 1.3.2024)