Große Katastrophen als beliebte Motive: Die Ausstellung
Große Katastrophen als beliebte Motive: Die Ausstellung "History Tales. Fakt und Fiktion im Historienbild" zeigt Vulkanausbrüche im Spiegel der Geschichte.
Iris Ranzinger

Männer aus Fleisch und Blut legen Hand an eine versteinerte Frau: Ihre Figur wird bearbeitet, die Brüste geformt, die Haut glattgestrichen. 2007 hievte die US-Konzeptkünstlerin Eleanor Antin jenen Arbeitsprozess aufs Podest, der hinter den antiken Marmorskulpturen zart anmutender Frauen sonst verborgen bleibt.

Heute hängt das Bild in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien: Im Rahmen der Ausstellung History Tales. Fakt und Fiktion im Historienbild schlägt es eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und arbeitet den Werdegang einer ganzen Gattung hervor. Darum soll es auch in der gesamten Schau gehen: Erzählen die Historienbilder, die im Laufe der Präsentation in unterschiedlichster Form auftauchen, tatsächlich Geschichte? Oder nur Geschichten? Denn nicht selten ging es bei der Entstehung von Werken mit Geschichtsbezug nicht um objektive Aufarbeitung der Verhältnisse, sondern primär um gegenwärtige Interpretationen der Vergangenheit.

Mit einer Montage spannt das Sujet der Ausstellung Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Oben: ein Werk von Ana Torfs. Der klassizistische Maler Johann Friedrich Füger malte 1805 eine Szene aus der griechischen Mythologie:
Mit einer Montage spannt das Sujet der Ausstellung Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Oben: ein Werk von Ana Torfs. Der klassizistische Maler Johann Friedrich Füger malte 1805 eine Szene aus der griechischen Mythologie: "Alkeste opfert sich für Admetos".
Foto: Motiv unter Verwendung von Werken von Ana Torfs, Révolution, Fotodiptychon (Detail), 2003 © Ana Torfs; und Unbekannter Künstler nach Paul Delaroche, Napoleon I. in Fontainebleau am 31. März 1814, nach 1840 © Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien

In einem skizzenartigen Parcours durchwandert man in der Ausstellung 13 Szenerien durch mehrere Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Mit Beständen der Sammlungen der Akademie sowie mit Leihgaben wird das Historienbild mit Werken zeitgenössischer Künstler, die sich auf ebenjene Disziplin beziehen, konfrontiert und untersucht. Wie viel Wahrheit versteckt sich hinter der Leinwand? Was ist erfunden? Und welche Interessen sollen damit überhaupt bedient werden?

Historie in Höchstform

Los geht der Rundgang durch die Zeit in einem Raum, der sich mit der Darstellung von Tempelbau und Ruinen auseinandersetzt. Zentral ist dabei eine Replik eines Gemäldes des preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel – das Original wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört: 1825 malte dieser ein stimmungsvoll verklärtes Bild vom Bau eines Tempels, die Landschaft im Hintergrund ist in goldenes Licht getaucht. Der positiv konnotierte, durchaus romantisierte Blick auf die antike Landschaft lässt sich mit dem politischen Rumoren aus Schinkels Lebenszeit in Verbindung bringen: Das Werk mit dem Titel Blick in Griechenlands Blüte entstand vor dem Hintergrund der Befreiungskriege Griechenlands, das noch unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches stand.

Ein völlig anderes Stimmungsbild zeichnet die aus Bosnien stammende Künstlerin Danika Dakicì in La Grande Galerie 2, einer Fotoarbeit aus dem Jahr 2004, in der sie verfallene Tempelfragmente als Prospekt für die ruinöse Heimatlosigkeit der Roma in den Jugoslawienkriegen nutzt. Der in sich zusammenfallende Bau wirkt hier düster und bedrohlich, von seiner leuchtenden Schönheit aus Schinkels Bild im selben Raum ist nichts mehr übrig.

Der klassizistische Maler Johann Friedrich Füger malte 1805 eine Szene aus der griechischen Mythologie:
Der klassizistische Maler Johann Friedrich Füger malte 1805 eine Szene aus der griechischen Mythologie: "Alkeste opfert sich für Admetos".
Richard Saltoun Gallery

Seit seiner Ausrufung zur höchsten Bildgattung der Renaissance taucht das Historienbild bis ins 19. Jahrhundert immer wieder auf, da läuft es ein letztes Mal zu seiner Höchstform auf. In dieser Zeit, so schreibt die Direktorin der Kunstsammlungen der Akademie und Kuratorin der Ausstellung, Sabine Folie, weicht "das Interesse an konkreten historischen Ereignissen sukzessive jenem an der Geschichte als geschichtsphilosophischem Modell an sich". So sei es die "zunehmende Hinwendung zur Historizita¨t selbst", auch im Sinne eines nationalen Selbstverständnisses, gewesen, die der Gattung Aufschwung verlieh.

Gemetzel und große Siege

Das gipfelt merklich dort, wo sich auch im Bild die Verhältnisse zuspitzen. Krieg und Frieden, Sieger und Besiegte prallen in dem Kapitel "Die große Schlacht" aufeinander. Imperialismus, territoriale Ansprüche und Glaubenskriege ziehen sich durch die Kunstgeschichte wie auch durch die Ausstellung in der Gemäldegalerie: Ob nun Schauplatz eines brutalen Gemetzels, Kriegsallegorien oder Szenen glorreicher Siege – in der Schau wird deutlich, dass Schlachtszenen aus den Sammlungen der Akademie mehr als Genrebilder denn als Ereignisbilder angelegt sind. Menschenaufläufe wie in Le Bourguignons Reitergefecht oder Peter Paul Rubens Der Kampf um die Fahne dünnen immer weiter aus und enden schließlich in der Videoperformance Real Remnants of Fictive Wars V von Cyprien Gaillard, in der wabernde Rauchschwaden in einer menschenleeren Gegend Vergangenes nur noch erahnen lassen.

Von einer "Schwellenzeit" schreibt Folie in einem Aufsatz im Katalog zur Ausstellung, der am 20. März erscheinen wird: Es sei eine Periode des Übergangs gewesen, deren tiefe Gräben innerhalb der Gesellschaft man im 19. Jahrhundert mit einem moralisierenden Historismus sowie auch beißender Satire im Medium der Illustrierten – dem neuen Historienbild der beginnenden Moderne – schließen wollte.

Auch heute, so Folie, sehe sie dazu Parallelen. Ob man gegenwärtig tatsächlich von ähnlichen Entwicklungen sprechen könne, werde sich zwar erst zeigen – History Tales. Fakt und Fiktion im Historienbild zeigt eindrücklich und mit Distanz, dass aus der Geschichte oft durchaus Geschichten werden. (Caroline Schluge, 2.3.2024)