Jugendliche sägen 
Im Jugendcollege des zweiten Wiener Gemeindebezirks werden Jugendliche auf einen Berufsstart vorbereitet.
Regine Hendrich

Es ist nur ein Detail, eine Randbemerkung in einer Aussendung der Industriestaatenorganisation OECD gewesen. Dennoch vermag es unsere Vorstellung davon, wie der österreichische Arbeitsmarkt funktioniert, ins Wanken zu bringen. Vor wenigen Tagen legte die OECD eine Analyse zur Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Jahr 2023 in ihren 38 überwiegend reichen Mitgliedsländern vor. Darin hieß es, dass zuletzt Österreich, gemeinsam mit Island, Tschechien und Schweden, zu den vier Ländern mit dem stärksten Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in der industrialisierten Welt zählt.

Ausbildungsgarantie

Bemerkenswert. Politik und Sozialpartner sind hierzulande auf wenig so stolz wie auf die arbeitsmarktpolitischen Angebote an junge Menschen. Österreich verfügt über eine Ausbildungsgarantie für Menschen bis 25: Wer nur einen Pflichtschulabschluss hat, muss vom Staat Angebote zur Aus- und Weiterbildung erhalten. Dazu kommt das gut ausgebaute System der Lehre. Und die Arbeitslosigkeit insgesamt ist trotz der vorjährigen Wirtschaftsflaute nur moderat gestiegen. Doch jetzt das. 63.150 Menschen unter 25 sind aktuell arbeitslos gemeldet oder befinden sich in Schulung. Ein Plus von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr – das sind fast 6700 Menschen mehr. In keiner Altersgruppe war der Anstieg so stark. Was geht da vor sich?

Es gibt zwei Erklärungen. Junge Menschen sind in Krisen oft die Ersten, die von Unternehmen verabschiedet werden. Es ist meist billiger, sie zu kündigen. Und sollte es wieder bergauf gehen, findet ein Betrieb leichter einen 23-jährigen Neuling als einen 45-jährigen Facharbeiter. Junge Menschen wechseln zudem öfter den Job. Wenn die Wirtschaft schwächelt so wie derzeit, werden auch weniger Stellen frei. Auch das trifft die Gruppe härter.

Daten: AMS/Grafik: der Standard

Die Folgen eines Krieges

Doch unter jungen österreichischen Staatsbürgern stieg die Zahl der Jobsuchenden nur halb so stark wie bei Nichtösterreichern. Die Geschichte mit der heimischen Wirtschaftsflaute ist also nur die halbe Erzählung. Der andere Teil hat mit dem Bürgerkrieg in Syrien zu tun.

Im Jahr 2022 wurden 112.000 Asylanträge in Österreich gestellt. Die Politik verfiel deshalb in hektische Betriebsamkeit. Doch die verebbte bald wieder. Denn schon im Jahr darauf gingen die Asylgesuche zurück, viele Menschen zogen weiter, besonders Inder, aber auch Afghanen. Allerdings kamen 2022 auch 20.000 Syrerinnen und Syrer ins Land, auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat – und sie blieben.

Ein Teil hat Asyl erhalten. Unter jungen Syrern nahm die Zahl der AMS-Meldungen binnen eines Jahres um fast 30 Prozent zu.

Geringe formale Bildung, psychische Belastung

Damit kein Missverständnis entsteht: Österreich ist europaweit kein Hotspot der Jugendarbeitslosigkeit. In vielen anderen Ländern wie Spanien oder Frankreich sind die Quoten um ein Vielfaches höher. Eine genaue Auswertung der Daten durch das AMS zeigt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich nur in den vergangenen Monaten rekordverdächtig angezogen hat. Über das Jahr 2023 betrachtet, liegen wir in dieser traurigen Statistik EU-weit nicht mehr ganz vorn, aber immerhin noch auf Platz sechs. 11,4 Prozent der unter 25-Jährigen sind in Österreich auf der Suche nach einem Job, meist sind es Inländer.

Und doch bedarf das Problem politischer Aufmerksamkeit. "Die Asylberechtigten aus Syrien sind heute eine andere Gruppe als jene aus dem Fluchtjahr 2015", sagt die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger. Ihre Integration werde herausfordernder. Der syrische Bürgerkrieg tobt bereits seit 14 Jahren.

Viele der jungen Leute, die 2022 nach Österreich kamen, waren nur kurz oder nie in einer Schule. Sie kennen vor allem Krieg oder haben eine lange Fluchtgeschichte. Der Österreichische Integrationsfonds hat das dokumentiert: Bei den 15- bis 25-Jährigen, die 2023 Asyl erhielten, sind 61 Prozent in lateinischer Schrift nicht alphabetisiert. 37 Prozent können gar nicht schreiben, deutlich mehr als früher. Auch die psychische Belastung bei vielen dürfte mit langer Kriegs- und Fluchterfahrung gestiegen sein.

Jugendliche im Unterricht
Jugendliche im Wiener College. Der Ergometer soll beim Denken helfen.
Regine Hendrich

Grundausbildung

Die Frage ist, ob die Politik rechtzeitig reagiert hat. Denn es tut sich ja etwas: Die Regierung hat dem AMS ein Sonderbudget von 75 Millionen Euro für die Integration Geflüchteter bereitgestellt. Ein großer Teil der Mittel fließt in Jugendcolleges nach Wien, wo die Problematik konzentriert ist. Bis zu 5.000 zusätzliche Ausbildungsplätze sollen in diesen Colleges ab September 2024 angeboten werden. Die Idee: Anerkannte junge Flüchtlinge sollen hier eine Grundausbildung erhalten, Mathe, Deutsch und Englisch lernen, um ihren Pflichtschulabschluss nachzuholen. Wer schon Grundkenntnisse hat, dem werden etwas tiefer gehende Schulungen angeboten. Im Regelfall dauert die Teilnahme ein Jahr, auch die Stadt ist als Co-Finanzier mit an Bord.

Wie das Ganze aussieht, lässt sich in einem ersten dieser Ausbildungszentren in Wien skizzieren: Im zweiten Bezirk steht bereits ein Jugendcollege mit 450 Ausbildungsplätzen. In einer der Klassen sitzen Freitagvormittag ein Dutzend Schülerinnen und Schüler, die meisten stammen aus Syrien und Afghanistan. Nicht untypisch dürfte die Geschichte des 21-jährigen Gaith sein: Er kam 2022 aus Syrien nach Österreich, erhielt Asyl und hat gerade den Pflichtschulabschluss geschafft.

Nun bewirbt er sich für Lehrstellen, als Elektrotechniker und Pflegeassistent. Das macht Sinn: Allein mit Pflichtschulabschluss bleibt das Risiko für Arbeitslosigkeit später hoch. Noch hat Gaith keine Rückmeldung bekommen. Wird er vielleicht auch nie. Loay Jdeed, Standortleiter am College und einst selbst syrischer Flüchtling, sagt, dass "die Firmen unsere Teilnehmer nicht immer gern nehmen". Warum? "Offiziell heißt es, wegen mangelnder Sprachkenntnisse. Oft ist es aber so, dass sie Angst haben, weil sie unsere Leute nicht kennen."

Ein verspätetes Angebot

Ein Versäumnis der Politik war es, diese Ausbildungsstätten erst so spät einzurichten. Wer 2022 nach Österreich kam und im Herbst 2024 eine Ausbildung beginnt, hat zwei Jahre verloren. Für einen jungen Menschen eine Ewigkeit. Dazu kommt, dass aktuell die Ausschreibungen des AMS für die Colleges laufen. Im Sommer dürften Anbieter wie "die Berater", die den Standort im zweiten Bezirk betreiben, erfahren, ob sie den Zuschlag bekommen. Dann müssen bis September hunderte Trainer und Ausbildner gefunden werden. Das wird schwer.

Dazu kommt ein Spannungsverhältnis: Auch die Colleges sollen Menschen in Jobs vermitteln. Geschieht das zu schnell, ohne Ausbildung, steigt die Gefahr, dass Flüchtlinge in instabilen Hilfsjobs landen.

Dabei braucht es angesichts des demografischen Wandels ausgebildete Leute. Auch im Sinne der jungen Menschen ist es wichtig, dass sie sich integrieren. "Eine hohe Jugendarbeitslosigkeit ist ein Problem, weil die Gefahr besteht, dass der Anteil der Menschen steigt, die nie am Jobmarkt Fuß fassen können", sagt der Arbeitsmarktexperte des Wifo, Helmut Mahringer. Sie tun sich dann mit der sozialen Integration schwerer, ein Job kann für die psychische Stabilität wichtig sein.

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt für Junge ist also beunruhigend. Aber nun gibt es einen Plan. (András Szigetvari, 2.3.2024)