Kim Gordon
Immer nur nach vorn schauen: Kim Gordon hat mit ihren 70 Jahren mit Nostalgie nur wenig am Hut.
Danielle Neu

Eines wird man der US-Musikerin Kim Gordon und ihrem neuen Soloalbum The Collective nicht vorwerfen können: Kim Gordon beschränkt sich nicht darauf, im Alter auf der Stelle zu treten und zurückzuschauen, wo der Rest ihrer ehemaligen Kollegen und Kolleginnen aus der New Yorker Downtown-Szene geblieben ist, falls dieser noch am Leben ist. Kim Gordon kommt mit ihren 70 Jahren aus einer, sagen wir, in jeder Hinsicht erlebnisorientierten Künstlergeneration, in der man in diesem Alter entweder längst im vor allem auch kreativen Ruhestand oder aus Gründen körperlichen Raubbaus schon lange nicht mehr am Leben ist.

Die Frau mit dem markanten, schicksalsschwangeren und dunklen Timbre trägt ihre ungeregelten, aus dem Bewusstseinsstrom herausgefischten Texte aus der Schule von Beat-Schriftstellern wie William S. Burroughs zwar noch immer in der Mitte zwischen Lakonie und innerem Aufruhr vor. Die Poesie der Spoken-Word-Routine wird allerdings musikalisch mehr als einmal auf den elf Stücken von The Collective heftig geslammt.

Statt mit harten Drogen – Slammen steht eigentlich für intravenöses Zuknallen mit diversen schnell das Blutbild aufmischenden Substanzen und nicht für das Verfassen von performativen Gedichten – macht man sich bei Kim Gordon allerdings mit harten elektronischen Beats nieder.

In die Brüche

Kim Gordon befindet sich nach all der längst vergangenen Zeit als Frontfrau der New Yorker Avantgarde- und Postpunk-Institution Sonic Youth als Role-Model noch immer in Amt und Würden. Die Band ging nach dem ziemlich dramatischen Ehe-Aus zwischen Gordon und Gitarrist und Sänger Thurston Moore 2011 nach 30 Jahren und 13 wegweisenden Alben wie Daydream Nation,Sister oder Goo in die Brüche.

Kim Gordon

Gordon gilt neben (zumindest kommerziell) weniger smarten Gegenpäpstinnen wie Lydia Lunch oder Kim Deal als unumschränkte Galionsfigur der in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren inoffiziell ausgerufenen Szene des Alternative-Rock. Die erlebte mit Kurt Cobain und den Folgen während der 1990er-Jahre ihren Höhepunkt – und sie klingt dank immer wiederkehrender Muster heute, vorsichtig gesagt, etwas ausgereizt. Die längst einzementierte Historisierung kann sich das geneigte Publikum draußen an den Empfangs- und Hörgeräten am besten selbst zu Gemüte führen.

Nach ihrem beatlosen Duo mit Experimentalgitarrist Bill Nace als Body/Head (die Betonung liegt auf verkopft) legt sie es auf The Collective brachialer und zwingender an. Schon das erste Stück kracht mit einem brutalen Elektrobeat, verzerrten Bässen, um Feedback bettelnden E-Gitarren und einem das Gemüt belastenden Klimperklavier aus der Hip-Hop-Schule von Dr. Dre durch die verschlossene Haustür. Und zwar von drinnen nach außen. Kim Gordon vergewissert sich, dass alles mit im Gepäck ist, Zigaretten, Schminksachen, Kleidung, Taser, In-Ear-Plugs: "Bye! Bye!" Nur schnell fort von hier.

Kleiner Tod

Produziert hat das Album Justin Raisen. Der hat zuvor schon mit Acts wie Charli XCX, Sky Ferreira, Yves Tumor oder Lil Yachty gearbeitet. Er weiß, dass man von Kim Gordon auch in Zukunft keine mitsingbaren Melodien oder zum Chillen bei Sonnenuntergängen einladende Klangteppiche wird erwarten können. Wenn hinter der Ölraffinerie oder der Industriezone außerhalb der Stadt die Sonne versinkt, kann das ja auch seinen Reiz haben.

Kim Gordon

In I’m a Man verhandelt die jetzt ziemlich angefressen klingende Gordon zu schleppenden Beats, zischelnden Hi-Hats und bedrohlichem Dröhnen gefährlich fehlgeleitete männliche Energien. Der hektische minimalistische Drum-and-Bass-Punk von Dream Dollar beweist, dass Gordon auch schon einmal etwas von den britischen Sodbrennern Sleaford Mods gehört hat. In The Candy House gerät Autotune-Rap in einen Häcksler.

In Psychedelic Orgasm findet sich tief versteckt in den Eingeweiden der Distortion- und Halleffekte tatsächlich eine schön getragene Melodie. Allerdings sagt man in Frankreich zum Orgasmus ja auch gern "kleiner Tod". Oft will man das nicht erleben, aber das ist schon sehr gut. (Christian Schachinger, 5.3.2024)

Ab 8. 3. im Handel.

Kim Gordon live am 28. 6., Kasemattenbühne, Graz.