Extremsportlerin Millinger ist ein Spektakel.
sebastian scheichl

Es stellen sich viele Fragen, sobald man beginnt, sich mit Stefanie Millinger zu beschäftigen. Die meisten kann sie beantworten. Es ist eine besondere Welt, in die man eintaucht: eine spektakuläre, atemberaubende und gefährliche Welt. Eine Welt, in der die Schwerkraft nicht zu existieren scheint, eine Welt, in der der Körper alle Regeln, die ihn beschränken, aufbricht. Eine Welt, die so groß wirkt und doch so klein, so reduziert ist. Und vor allem eine Welt, die auf dem Kopf steht.

Nichts deutet im ersten Moment auf die 913.000 Fans hin, die der Salzburgerin mittlerweile auf Instagram folgen, als sie an diesem Abend im Februar beim vereinbarten Treffpunkt in der Salzburger Hofstallgasse vorfährt. Sie sitzt auf einem älteren Rennrad, gelbe Regenhose, bunte Jacke, die Kapuze über den Kopf gezogen. Kein Glamour, keine Attitüde, nur etwas Glanz, da der Salzburger Schnürlregen kurz zuvor eingesetzt hat. Dort, wo sonst die pompösen Luxuskarren während der Festspielzeit parken, in dieser Stadt, in der man gerne die Bürgerlichkeit in all ihren Facetten feiert. Millinger ist nichts davon. Und das, obwohl sie auf Instagram eine größere Reichweite hat als alle österreichischen Tageszeitungen zusammen.

Die 31-Jährige schwingt ihren 154 Zentimeter großen Körper federleicht vom Rad, bevor sie es absperrt. Keine Besonderheit, nicht einmal eine Übung. Ganz im Gegenteil: Es wäre für sie sogar normal, wenn sie kopfüber auf dem Rad balancieren würde, dabei drei Gewichte an ihren Füßen hingen und sie dazu noch drei Medizinbälle in der Luft hielte.

Warum tut sie das?

Aber beginnen wir mit der entscheidenden Frage: Warum? Oder besser: Warum, zum Geier, hängen Sie in schwindelerregender Höhe zwischen zwei Schluchten an einer Hängeleiter? Oder: Welcher Teufel hat Sie geritten, mit einem Skateboard und vier Ziegelsteinen auf einer Rolle zu balancieren und dabei auch noch zwei schwere Gewichte mit den Füßen zu heben? Und schließlich: Warum in aller Herrgottsnamen balancieren Sie im Handstand auf einer Sessellehne, während eine schwere Langhantel auf ihrem Rücken liegt?

"Weil ich es liebe." Millingers Antwort könnte nicht einfacher, nicht klarer sein. "Und weil ich es kann und sehr hart dafür trainiere." Sie lächelt zurückhaltend. Nicht aus Überzeugung oder um ihre Überlegenheit zu demonstrieren oder um besonders cool zu wirken. Nein, einfach, weil sie’s kann. Das Gespräch ist weit weg vom öden Runterbeten von Erfolgen und Errungenschaften. Wenn Millinger im Salzburger Dialekt erzählt, erzählt sie viel, bremst sich selbst immer wieder ein, verliert sich aber nicht in Angebereien. Grund hätte sie dazu jedenfalls: elf Weltrekorde (zum Beispiel Schweizer Handstand: 406 Wiederholungen in 59 Minuten und sechs Sekunden), das Finale bei der TV-Show Das Supertalent und eine immense Öffentlichkeit in sozialen Medien.

Die fabelhafte Welt der Stefanie Millinger.
Schnabler Richard
Schnabler Richard
Schnabler Richard
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Sebsatian Scheichl

Millinger bezeichnet sich selbst als Extremsportlerin. Sie ist auch Akrobatin, Artistin, Kontorsionistin. Ein anderes Wort für Schlangenfrau. Ein besseres Wort, weil man nicht gleich an eine Zirkus-Freakshow Anfang des vergangenen Jahrhunderts denkt. Dabei begann alles auf verbrannter Erde: "Mir wurde als Kind und als Jugendliche immer gesagt: 'Du kannst nichts, aus dir wird nichts, du bist zu dumm.'" Von Freunden, Bekannten, Verwandten, Lehrern. "Das hat sich eingebrannt", erzählt sie.

Vielleicht kam der Trotz dazu, mit Sicherheit kam Leidenschaft für die Bewegung und den Sport dazu. "Ich bin schon als Kind überall raufgekraxelt, wollte auf jeden Baum, zu jedem Ast." Millinger machte sich auch im klassischen Sport einen Namen: zuerst im Judo, dann im Voltigieren. Und: "Früher spielte ich immer Zirkus. Es gab dann eine kleine Arena für meine Familienmitglieder, ich verkaufte Popcorn, alles, was dazugehört."

Millingers Körper ist ihr Kapital. Die 154 Zentimeter sind durch und durch durchdefiniert. Und er kann Dinge, die jenseits der Vorstellungskraft sind. Wenn man durch ihr Instagram-Profil scrollt, traut man seinen Augen nicht – und findet sich zwischen Unglaube, Angst und tiefer Bewunderung wieder.

Natürlich steckt dahinter vor allem eins: extrem harte Arbeit. "Ich trainiere seit bald 14 Jahren jeden Tag, ohne Ausnahme", sagt sie. Zurzeit sind es rund zehn Stunden, die sie in ihrer kleinen Wohnung am Stadtrand oder im Gym an sich selbst arbeitet. "Ein bisschen too much", gibt Millinger zu. Manisch? Vielleicht ein bisschen, aber auch aus Angst: "Ich habe immer noch und immer wieder das Gefühl, nicht gut genug zu sein." Sie habe sich schon alles gebrochen, was man sich nur brechen kann, "außer den Kopf". Zuletzt machte ihr ein Kahnbeinbruch das Leben schwerer. "Die Ärzte haben gesagt, ich könnte nie mehr einen Handstand machen." Ein paar Tage später stand ihre Welt wieder auf dem Kopf.

Darum tut sie das!

Apropos Angst: Gibt es etwas, wovor sich jemand fürchtet, der in waghalsigen Höhen balanciert oder in eiskaltes Wasser taucht? "Ja, vor Skorpionen, vor einer Einsamkeit im Alter und davor, dass sich jemand in meiner Nähe übergibt." Obwohl Millinger ein Leben lebt, das fernab jeder Norm ist, bezeichnet sie sich selbst nicht als Aussteigerin. Denn: "Ich kenne es nicht anders." Immer wieder wird ihr vorgeworfen, fahrlässig mit ihrem Leben umzugehen, es nicht zu schätzen. "Ich würde nichts tun, wenn ich nicht wüsste, dass ich es könnte. Ich schätze das Leben, weil ich das tue, was ich gerne tue."

Geld kommt über Aufträge, man kann sie für Musikvideos oder Stunts buchen. Die Videos auf Instagram sind nicht ihr Leben, aber Auszüge daraus. Mit Reichweite lässt sich dort nichts einnehmen, außer man bewirbt Produkte, was sie in der Regel nicht tut. "Geld spielt für mich keine Rolle, ich lebe so, dass ich mir Essen und eine Wohnung leisten kann. Mir ist wichtiger, dass es meiner Seele gutgeht."

Nach dem Gespräch schwingt sich Stefanie Millinger wieder auf ihr Rennrad und fährt zurück in ihre kleine Wohnung an den Stadtrand, vielleicht schon mit einer Idee für die nächste spektakuläre Aktion. Weil sie es kann. (Andreas Hagenauer, 6.3.2024)