Der Erste, der Verdacht schöpfte, war Guido Crosetto von der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia gewesen: Das war im Herbst 2022, die Rechtskoalition von Giorgia Meloni hatte gerade die Parlamentswahlen gewonnen, und Crosetto war im Gespräch als künftiger Verteidigungsminister, als in der linken Investigativ-Zeitung "Domani" plötzlich Artikel erschienen, die über millionenschwere Beraterverträge des Unternehmers mit italienischen Rüstungsbetrieben berichteten.

Crosetto, der seine Beraterhonorare regulär versteuerte, vermutete eine gezielte Kampagne gegen ihn und erstattete Anzeige. Verteidigungsminister wurde Crosetto trotz der Presseberichte und trotz der von "Domani" geltend gemachten Interessenskonflikte.

Das Team von Giorgia Meloni (mit Außenminister Antonio Tajani und Verteidigungsminister Guido Crosetto, v.l.n.r.) ist im Zentrum einer Spitzelaffäre.
Das Team von Giorgia Meloni (mit Außenminister Antonio Tajani und Verteidigungsminister Guido Crosetto, v. li. n. re.) steht im Zentrum einer Spitzelaffäre.
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Inzwischen ist die undichte Stelle, die die Einkommensverhältnisse Crosettos an "Domani" durchgestochen hatte, ausfindig gemacht. Es handelt sich um einen Offizier der Finanzpolizei namens Pasquale S., der bei der nationalen Anti-Mafia-Direktion (DNA) tätig war. In seiner Funktion hatte er Zugriff auf alle sensiblen Datenbanken des Staates, vom Steueramt und Vorstrafenregister bis zu vertraulichen Informationen über laufende Ermittlungen. Besonders oft recherchierte er offenbar im Datensatz, der die Tausenden von Meldungen der Zentralbank über "verdächtige finanzielle Operationen" enthält. Laut Presseberichten hat S. zwischen 2020 und 2022 täglich bis zu 45 Abfragen in dieser Datenbank getätigt – dem Anschein nach alle ohne konkrete Verdachtsmomente und somit illegal.

Bis zu 800 Fälle?

Die Ermittlungen des früheren Anti-Korruption-Staatsanwalts und heutigen Staatsanwalts von Perugia, Raffaele Cantone, haben ergeben, dass Crosetto keineswegs der Einzige war, dessen berufliches und privates Leben von S. durchleuchtet worden ist. Inzwischen ist die Rede von bis zu 800 möglichen Bespitzelten, von denen auffällig viele der Rechtskoalition von Giorgia Meloni angehören. Unter den mutmaßlichen Opfern befinden sich unter anderem der Landwirtschaftsminister und Schwager Melonis, Francesco Lollobrigida; aber auch Wirtschaftsminister Adolfo Urso und Parlamentsvizepräsident Fabio Rampelli, alle Mitglied der Partei Fratelli d'Italia. Aber auch Unternehmer, Prominente und Sportler tauchen auf der Liste des Finanzpolizisten auf – unter anderem der portugiesische Fußballstar Cristiano Ronaldo.

Das Auffliegen der Affäre hat in Rom für großes Aufsehen gesorgt. "Unsere Partei verlangt eine lückenlose Aufklärung dieser gefährlichen Bespitzelung, in die zahlreiche hochsensible staatliche Abteilungen involviert sind und mit der bestimmte Medien versuchen, Schmutzkübelkampagnen gegen Vertreter der Rechtsparteien zu orchestrieren", erklärte der Fraktionschef der Fratelli d'Italia, Tommaso Foti. Lega-Chef und Infrastrukturminister Matteo Salvini bezeichnete die Bespitzelungen gar als "Angriff auf die Demokratie". Die parlamentarische Kommission für Geheimdienste müsse abklären, ob bei der Finanzpolizei und bei der DNA noch alles mit rechten Dingen zugehe.

Die Opposition blieb dagegen wortkarg und wies darauf hin, dass zahlreiche Aspekte der Affäre noch im Dunklen lägen. Tatsächlich ist zum Beispiel noch unklar, ob es politische Auftraggeber für die Durchforstung der Datenbanken durch S. gibt oder ob der Finanzpolizist auf eigenen Antrieb gehandelt hat. Ermittelt wird in diesem Zusammenhang auch gegen einen Staatsanwalt der DNA und gegen drei Journalisten von "Domani". Das Blatt will die Recherchen über Crosetto jedoch nicht in Auftrag gegeben haben. Staatsanwalt Cantone und Anti-Mafia-Generalstaatsanwalt Giovanni Melillo haben am Montag angekündigt, im Parlament zu den Vorgängen Rede und Antwort zu stehen. Möglicherweise wird sich der Nebel bei dieser Gelegenheit etwas lichten. (Dominik Straub aus Rom, 4.3.2024)