Die Ausstellung
Die Ausstellung "Auf der Flucht" im Haus der Geschichte St. Pölten bespiegelt das Thema anhand von 25 Schlüsselobjekten, die mit Einzelschicksalen und einem Zeitabschnitt verknüpft sind.
Franz Weingartner

Das Thema Flucht ist so alt wie die Menschheit selbst – und nicht erst seit den jüngsten Migrationskrisen stellt es Gesellschaften auf die Probe. Daran erinnert die neue Ausstellung Auf der Flucht im Haus der Geschichte Niederösterreich. Anhand von 25 Schlüsselobjekten – vom Tagebuch bis zum Smartphone, dem heute wichtigsten Begleiter Flüchtender – werden 25 verschiedene Aspekte des Themas, geknüpft je an ein Einzelschicksal und einen Zeitabschnitt, erzählt.

Da geht es etwa um die ersten gut dokumentierten Massenfluchtbewegungen im mittel- und südosteuropäischen Raum während der Eroberungszüge des Osmanischen Reichs oder um die Schrecken des 30-jährigen Kriegs, der Menschen quer durch Europa in die Flucht trieb – Krankheiten und der Willkür marodierender Söldnerheere ausgeliefert.

Erinnert wird auch an die mythologische Stellung, die der Migrationsgeschichte zukommt: Mit dem Exodus, dem "Auszug" der Israeliten aus Ägypten, wurde eine Fluchterfahrung, die immer die Hoffnung auf völligen Neubeginn beinhaltet, zu einer Urszene der drei abrahamitischen Weltreligionen.

Die ersten "Ukraine-Flüchtlinge"

Der Fokus der Schau liegt dann aber auf den Fluchtbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert, oft auf bisher unbeleuchteten Fußnoten der Geschichte: Jene ersten "Ukraine-Flüchtlinge" etwa, die im Ersten Weltkrieg aus dem habsburgischen Galizien (heutige Westukraine) nach Österreich "evakuiert" wurden, mitunter durch Zwang – ein Vorgehen, das jenem heutigen auf russischer Seite stattfindenden nicht so unähnlich zu sein scheint.

Aus Dankbarkeit oder pflichtschuldig? Ein Geschenk von Ukraine-Flüchtlingen 1916.
Aus Dankbarkeit oder pflichtschuldig? Ein Geschenk von Ukraine-Flüchtlingen 1916.
Keine

Von grausamer Ironie sind jene Einzelschicksale sozialdemokratischer Februarkämpfer, die vor dem Austrofaschismus nach Russland flohen und dort später stalinistischen Säuberungen zum Opfer fielen. Ungarnaufstand 1956 und Prager Frühling 1968 wiederum trieben vor dem Panzerkommunismus Flüchtende später in Richtung Österreich.

Beim Zweiten Weltkrieg weiteten die Kuratierenden Christian Rapp, Maren Sacherer, Andrea Thuile und Benedikt Vogl den Blick und zeigen neben der jüdischen Vertreibung zudem jene der deutschsprachigen Minderheiten nach dem Krieg sowie jene 20 Prozent der Bevölkerung, die auf österreichischem Staatsgebiet als Staatenlose leben mussten.

Dass politisch willkürliche Grenzziehungen und der nationalistisch-rassistische Wunsch nach ethnischer Homogenität oft die Wurzel von Diskriminierung, Flucht und letztlich Genozid sind, zeigt ein Blick auf das auf vier Nationalstaaten zersplitterte Kurdistan, in sein Tagebuch skizziert von einem kurdischen Geflüchteten; oder die Geschichte vom Zerfall Jugoslawiens und der nachfolgenden Kriege.

Geschickt Einzel- mit Massenschicksalen verknüpfend, gelingt diese Ausstellung als Kommentar zur Zeit – und zwar nicht moralisierend, sondern nüchtern feststellend: Flucht war, ist und wird sein, solange Menschen in Krieg und Elend leben müssen. (Stefan Weiss, 4.3.2024)