Verkühlte Frau sitzt vor dem Laptop und schnäuzt sich
Wer sich mit einer Verkühlung zur Arbeit schleppt, tut auch seiner Psyche nichts Gutes.
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Die meisten kennen das wohl: Man wacht auf, fühlt sich ein bisserl angeschlagen. Irgendein Infekt wohl, nichts Dramatisches. Und weil man ja nicht so richtig krank ist, geht man vielleicht trotzdem arbeiten. An solchen Tagen wird man dann sehr deutlich spüren, dass die eigene Stimmung darunter leidet: Man ist nicht so gutgelaunt, weniger belastbar und insgesamt erschöpfter.

"Genau das ist ein Beispiel dafür, dass die körperliche Verfassung eng mit der Psyche verbunden ist", betont Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie II mit Schwerpunkt auf psychosomatische Medizin.

Dasselbe Prinzip gilt umgekehrt genauso, psychische Probleme haben Auswirkungen auf die körperliche Verfassung. "Mobbing am Arbeitsplatz oder in der Schule wirkt sich häufig auch auf die körperliche Gesundheit aus, das wissen wir aus der Praxis", sagt sie.

Körper und Psyche wirken mächtig aufeinander

Fachleute aus den unterschiedlichsten medizinischen Bereichen wissen das natürlich. Trotzdem hält man in der Medizin daran fest, strikt zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden zu trennen. "Aber diese Herangehensweise ist zu kurz gegriffen. Das funktioniert für die einzelnen Patientinnen und Patienten nicht", kritisiert Sperner-Unterweger.

Vor allem bei komplexen Erkrankungen könne diese Trennung nicht funktionieren. Das zeigt sich aktuell am Beispiel Long Covid. Bei dem Krankheitsbild ist vieles nicht ausreichend erforscht, objektiv messbare Biomarker fehlen häufig, und teilweise können selbst Fachleute die körperlichen Veränderungen noch nicht richtig einordnen.

"Long-Covid-Patientinnen und -Patienten fühlen sich deshalb in ihrem Körper oft zutiefst verunsichert", beobachtet Sperner-Unterweger in der Praxis. "Bei der Behandlung muss es also neben all den Befunden von körperlichen Beschwerden auch darum gehen, diese Unsicherheit wieder aufzulösen."

Interdisziplinäre Herangehensweise

In der Praxis wird die Psychosomatik aber längst nicht in allen medizinischen Bereichen berücksichtigt, sondern häufig nur in der Psychiatrie, wo das Thema hierzulande meist verortet ist. Dabei wisse man in der Theorie doch längst, wie wichtig interdisziplinäre Zugänge sind, berichtet Sperner-Unterweger: "In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat man in der Medizin gelernt, dass die Ursachen einer Erkrankung oft ganz woanders liegen, als man das im ersten Moment vermuten würde."

Man weiß mittlerweile etwa sehr genau, dass Traumatisierungen in jungen Jahren später Auswirkungen auf körperlicher Ebene haben können. Wer in der Kindheit psychische Gewalt erfahren hat, hat beispielsweise ein erhöhtes Risiko, später im Leben ein ungesundes Ernährungsverhalten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes zu entwickeln.

"Oft gibt es für eine Erkrankung nicht nur einen klaren Mechanismus, sondern viele Auslöser. Umso wichtiger, dass man nicht nur die physischen Veränderungen erforscht, sondern die komplexen Zusammenhänge mit der Psyche erkennt", sagt die Expertin.

Die Zukunft müsse möglichst interdisziplinär sein, findet sie, aber das sei am Ende vor allem auch ein gesundheitspolitisches Thema. Es geht um die Frage: Wie viele Ressourcen bleiben für die einzelne Patientin und den einzelnen Patienten? Wie umfangreich kann man sich ihrer Probleme annehmen, auf wie vielen Ebenen ansetzen in der Therapie? "Das klingt für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger erst einmal teuer", sagt Sperner-Unterweger. Aber gleichzeitig ist es alternativlos und auf lange Frist auch günstiger, ist sie überzeugt: "Ohne interdisziplinäres Herangehen werden wir uns in Zukunft kein funktionierendes Gesundheitssystem leisten können." (poem, 7.3.2024)