Sie liefern Essen bei Wind und Wetter zu Löhnen knapp über der Armutsgrenze. Bezahlter Krankenstand und Urlaub sind Mangelware. Ihr Job im Straßenverkehr ist der tägliche Wettlauf gegen die Zeit. Der schnelle Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Nachweis von Qualifikation lässt den Zulauf von Menschen mit Migrationshintergrund nicht versiegen. Auf die Mehrheit von ihnen warten jedoch prekäre Arbeitsbedingungen statt Freiheit auf zwei Rädern.

Im Oktober gingen Foodora-Essenszusteller für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße. Nun demonstrieren Fahrer quer durch Österreich vor Lieferando-Standorten.
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Unter Österreichs Essenszustellern brodelt es. An der Oberfläche tritt der wachsende Unmut im Heer der Fahrer über Warnstreiks zutage. Am Donnerstag legen Rider von Lieferando und Foodora in Wien, Graz, Klagenfurt und Innsbruck für zwei Stunden ihre Arbeit nieder. Sie kämpfen für höhere Gehälter. Ein Plus von 5,8 Prozent boten ihnen die Arbeitgeber nach vier Verhandlungsrunden. Das ist weit unter der rollierenden Inflation von 8,7 Prozent.

Verzerrter Wettbewerb?

Hinter den Kulissen tobt ein Kräftemessen mit juristischen Waffen. Es geht um freie Dienstnehmer, die das Gros der Lieferdienste am Laufen halten. Sind sie in Wahrheit scheinselbstständig? Verschaffen sich ihre Dienstgeber durch fehlende Sozialabgaben finanzielle Vorteile – zulasten der Beschäftigten und anderer Marktteilnehmer?

Den Stein ins Rollen brachte eine Klage gegen Foodora, erfuhr DER STANDARD. Gewerkschafter pochen darin auf Zugang zu Stunden- und Gehaltslisten freier Dienstnehmer. Der internationale Konzern, der bis vor einem Jahr unter Mjam firmierte, hat eigenen Angaben zufolge 3.000 Rider unter Vertrag. Nur fünf Prozent von ihnen sind angestellt.

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien soll im Rahmen eines Feststellungsverfahrens klären, wie es um die Rechte der Betriebsräte auf Mitbestimmung bestellt ist. Sein Urteil könnte Zündstoff in der Frage sein, ob Boten zu Recht freie Dienstverträge haben oder ob ihnen fixe Anstellungen zustehen.

"Frei aus eigenem Antrieb"

Es gehe darum, ob die Einordnung der Rider als freie bzw. echte Dienstnehmer korrekt erfolgt ist, bestätigt Foodora auf Anfrage. "Wir sind der Ansicht, dass diese sowie die entsprechenden Vertragsausgestaltungen den aktuellen gesetzlichen Regelungen entsprechen."

Foodora betont einmal mehr, dass sich die überwiegende Mehrheit der Rider bewusst, aus eigenem Antrieb für höhere Flexibilität entscheide – und damit für das Modell der freien Dienstnehmer. 2023 sei die Bezahlung im Schnitt um zehn Prozent und die Arbeitszeit um 20 Prozent erhöht worden. Ein Wechsel in Anstellungsverhältnisse sei für verlässliche Fahrer "jederzeit möglich".

Diesen Weg ging eine Handvoll Mitarbeitende in Innsbruck. Sie sattelten dafür aber auf den Rivalen Lieferando um, der von freien Dienstverträgen zur Gänze absieht. Foodora hatte sich von ihnen getrennt, nachdem sie bei Protestkundgebungen Kritik an den Arbeitsbedingungen geäußert hatten. Ob der Fall juristische Folgen haben wird, ist noch offen.

Lieferungen bis vor die Haustür.
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Valide Zahlen, wie viele Kuriere in Österreich auf zwei Rädern regelmäßig um Aufträge um die letzte Meile kämpfen, fehlen. Zu sehr verästelt sich die Branche in Sub-Sub-Subfirmen. Mehr als 5.000 Rider sollen es sein. 1.500 bis 2.000 arbeiten unter dem Dach des Kollektivertrags, um den die Sozialpartner seit Monaten ringen.

Kleine Zusteller auf verlorenem Posten

Kleinere Botendienste haben die Gehälter mit Jänner freiwillig um 5,2 Prozent angehoben, um zuverlässige Mitarbeitende nicht zu verlieren. Viele von ihnen haben längst resigniert. Kleintransporteure und Taxifahrer, die nicht unter den Kollektivvertrag fallen, jagen ihnen Geschäft ab. Angesichts der mit Risikokapital gespeisten Plattformökonomie stehen sie auf verlorenem Posten. Zu sehr verzerren deren günstigere freie Dienstnehmer den Wettbewerb auf dem Markt.

Ob Ausbeutung von Beschäftigten oder die Krise kleiner Logistiker – lösen lasse sich das Dilemma der Branche nur über politische Eingriffe, betont Fabian Warzilek, der als Betriebsratschef von Lieferando in die aktuellen Lohnverhandlungen eingebunden ist. Was es vor allem brauche, seien strengere Richtlinien rund um Scheinselbstständigkeit.

Bewegung muss vorerst jedoch in die stockenden Lohnverhandlungen kommen. 1.430 Euro netto verdienen angestellte Rider monatlich für 40 Arbeitsstunden in der Woche, rechnet Warzilek vor. "Ihre Einkommen liegen damit gerade einmal um 30 Euro über der Armutsgrenze."

Kein Platz für Solidarität 

Erhöhten sich die Gehälter der Angestellten, steige erfahrungsgemäß auch die Vergütung der freien Dienstnehmer, ergänzt Robert Walasinski vom Riders Collective. Das bisherige Angebot der Arbeitgeber ist für beide ein No-Go. Weitere finanzielle Verluste für Essenszusteller in den kommenden Jahren seien programmiert.

Warzilek wie Walasinski rechnen bei den Warnstreiks mit Solidarität der Selbstständigen. Kaum für Proteste mobilisieren ließen sich jedoch Neueinsteiger. Die Fluktuation in der Branche ist seit jeher hoch.

Zukunftsmusik dürfte der Wunsch der Arbeitnehmer nach einem Solidaritätsfonds bleiben, in den jedes Unternehmen pro freier Dienstnehmer einzahlt. Der Abfederung sozialer Härtefälle in der Belegschaft hätte er dienen sollen. Die Wirtschaftskammer sah darin Wettbewerbsverzerrung und blockte ab. (Verena Kainrath, 7.3.2024)