Hari Aryal starb auf dem Schlachtfeld in der Ukraine, wo er für die russische Armee kämpfte.
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Bereits zwei Jahre lang hatte Krishna Sharma in Katar und Saudi-Arabien als Gastarbeiter gearbeitet. Als der Nepalese erfuhr, dass er bei der russischen Armee umgerechnet fast 1.000 Euro im Monat verdienen könnte – ein Vielfaches eines Gehalts in Nepal –, überlegte er nicht lang. Er zahlte 5.300 US-Dollar an einen "Vermittler", bereits eine Woche später hielt er ein russisches Visum in Händen. Und kurz später eine Waffe: Sofort nach Ankunft in Russland wurde seine Einheit an die Front in der Ukraine geschickt, schon am ersten Tag wurde er bei einem Drohnenangriff verwundet. Nur weil er sich in Schnee und Schlamm tot stellte, überlebte er, erzählt er der Agentur EPA. Über Umwege und mit viel Glück erreichte er die nepalesische Botschaft und konnte nach Hause reisen.

Weniger Glück hatte etwa Hari Aryal. Der 23-Jährige arbeitete wie Sharma früher bei der nepalesischen Armee. Die Hoffnung auf einen besseren Job im Ausland führte auch ihn über Menschenhändler nach Russland zur Armee, erzählt sein Onkel. Anfang Jänner erfuhr seine Familie, dass er im Dezember getötet wurde, rund zwei Monate nachdem er gegen die Ukraine eingerückt war. "Hari sagte immer, dass er aus Russland zurückkehren wird, nachdem er Geld verdient hat, und dass er dann ein Haus bauen wird", so sein Onkel. "Doch der Tag ist nie gekommen."

Laut offiziellen Angaben kämpfen mehr als 200 Nepalesen für die russische Armee. Beobachter gehen aber davon aus, dass die Zahl viel höher liegt. Der nepalesische Außenminister Narayan Prakash Saud gab Ende Dezember an, dass 100 Nepalesen als vermisst gelten. Die Oppositionelle und Ex-Außenministerin Bimala Rai Paudyal geht gar von 14.000 bis 15.000 Landsleuten in der russischen Armee aus.

Kanonenfutter und Sprachbarrieren

Offiziell sind bisher 13 nepalesische Staatsbürger auf russischer Seite getötet worden. Außerdem befinden sich aktuell vier Nepalesen in ukrainischer Kriegsgefangenschaft. Jene, die zurückkehren konnten, halten mit Vorwürfen nicht zurück: Vor allem die ausländischen Rekruten aus Nepal, Indien, Kuba oder Kirgisistan seien an der russischen Front Kanonenfutter.

Für ein monatliches Gehalt von 2.000 bis 4.000 US-Dollar sind trotzdem viele bereit, ihr Leben zu riskieren. Und Russland wirbt aktiv dafür: Erst im Jänner hat Wladimir Putin die Einbürgerung von Ausländern, die für Russland kämpfen, beschleunigt. Für Arbeitswillige aus armen Ländern wie Nepal ist das äußerst attraktiv. Ein Gros der Nepalesen im erwerbsfähigen Alter heuert als Billiglohnkraft in Ländern am Golf, in Malaysia oder Südkorea an, weil es im Land selbst kaum Jobchancen gibt. Über die Gastarbeiter gibt es unzählige Geschichten von Ausbeutung – vor allem, wenn die Menschen über illegale Wege ins Ausland gelangt sind.

Gleichzeitig hat auch das Söldnertum in Nepal lange Tradition. Die weltbekannten Gurkhas dienen bis heute in den britischen und indischen Armeen. Die "britische Pension", die den nepalesischen Kämpfern winkt, gilt für ganze Familien als sicheres Ticket aus der Armut. Einen derartigen Job zu ergattern, ist aber schwierig. Es sind außerdem etliche Fälle dokumentiert, in denen sich die Betroffenen eigentlich für andere Jobs bewarben, dann aber für die russische Armee arbeiten mussten. Und dabei sind nicht nur Nepalesen betroffen.

Vier Frauen nahmen im Februar an Protesten in Kathmandu teil, im Rahmen derer sie die sichere Rückkehr ihrer Ehemänner aus Russland forderten.
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Wie die "South China Morning Post" (SCMP) berichtet, gilt etwa der Inder Aazad Yousuf Kumar in Russland als vermisst. Seine Familie erzählt dem Medium, dass er sich bei einer Agentur in Dubai gemeldet hatte, die ihm einen Job im Nahen Osten versprach. Umgerechnet rund 3.300 Euro bezahlte er für die Vermittlung. Als er im Dezember jedoch in Dubai ankam, hieß es plötzlich, es gebe doch keinen Job. Stattdessen könne er als Koch nach Russland gehen. Anfang Februar meldete er sich bei seinem Bruder von der ukrainisch-russischen Grenze per Whatsapp und erzählte, dass er in die Irre geführt worden war und nun Soldat sei. Die Bedingungen seien bei minus 35 Grad "hart", er habe sich mit einer Waffe, die er noch nie benutzt hatte, selbst in den Fuß geschossen. Seitdem hat die Familie nichts mehr von ihm gehört.

Weitere Fälle sind dokumentiert: Ende Februar ist ein Mann aus dem indischen Gujarat in Donezk gestorben, der als "Armee-Sicherheitshelfer" für Russland gearbeitet hat, wie "The Hindu" berichtet.

Offizielle Stellungnahmen dazu sind rar. Auf Anfrage der SCMP gab das indische Außenministerium an, dass bekannt sei, dass "einige indische Staatsangehörige bei der russischen Armee als Hilfskräfte angeheuert haben". Die indische Botschaft würde diese Angelegenheit regelmäßig an die russischen Behörden tragen, damit sie frühzeitig entlassen würden, hieß es weiter. "The Hindu" schreibt von mindestens 100 derartigen "Armee-Sicherheitshelfern" aus Indien.

Nepal stellt wiederum seit Jänner für Staatsbürger keine Genehmigungen mehr aus, um in Russland oder der Ukraine zu arbeiten. Das Himalaja-Land hat außerdem Russland offiziell aufgefordert, keine Nepalesen für die russische Armee zu rekrutieren, und all jene, die vor Ort sind, sicher nach Hause zu schicken. Es bleiben trotzdem die ohnehin stark genutzten illegalen Wege. Erst im Dezember wurde eine Gruppe in Kathmandu festgenommen, die illegal Nepalesen zur Arbeit in der russischen Armee vermittelt haben soll.

Außenminister Saud gab gegenüber "CNN" an, man sei "sehr besorgt" über die Situation. Im Februar hat Russland zugestimmt, Kompensationszahlungen an die Angehörigen von gefallenen Nepalesen zu zahlen. (Anna Sawerthal, 7.3.2024)