Mika Biereth hat nicht lange gebraucht, um sich in Graz einen Namen zu machen. Die Conference League gegen Lille wird seine bisher schwierigste Prüfung.
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Ticker: Sturm vs. Lille, Do., 18.45 Uhr

Graz - Halbfinaleinzug im Cup, in der Liga auf Schlagdistanz mit Salzburg geblieben, mit zwei Siegen gegen Slovan Bratislava in der Conference League souverän aufgestiegen – der Februar war für Sturm Graz nicht nur in den Worten von Trainer Christian Ilzer ein "positiver Wahnsinnsmonat". Als zentraler Erfolgsgarant entpuppte sich ein Mann, dessen Namen Mitte Jänner in der Steiermark noch niemand kannte.

Am 15. Jänner verlautbarte Sturm, dass Seedy Jatta einen Riss des Syndesmosebands erlitten hatte. Schon im Herbst war der Norweger zweimal länger ausgefallen, in seiner Abwesenheit fehlte Sturms Offensivspiel der Tiefgang. Wie ersetzt man also einen 20-jährigen skandinavischen Stürmer? Mit einem 20-jährigen Stürmer, der zumindest laut Reisepass als Skandinavier durchgeht. Mika Biereth ist in London als Sohn eines Deutschdänen und einer Bosnierin aufgewachsen, seine internationalen Tore schießt er aber für Dänemarks Nachwuchs.

Aber zurück zu Jattas Verletzung: Sturms Geschäftsführer Sport, Andreas Schicker, kennt das Geschäft, er ist auf Verletzungen, plötzliche Abgänge und etwaige Ufo-Entführungen vorbereitet. Schattenkader heißt das Zauberwort, für jede Position gibt es eine Alternative. "Mika war schon seit zwei Jahren Thema. Er hat immer wieder Verletzungen gehabt, war vom Profil her aber der Stürmer, der uns immer getaugt hat", sagt Schicker dem STANDARD. "Das letzte halbe Jahr war er sehr stabil." Also: Zugriff. Arsenal hatte Biereth im Herbst an Motherwell verliehen, dieses Geschäft beendeten die Gunners nun vorzeitig und schickten das Talent für den Rest der Saison nach Graz.

Eilige Eingewöhnung

Schicker flog mit seinem neuen Goalgetter direkt ins Trainingslager in die Türkei, im Eiltempo musste Biereth in die Mannschaft integriert werden. "Ich hatte jeden Abend ein Meeting mit Domi (Co-Trainer Dominik Deutschl, Anm.), es gab Videos, wie das Team spielt und wie ich mich einpassen soll", erzählt der Neue. "Auch danach in Österreich war es jeden Abend: Video, Video, Video. Wenn man dann mit den Jungs spielt, fügt sich das gut ineinander."

Es fügte sich sogar sehr gut. Biereth schoss in sieben Partien fünf Tore. "Wir machen es neuen Spielern sehr einfach", sagt Schicker, "weil die Kabine richtig gut funktioniert, sehr gute Führungsspieler drin sind. Ich habe schon am zweiten Tag gesehen, dass Mika in einer guten Gruppe war." Es ist nach Waalwijk und Motherwell bereits Biereths drittes Leihgeschäft. Für ihn mache das menschlich keinen Unterschied: "Die Freundschaften, die ich bei Arsenal geknüpft habe, sind nicht anders als die bei meinen Leihklubs."

Eine Wohlfühlatmosphäre schießt noch keine Tore. Biereth lobt mit Londoner Zungenschlag das "football brain" der "boys". Otar Kiteishvili beispielsweise sei als Zehner "ein Spieler, mit dem es als Stürmer so viel Spaß" mache: "Wenn ich auf Zack bin, wird er mir viele Chancen auflegen." Passend dazu sieht Schicker – getrennt befragt – neben Physis und Abschlussstärke auch das Spielverständnis als Biereths Kernqualität. "Ich nehme gute Laufwege", sagt der Stürmer selbst.

Altes Wissen

Auch die Vergangenheit bei seinem Stammklub Fulham kommt dem Stürmer in Graz zugute. "In der U18 haben wir auch dieses 4-4-2 mit Raute gespielt. Wir hatten auch eine ähnliche Philosophie – hohes Pressing, schnelle Ballgewinne und viel Zug zum Tor. Es kommt mir vor, dass mir das hier geholfen hat." Vergleiche mit Rasmus Höjlund drängen sich angesichts der Torquote und der Zugehörigkeit zu dänischen Nachwuchsnationalteams auf, Biereth selbst bezeichnete sich in einem Interview mit The Athletic im Jänner als "schlechterer Hybrid aus Erling Haaland und Harry Kane". Einerseits eben die Laufwege in den Rücken der Abwehr, andererseits der Kombinationswille.

Anders als Höjlund wird Biereth Sturm auf dem Transfermarkt nicht reich machen, auf eine Kaufoption am Ende des Leihgeschäfts ließ sich Arsenal nicht ein. Der mittlerweile 21-Jährige betont, aus seinem Gastspiel das Maximum rausholen zu wollen: "Ich trainiere so hart wie möglich, stelle so viele Fragen wie möglich." Biereth will auch die Sprache lernen. "Es ist wichtig, so viele Skills wie möglich von hier mitzunehmen."

Auf dem Rasen könnte der Goalgetter Sturms Fans heute Abend wieder glücklich machen. Um 18.45 Uhr (Servus TV live) gastiert Lille im Achtelfinale der Conference League in der Merkur-Arena. Der Vierte der Ligue 1 ist klar zu favorisieren, Jonathan David wird mit 50 Millionen Euro etwa der gleiche Marktwert wie Sturms komplettem Kader zugeschrieben. Biereth wird den Stürmerstar eher aus der Ferne bewundern, sein direkter Gegenspieler heißt wohl Leny Yoro – mit 18 Jahren immerhin eines der größten Innenverteidigertalente der Welt. (Martin Schauhuber, 7.3.2024)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen zum Achtelfinal-Hinspiel der Conference League:

SK Sturm Graz - OSC Lille (Graz, Stadion Graz Liebenau, Donnerstag, 18.45 Uhr/live ServusTV, Sky, SR Frankowski/POL). Rückspiel am 14. März (21.00), der Aufsteiger steht im Viertelfinale.

Sturm: Jaros - Gazibegovic, Wüthrich, Affengruber, Schnegg - Gorenc Stankovic, Lavalée - Kiteishvili, Prass - Biereth, Sarkaria

Es fehlen: Jatta (Syndesmosebandriss), Scherpen (Kreuzbandriss), Borkovic (Kreuz- und Seitenbandriss), Serrano (Oberschenkel)

Lille: Chevalier - Diakité, Yoro, Alexandro, Ismaily - André, Gomes - Zhegrova, Yazici, Haraldsson - David

Es fehlen: Bentaleb (gesperrt), Umtiti (Knie), Ilic (Wadenbeinbruch), Ounas (Wade), Miramon (Schambeinentzündung)