Wien – Mit 407 Fällen hat sich der Österreichische Presserat im Vorjahr beschäftigt, wobei in 20 Fällen ein Ethikverstoß beanstandet wurde. Mit neun Verstößen (bei 26 Fällen) stand 2023 "Oe24" an der Spitze, gefolgt von 60 Fällen und vier Verstößen bei der "Kronen Zeitung" und zwei Verstößen in zwei Fällen bei "Tips". "Zur Zeit" kam auf einen Verstoß bei einem Fall, bei "Die ganze Woche" gab es einen Verstoß bei zwei Fällen.

Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats.
Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats.
Moritz Ziegle

Sechs Fälle wurden beim "Falter" behandelt, wobei einmal ein Verstoß festgestellt wurde. Ebenfalls einen Verstoß gab es beim "Kurier" (25 Fälle) und beim STANDARD (73 Fälle). Das ist die Bilanz, die der Presserat am Donnerstag bei der Präsentation des Jahresberichts zog. Mit Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verlegerverbands VÖZ, wurde ein neuer Präsident des Presserats gewählt. Im Interview mit dem STANDARD lässt Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek das Jahr aus medienethischer Sicht Revue passieren. Er steht dann im Forum für Fragen von Userinnen und Usern zur Verfügung.

STANDARD: Wie fällt Ihre Bilanz aus medienethischer Sicht aus? Wie haben sich Österreichs Medien im vergangenen Jahr geschlagen?

Warzilek: Die Medienethikverstöße sind zum wiederholten Mal zurückgegangen. Im letzten Jahr gab es bei über 400 Fällen bloß 20 Ethikverstöße, 2022 waren es noch 26 und in den Jahren davor über 30. Die Entwicklung ist also positiv. Verbesserungen hat es aus meiner Sicht bei der Berichterstattung über Suizide und über Femizide gegeben. Die Medien sind sich bewusst, dass eine detaillierte Schilderung des Suizidablaufs oder die Veröffentlichung von Abschiedsbriefen zu Folgesuiziden führen kann. Das ist der Werther-Effekt. Und bei Femiziden wird es mittlerweile vermieden, Porträtfotos der Opfer zu veröffentlichen. Das haben wir auch konsequent geahndet. Eine negative Tendenz erkenne ich in der Veröffentlichung von Videos, in denen brutale Gewalt zu sehen ist, etwa das Zusammenschlagen von Jugendlichen.

STANDARD: Wie steht Österreich im internationalen Vergleich – etwa mit Deutschland – da?

Warzilek: In den vergangenen Jahren hat Österreich im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen abgebaut – hier wäre es ganz wichtig, wieder an Reputation zu gewinnen. Neben dem großen gleichsprachigen deutschen Medienmarkt ist es insbesondere für österreichische Magazine schwierig zu bestehen. Printmedien geht es aber leider weltweit nicht so gut.

Zum Presserat: Was die Medienarbeit anbelangt, hat der Österreichische Presserat durchaus eine Vorreiterrolle in Europa. Unseren Senatssprecher:innen ist es wichtig, die Entscheidungen bekanntzumachen. Anders als in Deutschland nennen wir auch die jeweils betroffenen Medien. Wir sind auch recht aktiv in den sozialen Medien. Eine Verbesserungsmöglichkeit bestünde darin, die Medien, die bei uns mitmachen, dazu zu verpflichten, über jeden eigenen Ethikverstoß zu berichten. Beim deutschen Presserat gibt es eine solche Vorgabe. Langfristig wäre es auch wichtig, für alle Mediengattungen – also auch Radio und Fernsehen – zuständig zu sein, so wie das in der Schweiz der Fall ist. Der Presserat sollte unabhängig von der technischen Verbreitung umfassend für die Ethikkontrolle des professionellen Journalismus verantwortlich sein.

STANDARD: Welchen Verstoß gegen den Ehrenkodex der Presse würden Sie als den eklatantesten ansehen?

Warzilek: Zuvor habe ich bereits die Gewaltvideos erwähnt. Es gab im letzten Jahr zum Beispiel einen Verstoß für die Veröffentlichung eines Videos, in dem ein des Diebstahls verdächtiger Inder mit blutverschmiertem Gesicht gezeigt wurde, kurz bevor er totgeprügelt wurde. Andere Videos betrafen rohe Gewalt gegenüber Jugendlichen. Hier geht es nicht um Informationsinteressen, sondern um Voyeurismus und "Clickbait". Gravierend war auch ein Fall in der rechtsnationalen Wochenzeitschrift "Zur Zeit". Dort wurde dem Leiter der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst vorgeworfen, gegen muslimische Staatsbürger weniger konsequent vorzugehen, weil er arabischer Herkunft ist. Der Artikel enthielt den Satz: "Man drängt sich nicht nach vorne, sondern hält sich bescheiden im Hintergrund, ist vielmehr dankbar, hier leben zu dürfen." Im Klartext heißt das, dass in Österreich geborene Menschen mit ausländischen Wurzeln keine Karriere machen dürfen. Eine arge und auch diskriminierende Aussage, meiner Meinung nach.

STANDARD: Der Presserat selbst hat mit der Regierung lange um ein ausreichendes Budget gerungen. Jetzt sind es 230.000 Euro plus pro Jahr. Sind Sie zufrieden?

Warzilek: Ich bin sehr froh, dass die vielen Zeitungsberichte, Kommentare unserer Senatsmitglieder und die Hintergrundgespräche mit der Politik schließlich Früchte getragen haben. Im Laufe der Diskussion haben sich zum Glück immer mehr Politiker:innen für unser Anliegen eingesetzt und die Finanzierung für die Geschäftsstelle wesentlich erhöht. Ich möchte auch hier noch einmal betonen, dass alle unsere 33 Senatsmitglieder und auch die 14 Vertreter im Trägerverein ehrenamtlich und ohne Aufwandsentschädigung arbeiten. Die 300.000 Euro Jahresbudget (70.000 Euro Mitgliedsbeiträge und 230.000 Euro Förderung) dienen ausschließlich für die Erhaltung unserer Geschäftsstelle. Wir haben uns ein wenig gewundert, dass es so ein zähes Ringen war, sind aber dankbar, dass es zu einer tragfähigen Lösung gekommen ist. Ein Wermutstropfen ist, dass es für unsere Förderung – anders als in Deutschland – keine automatische Indexanpassung gibt. Mir wurde mitgeteilt, dass das in Österreich nur bei der Parteienförderung erwünscht ist.

STANDARD: Was nicht gelungen ist, ist die Koppelung der Medienförderungen und die Vergabe von Regierungsinseraten an die Mitgliedschaft im Presserat. Warum fehlt hier die Bereitschaft?

Warzilek: Diese Frage muss sich in erster Linie an die Politik richten. Etwas verklausuliert wird zwar in Paragraf 1 des Qualitätsjournalismusförderungsgesetzes auf uns hingewiesen, wenn dort "anerkannte journalistische Grundsätze" erwähnt werden. Das ist nichts anderes als unser "Ehrenkodex für die österreichische Presse", der ja von der Branche ausgearbeitet wurde und genau diese Grundsätze enthält. Obwohl alle Medienwissenschafter:innen diese Koppelung seit Jahren fordern, hat man sich politisch offenbar nicht mehr getraut.

STANDARD: Ist die Kapitulation der Regierung vor der "Kronen Zeitung" der Grund? Sie ist als größte Zeitung des Landes nicht beim Presserat.

Warzilek: Offen gestanden glaube ich das nicht. Das Verhältnis zwischen der "Kronen Zeitung" und dem Presserat hat sich in der letzten Zeit deutlich entspannt. Es gibt immer wieder Lösungen im Ombudsverfahren, und die "Krone" nimmt jetzt manchmal auch an Verhandlungen vor den Presseratssenaten teil. Das war – glaube ich – auch ein Faktor für den Rückgang der Ethikverstöße des Boulevardblatts im letzten Jahr. Im Verfahren lassen sich ja manchmal Dinge aufklären. Zum besseren Verhältnis hat Alexandra Halouska wesentlich beigetragen – sie ist Chefredakteurin der "Krone OÖ" und Mitglied unseres Senats 2. Ich habe den Eindruck, dass sie die Entscheidungen des Presserats auch in die Redaktion der "Kronen Zeitung" weiterträgt und damit das Verständnis für unsere Arbeit anhebt.

STANDARD: Was sind die nächsten Schritte in der Arbeit des Presserats? Immer wieder Thema ist die Ausweitung der Tätigkeit auf Onlinemedien. Wann ist es so weit?

Warzilek: Wir sind ja jetzt schon für die wichtigsten Online-Medien zuständig, nämlich jene der Zeitungsverlage. Die Zuständigkeit für reine Online-Medien, die professionellen Journalismus betreiben, wird sicher noch im heurigen Jahr kommen. Zudem sind wir bereits im vierten Jahr bei einem wichtigen EU-Projekt der europäischen Presseräte federführend beteiligt.

STANDARD: Wie bewerten Sie aus medienethischer Sicht die Berichterstattung über Alexandra Föderl-Schmid? Haben Medien die nötige Zurückhaltung an den Tag gelegt, oder wurden Grenzen überschritten?

Warzilek: Über diesen Fall zu berichten, war schwierig. Wenn mehr als 100 Einsatzkräfte nach einer vermissten Person suchen, dann hat das – zumindest regional – eine gewisse Relevanz. Andererseits ist natürlich gerade in einer solchen Situation auch der Persönlichkeitsschutz von Alexandra Föderl-Schmid zu achten. Ich habe es als positiv empfunden, dass mich einige Medien an dem Tag der Vermisstenmeldung kontaktiert und mit mir darüber diskutiert haben, in welcher Form sie berichten sollen. Den Medien war es also schon sehr wichtig, hier möglichst keine ethischen Grenzen zu überschreiten. Bei der Vorgeschichte mit – soweit ich das beurteilen kann – eher dubiosen Plagiatsvorwürfen und einer konzertierten Kampagne gegen sie ist das auch verständlich. Wir wünschen jedenfalls Alexandra Föderl-Schmid, die sich ja auch sehr stark für die Wiedergründung des Presserats eingesetzt hat, alles Gute und freuen uns auf künftige Diskussionen mit ihr.

STANDARD: Viele Medien sind mit Sparpaketen und schrumpfenden Redaktionen konfrontiert. Kommt dadurch mehr Arbeit auf den Presserat zu, weil weniger Zeit für Reflexion und Genauigkeit bleibt?

Warzilek: Die Ausdünnung der Redaktionen ist ein riesiges demokratiepolitisches Problem. Wir als Gesellschaft sollten uns dringend überlegen, ob uns der Erhalt von journalistischer Qualität und Medienvielfalt nicht sehr viel mehr wert sein muss. Natürlich können Stress und erhöhte Arbeitsbelastung zu mehr Fehlern führen. Die Gefahr besteht aber auch darin, dass Zeitungen ganz zusperren und unsere Kontrolltätigkeit damit zurückgeht. Um jetzt aber nicht nur schwarzzumalen: Ich bin davon überzeugt, dass es professionellen Journalismus immer geben wird und wir ihn selbstverständlich auch weiterhin brauchen werden. Ich hoffe, es kommt bei all den Falschinformationen bald zu dem Punkt, dass wir uns als Gesellschaft des Werts recherchierter und austarierter Information wieder bewusst werden und wir auch wieder etwas dafür aufwenden.

STANDARD: Die ethischen und rechtlichen Grenzen von Satire kommen auch anlassbezogen immer wieder aufs Tapet: Hat zum Beispiel Jan Böhmermann mit seiner Aussage, Nazis zu keulen, den Bogen überspannt? Die FPÖ sieht darin sogar einen Aufruf zum Mord.

Warzilek: Die Causa ist ein Grenzfall, er liegt in meinen Augen aber noch innerhalb der von Ihnen angesprochenen rechtlichen und ethischen Grenzen. Streng am Wortsinn orientiert geht es zwar in Richtung Verhetzung. Wesentlich ist jedoch nicht nur, dass es sich beim "ZDF Magazin Royale" um eine bekannte Satiresendung handelt, sondern dass es auch um einen politischen Kontext geht, Böhmermann sich ein Wortspiel zunutze macht – "Nazikeule" – "Nazis keulen" – und AfD und FPÖ auch nicht gerade zimperlich bei ihrer Wortwahl sind. Außerdem betrifft die Passage lediglich einen Halbsatz im Rahmen der Abmoderation der halbstündigen Sendung Böhmermanns. Trotzdem kann man das Wortspiel natürlich als verfehlt oder geschmacklos empfinden.

ZDF-Satiriker Jan Böhmermann
ZDF-Satiriker Jan Böhmermann sorgte mit seiner FPÖ-Abrechnung kürzlich für Aufregung.
Screenshot/ZDF-Mediathek
"In einer freien Gesellschaft wird Satire immer ihren Platz haben. Es gibt kein anderes Format, in dem man auf so wunderbare Weise Kritik an den Mächtigen üben und gleichzeitig ein Schmunzeln oder ein herzhaftes Lachen beim Publikum verursachen kann."

STANDARD: Die FPÖ Niederösterreich geht gerichtlich gegen die "Tagespresse" vor, Kabarettist Florian Scheuba wurde für eine satirische Kolumne im STANDARD wegen übler Nachrede verurteilt. Geht es der Satire an den Kragen?

Warzilek: An den Kragen geht es der Satire sicherlich nicht. Die schnellen "Shitstorms" in den sozialen Medien mögen jedoch dazu beigetragen haben, dass sie teilweise unter Druck geraten ist. So hat etwa die "New York Times" in ihrer internationalen Ausgabe die Karikaturen eingestellt. Und dennoch: In einer freien Gesellschaft wird Satire immer ihren Platz haben. Es gibt kein anderes Format, in dem man auf so wunderbare Weise Kritik an den Mächtigen üben und gleichzeitig ein Schmunzeln oder ein herzhaftes Lachen beim Publikum verursachen kann. Gerade in Österreich sind ja auch viele auf dem Gebiet sehr erfolgreich, neben der bereits erwähnten "Tagespresse" denke ich auch an "Maschek", "Willkommen Österreich", "Gute Nacht Österreich" oder Michael Pammesberger im "Kurier" oder Stefanie Sargnagel im "Falter". Im Übrigen ist ja das letzte Wort im Fall Florian Scheuba noch nicht gesprochen.

STANDARD: Der Umgang mit Kriegsbildern und die Frage, wo das Informationsgebot endet und wo es beginnt, sorgt auch immer wieder für Debatten. Gab es besonders eklatante Verletzungen von Persönlichkeitsrechten?

Warzilek: Wir hatten keinen gemeldeten Fall. Unser Senat 1 hat jedoch anlässlich der furchtbaren Gräueltaten der Hamas an den Israelis im Oktober eine Allgemeine Stellungnahme zur Kriegs- und Terrorberichterstattung herausgegeben. Darin hat er festgehalten, dass die Öffentlichkeit einerseits einen Anspruch darauf hat, über das Ausmaß und die Brutalität von Kriegs- und Terrorhandlungen informiert zu werden. Andererseits ist auch der Opferschutz zu berücksichtigen. Zudem sollten sich Medien auch dessen bewusst sein, dass es das Ziel von Terroristen ist, brutale Bilder zu verbreiten. (Oliver Mark, 7.3.2024)