Richtersenat am Obersten Gerichtshof
Der Oberste Gerichtshof sah alle Bedingungen für tätige Reue bei Karmasin als erfüllt an.
APA/EVA MANHART

Seit Mittwoch ist das Urteil gegen die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin rechtskräftig. In einer öffentlichen Verhandlung hat der Oberste Gerichtshof die Strafe zwar leicht reduziert, ansonsten hielt er die Entscheidung der ersten Instanz aber aufrecht. Verurteilt wurde Karmasin wegen illegaler Absprachen in Vergabeverfahren, freigesprochen wurde sie dagegen vom Vorwurf des Betrugs. Doch der Grund für diesen Freispruch sorgte für einige Diskussionen.

Zur Erinnerung: Die Staatsanwaltschaft hatte Karmasin vorgeworfen, nach ihrer Ministertätigkeit zu Unrecht eine Gehaltsfortzahlung in Anspruch genommen zu haben. Eine derartige Fortzahlung wäre nur dann erlaubt gewesen, wenn Karmasin sonst keine Einkünfte gehabt hätte. Die Sachlage war hier zwar eindeutig, verurteilt wurde Karmasin jedoch nicht. Sie habe den Schaden, der der Republik entstanden ist, nämlich rechtzeitig zurückbezahlt und damit "tätige Reue" geübt, wie nun auch der Oberste Gerichtshof letztinstanzlich entschieden hat.

Strenge Voraussetzungen

Geregelt ist "tätige Reue" in Paragraf 167 des Strafgesetzbuchs (StGB). Sie kommt bei praktisch allen Vermögensdelikten infrage – etwa bei Diebstahl, Veruntreuung oder bei Betrug. Die Täterin oder der Täter bleibt demnach straflos, wenn sie oder er den gesamten Schaden wiedergutmacht, der durch das Delikt verursacht wurde. Allerdings sind die Voraussetzungen streng: Tätige Reue kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter freiwillig und rechtzeitig handelt.

Im Fall von Karmasin war es offenbar so, dass sie durch Presseanfragen von den Vorwürfen erfuhr und das Geld rücküberwiesen ließ. Selbst in Fällen, in denen klar ist, dass die Sache über Medien öffentlich wird, kann man aus rechtlicher Sicht aber noch von "freiwillig" sprechen. Dasselbe gilt, wenn der Täter aus anderen Gründen damit rechnen muss, dass die Tat entdeckt wird. Die Rechtsprechung definiert den Begriff recht großzügig.

Auch die zweite Voraussetzung – die Rechtzeitigkeit – war laut dem Höchstgericht eindeutig erfüllt. Rechtzeitig bedeutet, dass der Täter oder die Täterin handelt, bevor die Behörden von dem Delikt erfahren. Bei Karmasin war diese Voraussetzung erfüllt. Die ersten Berichte über die Vorwürfe erschienen laut OGH erst einen Tag nachdem Karmasin das Geld überweisen ließ.

Netto oder brutto?

Strittig war im Fall von Karmasin vor allem, ob sie den Schaden zur Gänze wiedergutgemacht hat. Karmasin ließ ihr Nettogehalt überweisen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte sie dagegen den Bruttobetrag zahlen müssen. Der Oberste Gerichtshof gab hier Karmasin recht: Es komme auf eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" beim Opfer an. Im Fall von Karmasin war das Opfer der Bund, der die Steuereinnahmen ohnehin bekommt. Wirtschaftlich habe das also keinen Unterschied gemacht.

"Dabei handelt es sich um einen Spezialfall, weil die Steuer just an jenen Rechtsträger fließt, der Opfer des Delikts ist", erklärt Rechtsanwalt und Strafverteidiger Alexander Stücklberger. Im Regelfall sei der Bruttobetrag zu bezahlen – also zum Beispiel inklusive Umsatzsteuer oder inklusive Einkommenssteuer, wenn Gehälter bei einem privaten Unternehmen erschlichen werden.

Auch ein weiteres Argument der Staatsanwaltschaft ließ der OGH nicht gelten. Die WKStA hatte in ihrem Rechtsmittel argumentiert, dass Karmasin das Geld nicht selbst, sondern über ihren Schwager überwiesen ließ. Es sei deshalb nicht klar gewesen, ob der Betrag wirklich in ihrem Namen rückerstattet wurde. Laut den Gerichten war das aber eindeutig der Fall. Karmasin sei zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft gewesen und habe deshalb ihren Schwager mit der Überweisung beauftragt.

"Große kriminalpolitische Bedeutung"

Das Rechtsinstitut der "tätigen Reue" soll Täterinnen und Täter dazu motivieren, ihre Tat selbst wiedergutzumachen, und ihnen so eine Rückkehr in die Legalität ermöglichen. Zudem sollen Opfer ihren Schaden möglichst rasch ersetzt bekommen. Strafrechtsexperten wie Alois Birklbauer von der JKU Linz halten es für verfehlt, die Regelung aufgrund des aktuellen Falls zu hinterfragen.

Dass es sich dabei um eine Privilegierung für Wohlhabende handelt, die sich "freikaufen" können, stimmt laut Birklbauer nicht. Es reiche nämlich schon die "vertragliche Verpflichtung zur Schadensgutmachung innerhalb angemessener Zeit", schreibt Birklbauer in einem Gastbeitrag. Es kann also zum Beispiel eine Ratenzahlung vereinbart werden.

Auch aus Sicht von Robert Kert, Strafrechtsprofessor an der WU Wien, ist tätige Reue "kein Privileg von Reichen oder Politikern". Das Instrument habe große kriminalpolitische Bedeutung, weil der Staat dabei den Opferschutz vor die Bestrafung des Täters stelle. (Jakob Pflügl, 8.3.2024)