Leiterplatte auf Pilz-Basis
Elektronik auf Basis von Pilzmyzel als Lösung des Elektroschrottproblems? An der JKU in Linz wird dieses Konzept nun eingehend geprüft.
JKU

Das zentrale Steuerelement von Computern, Fernbedienungen oder Waschmaschinen hat fast jeder schon einmal gesehen, der ein Gerät absichtlich oder unabsichtlich zerlegt hat: eine meist grüne, flache Platte mit einem Wegenetz aus Kupferbahnen und darauf gelöteten elektronischen Komponenten. Das Substrat der Leiterplatte oder gedruckten Schaltung (Printed Circuit Board, PCB) besteht in der Regel aus einem Glasfaser-Polymer-Verbundmaterial. Die dünnen Kupferbahnen dienen als elektrische Leitungen zwischen Widerständen, Dioden, Kondensatoren, integrierten Schaltkreisen oder sonstigen elektronischen Bauteilen.

Wachsende Elektroschrottberge

Elektroschrott ist sprichwörtlich ein wachsendes Problem, und PCBs tragen ordentlich dazu bei. Trotz der weltweit höchsten Recyclingrate von mehr als 40 Prozent wanderten 2020 in der EU rund 4,7 Millionen Tonnen ausgedienter Elektro- und Elektronikgeräte in den Müll. Während es für das Trägermaterial von starren PCBs bereits erste biologisch abbaubare Lösungen zum Beispiel aus Zellulose basiertem Substrat gibt, ist das für flexible Leiterplatten bisher noch nicht der Fall.

Das ist schon deshalb problematisch, weil sogenannte FlexPCBs in vielen kurzlebigen Anwendungen eingesetzt werden – von Tages-Skipässen bis zu medizintechnischen Produkten. "Grob gesagt werden von den geschätzten 1,2 Millionen metrischen Tonnen an PCB-Abfall im Jahr zwei Drittel nicht recycelt, sondern auf Müllhalden oder in anderen, unsicheren, unkontrollierten Konditionen einfach entsorgt", sagt Martin Kaltenbrunner, Leiter der Abteilung Physik weicher Materie sowie des LIT Soft Materials Lab an der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU).

Leiterplatten wachsen lassen

Da auch die Herstellung von Papier besonders energieintensiv ist und große Mengen an Wasser verbraucht, überlegten sich die Forschenden nachhaltigere Alternativen für flexible Leiterplatten und wurden bei einem Pilz fündig. Das mit 150.000 Euro dotierte, ERC-Proof-of-Concept-Projekt "MycoSub" baut auf Kaltenbrunners "GES-SYS"-Projekt auf, bei dem weiche elektronische Systeme mit einem Fokus auf biokompatible und biologisch abbaubare Hydrogele entwickelt wurden.

Die Grundlage für MycoSub bilden Pilze vom Typus Glänzender Lackporling (Ganoderma lucidum). Gezüchtet werden sie in einer Box mit einem Nährmedium, das hauptsächlich aus Holzspänen besteht. Darauf wird ein Fliegenschutzgitter gelegt. In einer feuchten und CO2-reichen Atmosphäre wächst bei 25 Grad Celsius innerhalb von ein paar Wochen ein Gewebe aus Pilzfasern, das Myzel heran. "An der Oberfläche bildet sich eine geschlossene Haut, mit der sich der Pilz vor Fremdpilzen und Bakterien schützen möchte", erklärt Kaltenbrunner. "Sobald die Fläche gewachsen ist, erlaubt es uns das Fliegenschutzgitter, die Haut einfach herunterzuziehen."

Herstellung MycoSub
Pilze bilden die Basis für neue Leiterplatten, die biologisch abbaubar sind.
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Mit der Ernte gilt es, nicht zu lange zu warten, damit sich keine krustige Oberfläche bildet und kein Fruchtkörper austreibt. Nach dem Trocknen ist die Haut ausgehärtet und für die Bearbeitung als Leiterplatte bereit. Nun wird eine Schicht aus Kupfer thermisch aufgedampft und anschließend mit einem Laser bearbeitet. Übrig bleiben die gewünschten Leiterbahnen. Darauf können dann wie bei einer herkömmlichen Leiterplatte elektronische Komponenten angebracht werden.

Myzel trotzt Hitze

Die nötigen Voraussetzungen für PCBs, was Belastbarkeit und Hitzebeständigkeit betrifft, scheinen mit dem Pilzmyzel erfüllt. Erste Prototypen ließen sich in Versuchen mehr als 2.000-mal biegen, ohne dass Leiterbahnen gebrochen sind, und sie hielten Temperaturen von bis zu 250 Grad Celsius stand. Das Forscherteam hat sie mit einem Berührungs- und Feuchtesensor bestückt und mit einer Dünnschichtbatterie betrieben. Das Besondere daran: Das Gehäuse der Batterie und der Separator, der Anode von der Kathode trennt, bestehen ebenfalls aus Pilzmyzel.

Entsorgen kann man die Pilzkomponenten auf dem Haushaltskompost, wo sie auf natürlichem Weg abgebaut werden. "Da kommt dann gleich die Frage, was passiert mit der Elektronik", antizipiert der Forscher. "Nun ja, die Chips sollte man schon vorher runternehmen. Dann bleibt immer noch ein bisschen Kupfer auf dem Pilz. Für unseren ersten Demonstrator waren die Schichtdicken und die Kupfermengen so niedrig, dass sich Recycling nicht ausgezahlt hätte. Geringe Mengen an Metallen wie Kupfer sind am Kompost aber kein Weltuntergang."

Forscher Martin Kaltenbrunner
Martin Kaltenbrunner widmet sich an der JKU der Herausforderung, dem wachsenden Berg von Elektroschrott beizukommen.
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Bei einer in Arbeit befindlichen neuen Variante des Demonstrators soll es nach den Vorstellungen des Linzer Forschungsteams aber schon besser möglich sein, die Leiterbahnen vom Pilz zu trennen, bevor die Pilzhaut in den Kompost kommt. Diese Herausforderung oder jene, auch mehrlagige Leiterplatten auf Pilzbasis zu konstruieren, sind nun Teil des auf 18 Monate angelegten ERC-Projekts. Ist die Technologie einmal ausgereift, ist sie laut Kaltenbrunner beliebig skalierbar und kann vor allem bei unzähligen Einweg-Elektronikartikeln, etwa bei elektronischen Hautpflastern, die den Gesundheitszustand messen, für mehr Nachhaltigkeit sorgen. (Mario Wasserfaller, 12.3.2024)