Roy Lichtenstein
Mit seiner typischen Handschrift im frechen Comic-Stil samt weinenden Frauen und befüllten Gedankenblasen riss Roy Lichtenstein die Grenze zwischen High Art und Alltagskultur nieder.
Yale University Art Gallery

Die Motivation von Roy Lichtenstein könnte selbst dem heutigen Kunstbetrieb nicht schaden: Die Kunst sollte sich selbst nicht allzu ernst nehmen, sich ironisch durchleuchten. Das tat der US-amerikanische Künstler, der vergangenes Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, bereits ab den 1960ern. Die Aneignung von bereits vorhandenem Material wie Reklamebildern sowie Comics stieß allerdings zu Beginn seiner Karriere nicht immer auf Zustimmung, wie Plagiatsvorwürfe und heftiger Besucherprotest bei seinen Ausstellungen bewiesen.

Für Aufregung hatte seine Ausstellung 1962 in der New Yorker Galerie Leo Castelli gesorgt, wo er sein Werk Look Mickey erstmals zeigte. Von einem Disney-Comicstreifen inspiriert, vergrößerte der damals knapp 40-jährige Künstler die klamaukige Szene mit Mickey Mouse und Donald Duck eins zu eins auf monumentale Dimension.

Mit dieser bis dahin unüblichen Frechheit, ein derart banales Sujet zum Kunstwerk zu erheben, riss Lichtenstein die Grenze zwischen High Art und Alltagskultur nieder. Quasi über Nacht erlangte er mit dem Werk Berühmtheit und verhalf der Pop-Art zu ihrem Aufstieg. Neben Andy Warhol wurde er zum Meister dieser Kunstrichtung, die die Motive und Techniken der allgegenwärtigen Konsumwelt zu ihrem Kosmos erklärte.

Roy Lichtenstein
Konsumkritik in XXL: Über überdimensionierte Alltagsgegenstände kann man nur schmunzeln.
Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024

Präpotente Zweidimensionalität

Anlässlich seines runden Geburtstags zeigt die Albertina eine umfassende Retrospektive, die sich von den 1960ern bis zu Lichtensteins Spätwerk erstreckt und rund 90 Werke zusammenträgt. Darunter befinden sich Gemälde, Zeichnungen, Tapisserien sowie Skulpturen. Ausgangspunkt war eine große Schenkung 2023 aus den Beständen der Roy Lichtenstein Foundation an das Wiener Museum.

Zu Lichtensteins Handschrift mit dem frechen Comic-Stil, den weinenden Frauen und befüllten Gedankenblasen – der er stets treu blieb – liefert die Ausstellung mehr Tiefgang. Denn seine grelle Bildsprache ist bestimmt bekannter als die eigentlichen Hintergründe seiner Werke. Hinter die präpotente Zweidimensionalität mit ihren Punkten, Schraffuren und in Primärfarben gehaltenen Farbflächen packte Lichtenstein absurde Ironie und eine kritische Haltung.

Roy Lichtenstein
Klischees und Schönheitsideale: Hinter der makellosen Oberfläche von Lichtensteins Werbeoptik steckt pure Ironie.
APA/GEORG HOCHMUTH

Lächerlich maschinell

Durch die übertrieben aufgeblasenen, klischeehaften Darstellungen von immer attraktiven Hausfrauen oder poppigen Alltagsprodukten aus der Werbewelt hielt er einer konsumgierigen Gesellschaft den Spiegel vor – ohne jemals moralisierend aufzutreten. Durchschaut man diese super makellose Oberfläche, muss man über die Absurdität der transportierten Schönheitsideale, der überdimensionalen Produkte sowie der kitschigen Landschaften schmunzeln. Eine Büste mit dem Titel Die Blondine! Eine knallige Kristallschale in XXL! Der 1997 verstorbene Künstler fragte selbst: "Was kann man schon malen, das nicht von vornherein lächerlich ist?"

Im Kontrast zur damals vorherrschenden Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus mit seinen impulsiven Pinselstrichen betonte er bewusst eine kühle Glätte, die den Anschein erweckte, die Werke seien von einer Maschine erstellt worden. Mit einer aufwendigen Technik, Schablonen und Projektoren imitierte er das billige Massendruckverfahren. Seine nach ihrem Erfinder benannten "Benday Dots" wurden zu seinem Markenzeichen.

Lichtensteins Aneignung machte nicht einmal vor Kollegen der Kunstgeschichte halt, wie Arbeiten wie Still Life After Picasso belegen sowie zahlreiche Werke im Stile des Impressionismus, des abstrakten Expressionismus oder des Surrealismus. Trotz der eindeutigen Lesbarkeit sind sie durch und durch in Lichtensteins Sprache gehalten.

Roy Lichtenstein
Lichtensteins Skulpturen fanden bisher wenig Beachtung und funktionieren im Grunde wie seine Malerei - nur im Raum.
APA/GEORG HOCHMUTH

Eingetunkte Paraphrasen

Anstatt tatsächlich zu kopieren, paraphrasierte der Künstler vielmehr und tunkte alles in seinen comichaften Stil ein. Selbst seine Skulpturen – die bisher wenig Beachtung fanden und überdimensionierte Gegenstände wie Trinkgläser und Schreibtischlampen abbilden – funktionieren im Grunde wie seine flachen Malereien.

Die Albertina zeigt eine auffallend luftige und ganz im Sinne Lichtensteins lockere Ausstellung, die sich an den Themenbereichen und Motiven des Künstlers entlanghantelt. Ein Gefühl für die Person dahinter erhält man aber stärker durch die Werke und Zitate an den Wänden als durch Zusatzinformationen. Wie kann man sich seinen Alltag vorstellen?

Dass er, im Gegensatz zu Andy Warhol, ein nüchternes Atelier besaß, in dem er von früh bis spät arbeitete und akribisch Vorstudien erstellte, steht zwar im Widerspruch zu seinen Werken, passt aber hervorragend ins Bild. (Katharina Rustler, 8.3.2024)