Braunkohletagbau bei Nacht
Im Braunkohletagbau Nochten werden in der nördlichen Oberlausitz bis zu 18 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr gefördert.
IMAGO/Sylvio Dittrich

Der 4. Oktober 2010 ist für die ungarische Gemeinde Kolontár ein denkwürdiges Datum. Damals brach hier ein Damm eines Beckens, das Abfallprodukte einer lokalen Aluminiumverarbeitung enthielt. Über eine Million Kubikmeter Rotschlamm, der giftige Elemente wie Arsen und Quecksilber beinhaltete, kontaminierte dutzende Quadratkilometer Land. Das Ereignis zeigte, dass Umweltgefahren aufgrund von Ressourcenabbau nicht nur ein Problem in Afrika, Südamerika oder Südostasien sind. Auch Europa – gerade Osteuropa, wo man lange unter industriellen Altlasten aus der Zeit vor der Wende litt – kann betroffen sein. Ein ähnliches Unglück in Rumänien wenige Jahre zuvor unterstreicht die Problematik.

Nachhaltig schürfen

Gleichzeitig gibt es in der EU mit ihren vergleichsweisen strengen Umweltauflagen aber auch starke Bemühungen, den Bergbau wesentlich ökologischer zu gestalten – nicht nur, weil auch dieser Bereich bis 2050 klimaneutral werden soll, sondern auch, weil Europa den eigenen Bergbau wieder stärker forcieren möchte. Michael Tost, Professor für Sustainable Mining Technology an der Montanuni Leoben, hat in den vergangenen Jahren mit Kollegen und internationalen Partnern Strategien zusammengetragen, wie dieser nachhaltige Bergbau der Zukunft in Europa aussehen könnte. Im EU-Projekt Sumex (Sustainable Management in Extractive Industries) wurden entsprechende Expertenmeinungen und Praxisbeispiele in einer Datenbank versammelt. Ein aufbauender Onlinekurs richtet sich an Behörden, Forschende, NGOs und natürlich die Bergbauindustrie.

Arbeiter in Kohlemine
Ein Arbeiter steht in mehr als 1.000 Meter Tiefe in der Bogdanka-Mine, in der unweit der polnischen Stadt Lublin Kohle abgebaut wird.
AFP/WOJTEK RADWANSKI

Ökologische und soziale Standards

Der nachhaltige Bergbau soll dabei nicht nur ökologische, sondern auch soziale Perspektiven miteinbeziehen. Tost verweist auf einen sozialen Vertrag zwischen Bergbau und Gesellschaft, der lange Gültigkeit hatte: "Die Gesellschaft prosperierte durch gute Jobs und akzeptierte dafür negative Umweltauswirkungen", resümiert der Forscher. "Doch das hat sich nun geändert. Pufferzonen zwischen Bergbau und menschlichen Lebensräumen sind geschrumpft und machen Umweltfolgen spürbarer. Gleichzeitig fallen durch die Automatisierung Jobs weg." Neue Konflikte entstehen, die soziale Akzeptanz schwindet.

Die Umweltprobleme, die mit dem Bergbau einhergehen, sind vielfältig. Schlämme und Grubenwässer machen nur einen Bereich aus. Zu den stärksten negativen Auswirkungen gehört der enorme Land- und Wasserverbrauch der Minen. Besonders groß sind die Probleme im Globalen Süden, wo ein illegaler, nichtindustrieller Kleinbergbau verheerende Folgen hat. Beispiele sind die Quecksilberbelastung beim Goldabbau im Amazonas oder die gefährlichen Arbeitsbedingungen in kongolesischen Kobaltminen. Zudem ist der Bergbau für enorme Mengen an CO2-Emissionen verantwortlich.

Den unliebsamen Bergbau in andere Weltgegenden mit geringeren Umwelt- und Sozialstandards zu verschieben war niemals die nachhaltigere Lösung – auch in einem politischen Sinne. Ukrainekrieg und Wirtschaftskonflikte mit China zeigen, dass die Abhängigkeiten gegenüber großen Bergbaunationen nach hinten losgehen können. Europa reagiert nun darauf. "In einem Critical Materials Act arbeitet die EU daran, bis 2030 zehn Prozent der benötigten kritischen Rohstoffe in Europa zu fördern", erklärt Tost. "Wenn es in der EU aber wieder mehr Bergbau geben soll, muss dieser notgedrungen nachhaltig werden, um gesellschaftliche Akzeptanz zu finden."

Braunkohletagebau
Die Extraktion von Rohstoffen im Tagbau, hier im Bild Braunkohlegewinnung, treibt den Flächenverbrauch im Bergbau in die Höhe.
IMAGO/imageBROKER/Daniel Schoene

E-Bergbau und Wasserrecycling

Die Beispiele, die im Zuge des Projekts gesammelt wurden, zeigen etwa, wie der Frischwasserbedarf durch die Wiederaufbereitung von Minenwasser drastisch reduziert und damit ein praktisch abwasserfreies Bergbauprojekt realisiert werden kann. Recyclingbeton, der zusätzlich noch mit CO2 angereichert wird, soll die emissionsintensive Zementherstellung einschränken. Aushub aus dem Bergbau soll zudem nicht automatisch deponiert, sondern auf seine Anwendbarkeit in der Bauindustrie geprüft werden.

Ein großer Trend liegt in einer Elektrifizierung, etwa was Minentransporte per Förderbändern und Schwerfahrzeugen betrifft. Tost hebt etwa die Oberleitungssysteme hervor, die am Erzberg in der Steiermark eingeführt wurden. Sie erlauben den schweren Lkws bei den besonders kraftstoffintensiven Bergaufstrecken den Umstieg auf elektrische Antriebe.

Auch im Umgang mit den Feinschlämmen, die in Kolontár zum Verhängnis wurden, gibt es Aussicht auf Verbesserung. Die Tailings, wie feinkörnige Reststoffe in der Fachsprache heißen, sollen nicht mehr in Form von Schlamm, sondern trocken gelagert werden. "Bei sogenannten Dry Tailings wird der getrocknete Schlamm in eigenen Kompartimenten, also abgegrenzten Räumen auf den Halden, gelagert", erklärt Tost. "Man kann sich das vorstellen wie Schwimmbecken, die abgedichtet sind und sofort nach Befüllung geschlossen werden, damit der Wind keinen Staub wegträgt."

In den Untergrund verlegen

Viele der Lösungen sind bereits technisch umsetzbar und scheitern lediglich an der Wirtschaftlichkeit. In manchen Bereichen besteht noch größerer Forschungsbedarf. "Um den Landverbrauch zu vermindern, sollen Rohstoffe öfters im Untertagebau abgebaut werden. Das ist aber nicht nur teurer, sondern bei den großen zu bewegenden Massen auch deutlich schwieriger und mit aktuellen Methoden nur schwer machbar", gibt Tost ein Beispiel. (Alois Pumhösel, 17.3.2024)