Der niederländische Lebensmittelhändler Albert Heijn gewährt Rabatte mithilfe digitaler Preisschilder und Dynamic Pricing
Der niederländische Lebensmittelhändler Albert Heijn gewährt Rabatte mithilfe digitaler Preisschilder und Dynamic Pricing.
Albert Heijn

Manche Revolutionen erzeugen Widerstand und Getöse. Andere Revolutionen vollziehen sich vor unser aller Augen und doch eher leise. So ist es auch mit dem großen Wechsel von Preisschildern aus Papier zu elektronischen. Die Digitalisierung im Regal nimmt gerade an Fahrt auf. Für Österreichs rund 115.000 Angestellte im Lebensmitteleinzelhandel, die meisten davon Frauen, bedeutet der von den Konzernen beschlossene Systemwechsel nicht weniger als eine Revolution im Arbeitsalltag. Zur Arbeit im Handel gehörte das ständige Austauschen von Papierschildern bisher einfach dazu.

Nun steuern wir in eine neue Ära der Preisauszeichnung. Der Diskonter Hofer hat in seinen Filialen bereits flächendeckend auf digitale Preisschilder umgestellt, ebenso der Konkurrent Lidl. Aus dem Billa-Mutterkonzern Rewe heißt es, zumindest bei der Eröffnung neuer Filialen und Umbauten setze man auf elektronische Schilder, dasselbe macht Spar. Das bedeutet auch, dass künftig alle Preise in diesen Filialen automatisiert und nahezu in Echtzeit geändert werden können.

Das Regal wird digital

Von den Handelsketten wird der Schritt mit einer Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Einsparung von Papiermüll begründet. Wobei etwa Spar indirekt mitteilt, die Zeitersparnis werde keine Personalkürzungen verursachen. Derzeit seien 2500 Stellen unbesetzt, heißt es vom Salzburger Handelsriesen. "In Zeiten von akutem Fachkräftemangel möchten wir unsere Mitarbeitenden für qualifiziertere Arbeiten einsetzen", insbesondere für die Kundenberatung, heißt es von Spar.

In der Welt des Handels spricht man vom "Electronic Shelf Label" (ESL), der elektronischen Regaletikette, der die Zukunft gehöre. "Der wesentliche Vorteil ist, eine Aktion fahren zu können, ohne große Personalressourcen dafür zu benötigen", sagt Alexander Palnik, Gründer der Welser Softwarefirma Syreta, dem STANDARD. Zu den Kunden von Syreta zählen Ketten wie Billa, Unimarkt, Intersport und C&A.

Lidl Österreich hat im Oktober auf digitale Preisschilder umgestellt
Lidl Österreich hat im Oktober auf digitale Preisschilder umgestellt. Durch die direkte Anbindung des ESL-Systems an die Warenwirtschaft erfolgten nun alle Änderungen auf den Schildern automatisiert und fast in Echtzeit, teilt Lidl mit. So reduziere das Unternehmen auch Fehler im Betrieb.
Lidl Österreich

Dynamic Pricing im Supermarkt?

Was digitale Preisschilder in Supermärkten auch möglich machen, zumindest theoretisch: das sogenannte Dynamic Pricing. Das heißt, dass Preise sekundenschnell an Angebot und Nachfrage angepasst werden können. Man kennt das Prinzip von Tankstellen, Hotels und Fluglinien – nicht immer zur Freude der Kunden. Wenn etwa Hotelzimmer in Rom knapp werden, schnalzen die Preise hinauf.

Wäre so ein Szenario im Lebensmittelhandel denkbar? Werden Supermärkte an einem sonnigen Samstagnachmittag zum Beispiel Grillfleisch und Bier dank elektronischer Preisschilder teurer machen?

Die Lebensmittelhändler Rewe mit den Marken Billa und Penny sowie Spar, Hofer und Lidl teilen auf Nachfrage allesamt mit, dass sie keine Pläne zu Dynamic Pricing haben. "Wir kommunizieren Preise unter anderem über unsere Flugblätter, die wir wöchentlich ausschicken", heißt es etwa von Rewe. "Da wir zum Beispiel in allen Billa-Filialen die gleichen Preise haben, wäre es in der Praxis nicht möglich, die Preise zweimal täglich zu ändern." In jenen Billa-Märkten ohne digitale Preisauszeichnung müssten die Preise am Regal schließlich händisch umgestellt werden. Eine Preisrallye bei Lebensmitteln würde Rewes Anspruch einer "transparenten Preispolitik" auch nicht entsprechen, heißt es weiter.

Alexander Palnik, Chef der Softwarefirma Syreta
Alexander Palnik, Chef der Softwarefirma Syreta, über das ESL-Prinzip: "Wenn eine Handelskette bestimmte Artikel in Aktion hat, muss das Personal in der Früh nicht mehr die Papierschilder umstecken." Es gebe auch weniger Missverständnisse und Ärgernisse an der Kassa.
Syreta

Hebel gegen Essensverschwendung

Dass Händler in Zeiten hoher Inflation abends oder am Wochenende die Lebensmittelpreise erhöhen könnten, hält auch Palnik für ausgeschlossen: "Konsumentenschützer würden auf die Barrikaden steigen."

Der Softwareunternehmer prophezeit das Gegenteil: Wenn sich der Tag dem Ende zuneige, könnten künftig die Preise purzeln. "Ich glaube definitiv, dass Dynamic Pricing gegen Lebensmittelverschwendung kommen wird", sagt er. Eine Supermarktfiliale mit digitalen Preisschildern könne rein technisch schon heute ihren Lagerbestand etwa für Semmeln an die Unternehmenszentrale senden. Diese wiederum könnte "dynamisch und punktgenau in dieser Filiale den Preis für Semmeln ab 18 Uhr diskontieren", sagt Palnik.

Die größte Supermarktkette in den Niederlanden, das Unternehmen Albert Heijn, hat 2022 so ein Dynamic Pricing gegen Lebensmittelverschwendung eingeführt. Produkte, die bald ablaufen, bekommen mittels digitaler Schilder automatisch Rabatte von 25 Prozent, 40 Prozent oder 70 Prozent. In Holland ist das Rabattpickerl quasi automatisiert. Marit van Egmond, Chefin von Albert Heijn, sagte kürzlich, ihr Unternehmen habe dadurch im Vorjahr 250 Tonnen Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahrt. (Lukas Kapeller, 9.3.2024)