Die Ostküste des nordamerikanischen Kontinents kippt langsam dem Meer entgegen. Mehrere Studien konnten diesen geophysikalischen Abwärtstrend bei einigen großen Städten am Atlantik bereits nachweisen. Zuletzt hat ein Team um Leonard Ohenhen und Manoochehr Shirzaei von der Virginia Tech im Fachjournal "Pnas Nexus" noch einmal eindringlich auf die Gefahrenzonen hingewiesen. Das langsame Absacken ist die Folge langfristiger geologischer Prozesse und schlechter Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit unter anderem in städtebaulicher Hinsicht.

Besonders schnell gibt der Boden dabei unter dichtbesiedelten Gebieten wie New York, Baltimore und Norfolk nach. Dort stellten die Forschenden eine Senkung von ein bis zwei Millimeter pro Jahr fest. Als einer der Spitzenreiter unter den sinkenden Städten hat sich Charleston in South Carolina erwiesen: Die 150.000-Einwohner-Stadt auf einer Halbinsel zwischen zwei Flüssen sinkt laut den jüngsten Zahlen sogar um etwa vier Millimeter pro Jahr.

Manhattan, New York City, Überschwemmung
Überschwemmungen auf dem Franklin D. Roosevelt East River Drive am 29. September letzten Jahresin Manhattan, New York. Damals waren es schwere Regenfälle, künftig sind es vor allem der steigende Meeresspiegel und das sinkende Land, die hier und anderswo an der US-Ostküste für "Land unter" sorgen werden.
Foto: AFP/ED JONES

Was sind schon vier Millimeter?

Doch was sind vier Millimeter in einem Jahr? Was zunächst nach wenig klingt, summiert sich im Verlauf eines Menschenlebens zu rund 35 Zentimetern. Das ist eine Sinkgeschwindigkeit, die für sich allein schon vielen Fachleuten tiefe Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Addiert man dazu das klimawandelbedingte Steigen des Meeresspiegels, kann man sich ausmalen, dass die Überschwemmungsszenarien der fernen Zukunft in Wahrheit schon viel früher eintreffen dürften.

Die Gruppe um Ohenhen und Shirzaei von der Virginia Tech, die zuvor schon den geologischen "Untergang" der US-Ostküste untersuchte, hat sich nun die mittelfristigen Konsequenzen dieser Entwicklungen genauer angesehen. Das nun im Fachjournal "Nature" präsentierte Ergebnis zeichnet ein düsteres Bild vom Leben der Bewohner mancher Landstriche an der Ostküste: Selbst wenn man die derzeitigen Küstenschutzstrukturen ins Kalkül zieht, werden demnach bis 2050 hunderttausende Menschen mit häufigen schweren Überschwemmungen zu rechnen haben.

Der globale Anstieg des Meeresspiegels stellt bis zum Ende des Jahrhunderts eine der größten sozioökonomischen Herausforderung für die Bevölkerung, die Infrastruktur und die Ökosysteme vieler Inseln und Regionen entlang der großen Küstenlinien dar. Das zeigen allein die nackten Zahlen: Der mittlere globale Meeresspiegel ist in den vergangenen 100 Jahren um durchschnittlich 0,17 Meter gestiegen, zuletzt freilich mit wachsender Geschwindigkeit: Während das Meeresniveau im späten zwanzigsten Jahrhundert um etwa 1,7 Millimeter pro Jahr zunahm, betrug dieser Wert Anfang des 21. Jahrhunderts bereits 3,1 Millimeter pro Jahr.

Immer schneller

Das beschleunigte Abschmelzen der polaren Eisschilde durch den Klimawandel bescherte uns mittlerweile ein Tempo von 3,7 Millimeter pro Jahr. Selbst wenn es gelingen sollte, die Temperatur in den kommenden Jahrzehnten zu stabilisieren, wird das am Meeresspiegelanstieg zunächst wenig ändern: Die Ozeane werden noch eine Weile brauchen, um die Folgen der Erwärmung der letzten Jahrzehnte zu verdauen.

Um herauszufinden, was das Zusammentreffen von rasantem Meeresanstieg und sinkenden Küstenarealen im Detail für die US-Atlantik-, -Golf- und -Pazifikküste bedeuten wird, haben die Forschenden Gezeitenkarten und Überschwemmungsmodelle, satellitengestützte Messungen sowie Prognosen zur Entwicklung des Meeresspiegels miteinander kombiniert. Die Analysen lieferten einen neuen umfassenden Blick auf das Überschwemmungspotenzial von insgesamt 32 Städten entlang dieser Küstengebiete. Wie sich unter anderem herausstellte, dürften sozial benachteiligte Bevölkerungsteile besonders stark unter den Folgen zu leiden haben.

"Das Problem des steigenden Meeresspiegels und der Landabsenkung wird auf breiter Ebene kaum wahrgenommen", sagte Ohenhen. Viele würden darin ein langfristiges Problem sehen, dessen Auswirkungen sich allenfalls am Ende des Jahrhunderts manifestieren, zu einer Zeit jedenfalls, die man selbst kaum mehr erleben werde. "Wir haben uns jedoch auf einen viel näher liegenden Zeitraum fokussiert, nur 26 Jahre von jetzt an."

Die Studie liefert einen umfassenden Blick auf die Überflutungsrisiken für 32 Städte an drei Küsten bis zum Jahr 2050.
Grafik: Leonard Ohenhen

Steigende Fluten

Konkret zeigte sich, dass durch dieses unglückliche Zusammenspiel aus Geologie und Klimawandel der Meeresspiegel in 24 der 32 analysierten US-Küstenstädten bis zum Jahr 2050 in einzelnen Fällen um mehr als 30 Zentimeter ansteigen wird. Rund 55.000 bis 273.000 Menschen werden das mehr oder weniger direkt durch häufige Überflutungen zu spüren bekommen, sagte Ohenhen. Die Modelle ergaben zudem, dass von diesem stark erhöhten Überschwemmungsrisiko 31.000 bis 171.000 Grundstücke besonders betroffen sind. Während der Osten der USA, aber auch einige Regionen an der US-Golfküste (beispielsweise New Orleans) schneller untergeht, steigen die Pegel an der Pazifikküste langsamer.

Sollten in den nächsten 26 Jahren keine geeigneten Hochwasserschutzmaßnahmen ergriffen werden, könnte ihrem Modell zufolge durch den relativen Meeresspiegelanstieg eine zusätzliche Fläche von 1.334 bis 1.813 Quadratkilometern überflutet werden. In einem Worst-Case-Szenario wird dies womöglich dazu führen, dass einer von 50 Menschen in den gefährdeten Zonen entlang der US-Küsten von Überschwemmungen betroffen sein wird, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Schutz hat kaum Priorität

Selbst wenn man die derzeitigen und bereits geplanten und in Bau befindlichen Schutzeinrichtungen berücksichtigt, würde der relative Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2050 immer noch eine Fläche von 1.006 bis 1.389 Quadratkilometer betreffen. Nicht zuletzt deshalb beurteilen die Forschenden die derzeitigen Maßnahmen gegen künftige Überflutungen als unzureichend, in den meisten US-Küstenstädten würde die Gefahrenlage weitgehend verkannt. Die derzeitigen Küstenschutzsysteme sollten durch verbesserte Hochwasserschutz- und Senkungsschutzmaßnahmen ergänzt werden, forderte Ohenhen.

Nur drei der untersuchten Städte an der Atlantikküste unterhalten Dämme oder Flutmauern. "Wir haben festgestellt, dass der Hochwasserschutz vor allem an der Atlantikküste generell keine hohe Priorität hat", so Ohenhen. "Und selbst die Deiche dort schützen oft weniger als zehn Prozent der Stadt – im Vergleich zu anderen Städten an der Pazifik- oder Golfküste, wo bis zu 70 Prozent geschützt sind."

New Orleans, Hurrikan Katrina, Überflutungen
Als der Hurrikan Katrina im August 2005 auf die Golfküste traf, versank New Orleans teilweise in den Fluten. Derartige Katastrophen könnten in naher Zukunft häufiger auftreten.
Foto: AP/David J. Phillip

Insbesondere für ohnehin schon benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die bereits überproportional mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben, werden von Landsenkung und Meeresanstieg reale Gefahren ausgehen. Die analysierten Datensätze und Gefahrenkarten zeigen, dass vor allem an der Golfküste Minderheiten unverhältnismäßig stark von der potenziell erhöhten Gefahrenlage betroffen sind.

Benachteiligte besonders betroffen

In vielen Siedlungsgebieten wurde darüber hinaus festgestellt, dass die Immobilien, die einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind, im Durchschnitt einen geringeren Wert haben als der durchschnittliche Immobilienwert der Region. In einigen wenigen Städten, darunter New Orleans und Port Arthur, Texas, überschneiden sich diese beiden demografischen Merkmale, sodass die Gebiete mit dem größten potenziellen Risiko überproportional häufig von farbigen Menschen bewohnt werden, die im Vergleich zur gesamten Stadt insgesamt auch wirtschaftlich benachteiligt sind.

"Das war der überraschendste Teil der Studie", sagte Ohenhen. "Wir haben festgestellt, dass es in diesen Gebieten eine Ungleichheit gibt, da dort historisch marginalisierte Gruppen überrepräsentiert sind. Das vervielfacht die potenziellen Auswirkungen auf diese Gebiete und ihre Möglichkeiten, sich von einer großen Überschwemmung zu erholen." (Thomas Bergmayr, 10.3.2024)