15. 11. 1989, Praterstadion: Österreich schlägt die DDR 3:0, fährt zur WM. Der ausgebuhte Toni Polster schießt alle Tore.
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Am Sonntag wird Fußballlegende Toni Polster 60 Jahre alt. Mit 44 Toren ist er Rekordschütze im Nationalteam. Er wird dreimal feiern. Mit seiner Tennispartie, der Mannschaft der Wiener Viktoria, die er seit mehr als einem Jahrzehnt trainiert, und mit der Familie. Im Gespräch lässt er es zuvor polstern.

STANDARD: Wie fühlt man sich mit 60? Fragt ein 63-Jähriger.

Polster: Es wird einem bewusst, dass das letzte Drittel angefangen hat und man nur mehr eine bestimmte Zeit auf diesem Planeten verbringen darf. Das macht dich ein bisserl nachdenklich, die unbekümmerte Leichtigkeit von früher ist sicher weg.

STANDARD: Zu einem runden Geburtstag wird man mitunter fürstlich beschenkt. Sie können hiermit ungefragt irgendetwas loswerden, was Ihnen am Herzen liegt.

Polster: Am Herzen habe ich nichts. Aber weil es gerade aktuell ist. Es gibt viele Freundschaften zwischen Austrianern und Rapidlern, ich weiß nicht, warum man sich da beschimpft, beflegelt, in die Goschen haut. Ein Mensch ist leiwand oder nicht leiwand, egal ob Austrianer oder Rapidler. Im Nationalteam bin ich mit dem Andi Herzog oder dem Reinhard Kienast am Zimmer gelegen. Warum macht man die Derbys nicht zu einem Fest, sondern zu einer Orgie gegenseitiger Beschimpfungen? Das ist nicht angebracht, nicht notwendig, nur deppert.

STANDARD: Reden wir kurz über einen dramatischen Vorfall. Sie hatten im Dezember einen Magendurchbruch, befanden sich in akuter Lebensgefahr. Wie geht es Ihnen, welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Polster: Ich war nie verletzt, habe einmal einen Muskelfaserriss gehabt, bin drei Wochen ausgefallen. Vielleicht hält man sich deshalb für unbesiegbar. Das war ein Schock. Ich habe nie auf Ernährung geschaut, habe einfach gelebt und Spaß dabei gehabt. Mein Vorstandsmitglied bei der Viktoria, der Doktor Otto Lesch, ein weiser Mann, hat mir lange vor dem Magendurchbruch gesagt: "In den ersten zwei Dritteln des Lebens ist alles easy. Im dritten Drittel bezahlt man für die Fehler vom ersten und zweiten." Er hatte recht. Vielleicht habe ich zu viel Kaffee getrunken, zu scharf gegessen. Ich schau jetzt besser auf mich. Das Verdauungsschnapserl habe ich in Pension geschickt.

STANDARD: Im Jahr 1987 war ich vier Tage bei Ihnen in Turin, wir haben für ein Magazin eine Homestory gemacht, das Trainingsgelände Ihres neuen Klubs AC Torino besucht. An den Abenden haben wir stundenlang Karten gespielt. Ich weiß leider nicht mehr, wer insgesamt gewonnen hat.

Polster: Ich auch nicht.

STANDARD: Einigen wir uns auf ein Unentschieden?

Polster: Von mir aus. Im Alter wird man milde.

STANDARD: Sie haben dauernd "Servas schöner Bua" zu mir gesagt. War das eine Lüge?

Polster: Nein. Du warst immer a schöner Bua. Man hat nur länger hinschauen müssen.

STANDARD: Danke, das ist geklärt.

Polster: Bitte.

STANDARD: Machen wir einen kurzen, aber schönen Wordrap. Leitsatz?

Polster: Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.

STANDARD: Worauf sind Sie stolz?

Polster: Auf meine Kinder, sie sind fantastische Erwachsene geworden. Und auf meine Karriere.

STANDARD: Ihr größter Fehler?

Polster: Wenn man zurückblickt, hätte man vielleicht einige Sachen anders gemacht, aber das weiß man erst im Nachhinein. Ich hätte jedenfalls länger in Sevilla bleiben sollen.

STANDARD: Ihr bestes Spiel?

Polster: Es hat viele gegeben. Auf Nationalteam-Ebene war es wohl das 3:0 gegen die DDR mit drei Polster-Toren. Mit dem FC Sevilla haben wir 4:2 im Camp Nou gegen Barcelona gewonnen, ich hab zwei Türln gemacht und eines vorbereitet.

STANDARD: Lieblingsmitspieler?

Polster: Prohaska und Ogris.

STANDARD: Lieblingsverein?

Polster: Die Austria.

STANDARD: Vorbild?

Polster: Hans Krankl.

STANDARD: Was finden Sie lustig?

Polster: Wenn einer über sich selbst lachen kann.

Toni Polster (im Vorjahr bei der Bruno-Gala mit Matthias Braunöder): "Ein Mensch ist leiwand oder nicht leiwand, egal ob Austrianer oder Rapidler."
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STANDARD: Schluss mit Wordrap. Sie waren während der Karriere immer auch Anfeindungen ausgesetzt. Ähnlich wie Ihr Vorbild Krankl. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Polster: Auf der einen Seite war es sicherlich der Neid, weil viele so sein wollten wie wir. Auf der anderen Seite gehört es zur typischen österreichischen Mentalität. Ist einer ganz oben, dann wollen wir ihn a bisserl runterholen.

STANDARD: Mittlerweile sind Sie Kult, werden geschätzt, nahezu geliebt. Gut Ding braucht Weile, oder?

Polster: Ja, es ist schön, aber danach habe ich nicht gesucht. Ich bin so geblieben, wie ich bin. Es jedem recht zu machen, das funktioniert nicht. Jetzt werde ich anders, nur positiv wahrgenommen.

STANDARD: Als Trainer waren Sie nicht übermäßig erfolgreich. Warum?

Polster: Ich habe bei den LASK-Amateuren angefangen. Der Vereinschef Reichel hat gesagt, wir haben es schon mit allen probiert, aber wir steigen mit den Juniors nicht auf. Wir sind aufgestiegen, in der Regionalliga Meister geworden. Dann hat er die Juniors aufgelassen, weil sie zu viel gekostet haben. Ich habe die Wiener Viktoria von der fünften in die dritte Liga geführt, als Spitzenverein der Regionalliga etabliert. Das ist ein Erfolg. Es ist in Österreich so, dass man nicht den Trainer nimmt, bei dem man glaubt, es passt. Der erste Satz ist: "Wir wollen dich haben." Der zweite lautet: "Wir haben kein Geld." Drittens wollen sie dir vorschreiben, wen du aufstellen darfst. Darauf habe ich keinen Bock. Ich lasse mich auch nicht auf der Tribüne blicken, wenn irgendwo ein Trainer wackelt. Das ist nicht mein Ding. Es stimmt, die großen Angebote aus der Bundesliga sind nicht gekommen. Aber ich bin seit mehr als zehn Jahren eh beim richtigen Verein, auf den ich stolz bin.

STANDARD: Wiener Viktoria stellt im Winter Obdachlosen die Kabinen als Quartier zur Verfügung.

Polster: Ja, es klappt. Zumindest in Meidling muss kein Mensch mehr erfrieren. Das ist super.

STANDARD: Sie haben immer damit kokettiert, kaum trainiert zu haben, im Match wenig gelaufen zu sein. Tatsache oder Understatement?

Polster: Kokettiert habe ich nicht. Aber ich habe mich damit abgefunden, dass die Leute gesagt haben, wenn einer so gut drauf ist, kann er die Arbeit nicht ernst nehmen. Ich habe natürlich jeden Tag trainiert, sonst wäre ich ja blöd gewesen.

STANDARD: Angeblich wurden früher bei der Austria in der Kabine Zigaretten geraucht. Nahezu stangenweise. Stimmt das?

Polster: Nein, es wurde höchstens vor der Kabine geraucht.

STANDARD: Was unterscheidet den heutigen Fußball von jenem, der zu Ihrer Zeit gespielt wurde?

Polster: Die Fitness. Heute sind sie von der Zehe bis zur Stirn Athleten. Bei uns hatten nicht alle einen Waschbrettbauch. Das Tempo ist höher geworden, dafür waren wir technisch ein wenig besser, auch weil wir mehr Zeit hatten. Ich liebe Fußball. Es gewinnt nicht der, der am meisten rennt, sondern der, der mit dem meisten Hirn spielt. Du kannst keinen protegieren. Genies gab es immer. Prohaska und Krankl wären auch heute Stars.

STANDARD: Was haben Sie noch vor? Gibt es Träume?

Polster: Nicht wirklich. Ich würde mit der Wiener Viktoria gerne aufsteigen. Die Infrastruktur passt halt leider nicht. Aber der Platz für Obdachlose bleibt. (Christian Hackl, 9.3.2024)