Das als "Oscar-Selfie" berühmt gewordene Star-Foto wird heuer zehn Jahre alt. Kein anderes Bild bringt die Umbrüche, die die amerikanische Filmindustrie seitdem erlebt hat, besser auf den Punkt. Sämtliche durch die sozialen Medien angeheizten Umschwünge bildet es ab: MeToo, Repräsentationsdebatten und die sogenannte Cancel-Culture, die man altmodisch auch als Reputationsverlust bezeichnen könnte. Allesamt Debatten also, die Zunder für die Culture-Wars in den USA sind.

2014 war noch alles gut. Kein Trump, keine Twitter-Politik, aber auch kein #MeToo und kein #OscarsSoWhite. 2024 tickt die Oscar-Academy ganz anders.
2014 war noch alles gut. Kein Trump, keine Twitter-Politik, aber auch kein #MeToo und kein #OscarsSoWhite. 2024 tickt die Oscar-Academy ganz anders.
imago images/UPI Photo

2014 war das Wort Selfie erst ein Jahr alt, und zum ersten Mal ging ein Foto während der Oscar-Gala auf Twitter viral. Donald Trump träumte vielleicht schon davon, Präsident der USA zu werden, was ihm ohne seine Lieblingsplattform, der er 2009 beigetreten war, wohl nie gelungen wäre. 2015 warf er sich ins Rennen, 2016 wurde er gewählt, 2020 abgewählt. Erst 2021, nach dem Sturm aufs Kapitol, sollte Twitter ihn sperren. Nun ist Trump, so heißt es, auf Elon Musks X zurück. Bereit für den neuen Wahlkampf.

MeToo und Mobbing

Zurück zum Oscar-Selfie: Den Auslöser drückte damals Bradley Cooper, der 2014 als bester Nebendarsteller in American Hustle nominiert war. Während sein Co-Star Jennifer Lawrence, auf dem Selfie links in Rot, einen Karriereknick erlitt, ging es mit Cooper steil bergauf. Für sein Leonard-Bernstein-Biopic Maestro hofft er heuer auf sieben Goldbuben – trotz Debatte um eine Nasenprothese und "Jewfacing".

Kevin Spacey, der hinten mittig ins Bild lugt, ist mittlerweile Persona non grata. Von den zahlreichen Klagen wegen sexueller Übergriffe wurde er zwar freigesprochen, doch seine Hollywoodkarriere ist ob des Imageverlusts vorbei. Und Ellen DeGeneres? Sie war damals der gefeierte Host des Abends, doch 2020 warfen Mobbingvorwürfe die Comedienne aus der Bahn. Heuer geht man mit dem Late-Night-Show-Host Jimmy Kimmel auf Nummer sicher. Seine zahmen Witze zielen auf die Branche, in der, man erinnere sich an die Streiks, doch einiges los war.

Wieviel Platz hat der Wahlkampf?

Dass bei der Oscar-Gala in der Nacht auf Montag eine einflussreiche Trump-Gegnerin wie Taylor Swift für Angstschweiß bei Republikanern sorgen wird, ist fraglich. Sharon Stone ist zwar mit ihren Forderungen nach einer lebenslangen Haft für Trump durch die Schlagzeilen gewandert, doch ihr Einfluss ist nicht mit dem Swifts zu vergleichen. Dennoch stimmt beider Haltung mit dem mehrheitlich demokratisch eingestellten Hollywood überein. Dieses ist Trump-kritisch und denkt Politik gerade nicht ohne das Präfix Repräsentation, was man den redlichen Bemühungen um Diversität anmerkt, über die sich Trump-Anhänger allzu gerne empören.

Wird Taylor Swift die US-Wahl beeinflussen?
AFP

Der nahende US-Wahlkampf könnte also auf der Gala zur Sprache kommen. Oder der Gazakrieg, wenngleich man sich propalästinensische Plädoyers wie auf der Berlinale nicht erwarten darf. Hollywoods sonstige Award-Shows liefen heuer sehr unpolitisch ab. Aber da der Oscar-Erfolg der Dokumentation 20 Tage in Mariupol fast sicher ist, wird zumindest der Ukrainekrieg kurz in den Fokus rücken – dessen Zukunft nicht unwesentlich von der US-Wahl bestimmt ist.

Fragen der Repräsentation

Wer die Person rechts neben Bradley Cooper nicht kennt, muss sich keine Vorwürfe machen. Das ist Lupita Nyong’os Bruder. Die kenianisch-mexikanische Schauspielerin selbst lacht hinter Brad Pitts Schulter ins Bild. 2014 war Nyong’os Jahr. Sie gewann einen Oscar für ihre Nebenrolle in 12 Years a Slave und bahnte damit den Weg für Schwarze in Hollywood. Hierzulande ist die Debatte über den Hautton wenig präsent. Sie zielt darauf ab, dass besonders dunkelhäutige Frauen stärker diskriminiert werden als hellhäutigere (zum Beispiel Halle Berry). Nyong’os Erfolg und ihre selbstbewusste Eleganz waren 2014 also ein Meilenstein in den hart geführten Repräsentationsdebatten rund um Black Lives Matter.

Als Trump seine Kandidatur bekanntgab, war Black Lives Matter stark wie nie, und in Hollywood ging 2015 der Hashtag #OscarsSoWhite viral. Unter den 20 nominierten Schauspielerinnen und Schauspielern befand sich in diesem Jahr nämlich keine einzige Person of Color. Aufgerüttelt durch den Protest hat die Academy ihre Mitgliedschaften reformiert und die Anzahl an Frauen und People of Color bis 2020 verdoppelt bzw. verdreifacht.

Lily Gladstones Trumpf

In den Schauspielkategorien findet man auch heuer mehr Schwarze, etwa Jeffrey Wright, Colman Domingo oder Da’Vine Joy Randolph, deren Sieg als Nebendarstellerin gewiss scheint.In der Hauptdarstellerinnen-Kategorie hat mit Lily Gladstone erstmals eine Native American Chancen auf einen Oscar. Einen Golden Globe bekam sie heuer bereits.

Nachdem letztes Jahr ein repräsentationspolitisches Freudenfest für die asiatisch-amerikanische Gemeinschaft war, hat sie heuer die Nase vorn. Obwohl Martin Scorsese sie im zehnfach nominierten Killers of the Flower Moon lange in einer Opferrolle dahinsiechen lässt. Mehr Handlungsspielraum bekamen dagegen Emma Stone im elffach nominierten Poor Things oder Sandra Hüller in Anatomie eines Falls.

"Barbie" ist Diskurs-Gewinnerin

Und nein, die Barbie-Ladys Greta Gerwig und Margot Robbie sind nicht im Rennen, zumindest nicht in der Schauspiel- und Regiekategorie. Das dürfte Kulturkonservative freuen, denn Barbie sorgte in den USA ob seiner direkten neofeministischen Botschaft für Radau. Dafür ist Barbie Sieger des Diskurses, denn einige Filme im Rennen wurden mit Barbie in Verbindung gebracht – und profitierten davon. Nicht zuletzt der Favorit Oppenheimer.

Jimmy Kimmel Live

Nolan und die neuen Inklusionsstandards

Christopher Nolans Atombomben-Biopic mit dem irischen Hauptdarsteller Cillian Murphy staubte bislang alle Filmpreise ab und wird wohl auch die diesjährigen Oscars beherrschen – trotz der spannenden internationalen Konkurrenz.

Nolan kann man es ja gönnen. Es wäre der erste Oscar für den 53-jährigen Briten, und sein Film vermittelt durch den Fokus auf die antikommunistischen Prozesse und die Schuldfrage Oppenheimers doch ein kritisches Amerikabild. Inwiefern Nolan es aber mit Oppenheimer geschafft haben soll, den 2024 neu in Kraft getretenen InklusionsStandards zu entsprechen, die eine prozentuelle Beteiligung von Frauen und Minoritäten einfordern, ist rätselhaft. Gelten denn Iren in Hollywood als diskriminiert?

Nicht "America First"

Abgesehen von solchen Unschärfen ist es bemerkenswert, dass sich Hollywood gerade während der Präsidentschaftszeit Donald Trumps wie nie zuvor progressiven demokratischen Idealen angenähert hat: Diversitätsstandards, Bekämpfung von Übergriffen, faire Entlohnungen und die Inklusion internationaler Filme. Die über soziale Medien, Streamingplattformen und TV-Kanäle weltweit gesendete Oscar-Gala zeigt ein solches USA-Bild, das nicht "America First" brüllt. Aber ist das wahlentscheidend? Den Einfluss der Traumfabrik sollte man jedenfalls nie unterschätzen. (Valerie Dirk, 10.3.2024)